Presseschau vom 18. Mai 2010 – Laudatio von Botho Strauß auf Jutta Lampe zum Joana-Maria-Govin-Preis
"Bemessenheit, Zartheit und Strenge"
Botho Strauß erzählt in seiner Laudatio auf die Schauspielerin Jutta Lampe wie er als Pennäler die Lampe zum ersten Male auf der Bühne des Wiesbadener Staatstheaters in Tennessee Williams' "Glasmenagerie" sah. "Ich verlor mich in diese unglückliche Außenseiterin" Laura, gespielt von dem damals "tatsächlich noch grazilen Mädchen, dessen Erscheinung und Typus sie zeitlebens bewahrte".
Ordinärer Schall
Wir erfahren über die Proben mit der Lampe, die schwierig und umwegig gewesen sein müssen, auch bei den Dramen, die Strauß durchaus mit Blick auf die Protagonistin an der Schaubühne verfasste. In "acht oder neun" dieser - nicht Dramen, denn es fehlte den Stücken "die Fallhöhe, die notwendig zum Drama gehört", sondern "szenischen Anordnungen" spielte Jutta Lampe. Doch trat sie in ihnen nicht auf, spielte nicht einfach die Hauptrollen, die sie inne hatte, sondern "belebte und innervierte" das "ganze System", wenn auch unter "dem stets wiederholten Stöhnen und Murren, dass das doch eigentlich gar nicht zu spielen sei."
Nie habe er, Strauß, jemanden "stockender probieren" sehen. Niemanden, der auf Proben so sehr aus "elender Verzwungenheit erlöst werden" müsse. Und dann diese Stimme, dieses "unfeste Element", eben noch "der silbern mädchenhafte, fast singende Ton" im nächsten Moment schon der kehlige, fast plärrende, zuweilen richtig ordinäre Schall".
Jutta Lampe, schreibt Strauß, sei nie "eine Diva gewesen, nie Publikumsschwarm oder Star - nicht einmal eine 'Tatort-Kommissarin'." Sie besitze eine "beständige Helligkeit der inneren und äußeren Erscheinung" und führe ihre Figuren "aus einer vibirierenden, leicht erschütterbaren Mitte den Grenzen und Gefährdungen zu".
Und so singt und psalmodiert der Dramatiker, der keine Dramen schrieb, nur szenische Anordnungen, in denen die Zeitgenossen die bundesrepublikanischen Wohlstandjahre so gültig gespiegelt sahen.
Reservat der Dummheit
Und die "Abrechnung mit dem gegenwärtigen Schaugewerbe"? Den Beweis, dass auch er, gerade wie sein Redakteur, ein rechter musischer Raufbold ist oder wenigstens sein kann, bleibt Strauß nicht schuldig. Da ist die Rede vom "wunderlosen Theater", das sich "zum Reservat von Dummheit und Bildungsferne entwickelt" habe; davon, dass man, anstatt sich beim Spielen anzusehen, an der Rampe "Text erbricht". Davon, dass das Theater in der Gefahr sei, seine Elementarien zu verspielen, "den Schauspieler und den Text, die sich dann kaum noch von Requisitenmaterial unterscheiden", dass das Theater sich verleugne "zugunsten der Reportage, der Installation, der billigen Kunstmarktkopie, des Entertainments, des Medienverschnitts".
Andererseits räsonniert der alternde Szenemacher, sei es wohl nie anders gewesen. "Achtzig Prozent oder mehr allen Theaterspiels diente seit je der Unterhaltung und der Pflege des schlechten Geschmacks", vom Rührstück bis zum "postdramatischen Kabarett". Was der letzten hohen Zeit des deutschsprachigen Theaters, nämlich der Schaubühne, an der Strauß mitwirkte, gefolgt sei, waren "Befreiungsschläge" gegen diese "Klassik der ersten und originalen Nachkriegsjugendlichkeit", "Ungezogenheiten", würde Redakteur Stadelmaier das nennen, "ästhetisches Fratzenschneiden, Dekonstruktion und Szene gewordenes Hohngelächter".
"Exzentrik, Egomanie, Exaltation" einerseits und "emotionale Willkür, Seelennudismus und Psychopathisches" andererseits seien heute an Stelle von "Charis und strengem Spiel" getreten. Es scheint, so Strauß, "ihr habt noch nie einen Menschen von innen gesehen".
Dabei: "Gute, faszinierende Schauspieler" gebe es in "Hülle und Fülle", mehr als in früheren Theaterzeiten. "Der Nachwuchs ist üppig und sein frühreifes Können weit ungezwungener und facettenreicher als seinerzeit." Im Grunde könne das Theater ein "nicht abreißendes Schauspieler-Fest sein". Doch diejenigen, die auf der Bühne "die Oberhand" gewönnen, seien oft "schnellfertige Virtuosen, kein Dämon plagt sie, und kein in sie vernarrter Regisseur entwickelt und betreut sie."
Artistin der Nuance
Ganz anders Jutta Lampe. Sie hatte ihre Regisseure, die sahen und sortierten, "was sie auf der Probe zeigte", die sie weiterhin verbesserten, die "Geburtshelfer und Erzieher der Rolle" waren. Lampe hatte sogar ihren eigenen Szenenmacher, dem sie mit ihrem "herausragenden dialogischen Talent" nahe kam, wie keine andere ihres Berufes.
So wurde sie die "effektsichere Komödiantin und Hüterin der strengen Form, gläsern zerbrechlich und expressiv sentimental", hier die "Deviante, Verwundete, Abgeirrte", dort die "extravagante Kunstfigur, artifiziell gerüstet bis in die Fingerspitzen". Mit mythischen Begriffen gesprochen, die Strauß so gerne zitiert, sei sie eine "Schaum- und Kopfgeburt, gleichermaßen aus Vernunft und Sinnlichkeit entsprungen". "Wer kann das spielen?", die Rolle, die "Kontrolle über viel Komplikation und viel Affekt" verlange. "Nur Jutta wird es können, die hohe Artistin der Nuance."
Und was sagt nun zu dieser Tirade der Praeceptor Teatri Germaniae Ulrich Khuon? Der findet das alles ziemlich falsch, ziemlich unfair und ziemlichen Unsinn. Seine Gründe kann man hier in einer Original-Transkription eines Radio-Gespräches nachlesen.
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auf diesen tag der höflichen zurückhaltung warteich wohl vergebens.
Können die sich nicht einfach darauf beschränken, worauf es bei einer Laudatio ankommt, auf eine Würdigung des Geehrten und nicht gleich noch zu angeblich gesamtgesellschaftlicher Hochrelevanz auflaufen.
Wer sich bei solchen Reden auskennt, weiß, dass über den Geehrten hinaus zumeist über allgemeinere Dinge geredet wird, z.B. Theater heute, ästhetische Moden, Zeitgeist, technisches Raffinement usw.
Strauß’ härtestes Verdikt wurde in der Zusammenfassung ausgespart:
"Zumal nicht das Theater, das sich zum Reservat für unantastbare Dummheit und Bildungsferne ausrief und anders als Film, bildende Kunst, Epik keinerlei Impulse an die Zeit mehr abgibt."
Im Übrigen hat Strauß geschrieben, dass "Exzentrik, Egomanie, Exaltation" bei Jutta Lampe nicht vorkommen, nicht aber, das diese Verhaltensweisen heute im Theater die Oberhand gewonnen hätten. Natürlich hat Strauß das quasi en passant angedeutet und den Rest den Interpreten überlassen.
Strauß wurde auf keinen Fall als Halbaffe dargestellt – wer das schreibt, kann nicht lesen. Wer hat eigentlich diese Zusammenfassung geschrieben? Sind die Verhältnisse mittlerweile so, dass Nachtkritik-Redakteure anonym schreiben müssen?
Wer nichts vom Theater versteht, sollte darüber auch nicht schreiben. Allein die Art und Weise, wie Sie Regisseure, die sich so diametral gegenüber stehen wie Lösch und Thalheimer oder Kriegenburg und Pollesch, in einen Topf werfen, wie Sie das Theater eines Thalheimer, eines Kriegenburg, auch einer Dröse als seelenlos bezeichnen, zeigt nur, dass Sie keinen Schimmer haben. Auch der vorgeblichen Zendenz zur Reduktion Regisseure wie Gotscheff, aber auch in gewisser Weise Marthaler gegenüberzustellen, dessen ästhetisches Prinzp auf der reduktion basiert, beweist nicht unbedingt Sachverstand, vor allem aber keinen Willen zur ernsthaften Diskussion. Gehen Sie doch erst einmal ins Theater und schreiben Sie dann darüber.
http://stage-and-screen.blogspot.com/
Liebe Frau Müller von Thurgau, Sie hauen da Sachen und Namen durcheinander, das einem ganz schwindelig wird und das ohne Vino.
Seelenloser als das Spiel von Stein und Strauß heute geht es doch gar nicht mehr. Würde Stein sagen, dass Brandauer ein Nichts ist? Ich glaube kaum. Aber warum geht das bei Jutta Lampe? Das sollten Sie sich mal fragen, anstatt alte Götzen anzubeten.
Warum sollte jemand keine "alten Götzen anbeten", wenn er der Ansicht ist, dass keine neuen nachkommen? Anscheinend hecheln Sie auch schon allen ästhetischen Moden hinterher, denn alles andere wäre ja Stagnation oder gar Anachronismus.
Wenn es heute seelenloser als bei Stein und Strauß nicht mehr geht, haben Sie vielleicht die von Ihnen anvisierte Beseeltheit bei Frau Beiers Subproletariat entdeckt. Ich weiß nicht, wo Sie überall Stücke finden, die Ihr empfindsames Gemüt in Schwingungen versetzen und ein gehoben-ekstatisches Lebensgefühl erzeugen, das Sie in beamtenhafter Regelmäßigkeit täglich hier mitteilen.
Der Stein traut sich also etwas bei der Jutta Lampe zu sagen, was er bei Brandauer nicht gewagt hätte. Wahrscheinlich war die Lampe so geknickt, dass sie das Kompliment komplett überhört hat. Da haben Sie IS ja wieder richtig in die Gender-Debatte zurückgeholt. Bevor es wieder von Neuem losgeht, sollten Sie aber bedenken, dass Männer in der Regel viel charmanter bei Frauen sind als bei männlichen Kollegen.
Und Botho Strauß hätte bei Brandauer längst nicht solche feinsinnigen Analysen der Bühnenpräsenz abgeliefert. Was Herr Strauß über die Lampe geschrieben hat, zeugt letztlich von einer Menge Respekt, nicht zuletzt wegen des äußerst subtilen Sprachgebrauchs, zu dem viele Autoren sich gar nicht aufschwingen können. Aber Strauß’ ungewöhnliche Sprachkraft, sein ungetrübter Blick sind wahrscheinlich Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, weil sie ohnehin die geistige Mediokrität gewohnt sind, Herr Strauß längst ins museal Zeitentrückte gehört und Sie eine andere – zeitgemäßere – Gesinnung haben.
Was Strauß über das heutige Theater sagt, ist sein Privatgeschmack, den ich übrigens nicht teile.