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Streit um den österreichischen Nestroy-Preis

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Kumulierte Unzufriedenheit

1. Mai 2011. Wie die Wiener Tageszeitung Die Presse vor zwei Tagen berichtete, tobt hinter den Kulissen um den Nestroy-Preis ein Streit, der bereits seit längerer Zeit schwelt, jetzt aber offen ausgebrochen ist. In den vergangenen Jahren war der Preis zunehmend in die Kritik geraten: "Galaveranstaltungen, die zu pompös oder zu farblos gerieten, ein Nominierungsabo für manche Künstler sowie zuletzt eine deutliche Burgtheater-Lastigkeit bei den Preisen sorgten für Unmut", so die Zeitung. Der Preis soll nun refomiert werden. Allerdings wirke der Reformversuch in diesen Wochen wie ein Machtkampf voller Intrigen, Beleidigungen und Beleidigtheiten, heißt es.

Öffentlich wurde die Sache, weil seit wenigen Wochen gleich drei Homepages zum Nestroy-Preis abrufbar seien. Doch nur www.nestroypreis.at werde auch tatsächlich vom für die Vergabe zuständigen Verein Wiener Theaterpreis betrieben, der laut Selbstdarstellung "von Freunden des Wiener Theaters ins Leben gerufen wurde" und "eng mit der Stadt Wien zusammenarbeitet".

Die Homepage www.nestroypreis.com, auf der in Text, Bild und Video die Nestroy-Preis-Verleihung 2010 festgehalten ist, wird entgegen der Angabe im Impressum nicht vom Verein betrieben. Was es damit auf sich hat, erfährt man auf www.nestroy.org. Hier listet die Initiative Rettet den Nestroy Theaterpreis (hinter der der Schauspieler Paulus Manker sowie die Theaterdirektoren Michael Schottenberg (Volkstheater) und Herbert Föttinger (Theater in der Josefstadt) stehen) Vorschläge zur Reorganisation auf und formuliert ihren Unmut: Das Zustandekommen der Nominierungen, der Preisvergabe und die Form der Veranstaltung werde kritisiert, viele Kolleginnen und Kollegen hätten das Interesse an Veranstaltung und Preis verloren, weil die Theater nicht eingebunden seien und es keine Transparenz über das Zustandekommen der Abläufe, die Zusammensetzung der Gremien und das Procedere der Wahl und der Preisvergabe gebe.

Ein erstes Gespräch zwischen den Proponenten der Initiative und Vereinsvertretern soll in Schreiduellen geendet haben, berichtet "die Presse". "Die Reformer versuchen indes an verschiedenen Fronten, Tatsachen zu schaffen. So haben sie nach eigenen Angaben am 7. April selbst eine 'Österreichische Theaterakademie' als Verein eingetragen und behaupten erstaunlich selbstbewusst: "Diese Akademie wird in Hinkunft bindend für den 'Nestroy' sein müssen." Auch versuche man heftig, Verbündete zu finden. Im Moment scheine aber ein Großteil der Szene abzuwarten, wie der Kampf ausgeht.

"Käme die Initiative von den offiziellen Vertretungsgremien der österreichischen Theater, dem 'Wiener Bühnenverein', dem 'Theatererhalterverband Österreichischer Bundesländer und Städte' und der 'IG Theater' und würde die Diskussion offen geführt, hätten wohl viele kein Problem, sich an der Reformdebatte zu beteiligen", wird ein Insider zitiert. So liege der Ball beim Kulturamt, wo man ihn partout nicht haben will. Angeblich soll Theaterreferent Christopher Widauer aber längst intensive Gespräche mit den Reformkräften geführt haben.

Laut "Die Presse" habe das Kulturamt durchaus Vorstellungen, in welche Richtung es gehen soll: der Nestroy soll ein Kritikerpreis bleiben, und er soll weiterhin international wahrgenommen werden.

(sik)

Kommentare  
Streit um Nestroy-Preis: Die schlimme Sichtbarkeit der No-Names
Die schönste Stelle auf www.nestroy.org, "(hinter der der Schauspieler Paulus Manker sowie die Theaterdirektoren Michael Schottenberg (Volkstheater) und Herbert Föttinger (Theater in der Josefstadt) stehen)", verdient es, zitiert zu werden. Da sage einer, Nestroys Possen hätten keine Nachwirkung:
"Die Sitzordnung bei der Veranstaltung ist unprofessionell. No-Names sitzen auf wichtigen Plätzen. Bei Zwischenschnitten auf das Publikum müssen im TV aber Prominente zu sehen sein. Die Platzierung der wichtigen, für die TVKameras sichtbaren Plätze muss daher strategisch durchgeführt werden." Beim Opernball klappt es doch auch. Alsdann, reißt euch zusammen.
Streit um Nestroy-Preis: Meinungshoheit
Es geht also um die Meinungshoheit der Bilder im Markt und deren Werterhaltung. Wer setzt sich also ans Mischpult für den nächsten Nestroy?
Streit um Nestroy-Preis: künstlerisch relevant ist nur die Burg
Bei all dem sollte man bedenken: Die ganze Initiative kommt von Theaterleitern, die es in den letzten Jahren geschafft haben, ihr Haus in der künstlerischen Bedeutungslosigkeit zu versenken (Schottenberg am Volkstheater), oder die vergeblich darum kämpfen, ihrem Haus auch nur irgendeinen neuen Zugang zu Theater zu ermöglichen, aber am treuen aber veralteten Abopublikum scheitern (Föttinger an der Josefstadt). Was auch immer man von der Burg hält: Es ist künstlerisch das einzig relevante der großen Wiener Häuser. Da nützt es auch nichts, jetzt eine Scheindebatte um den Nestroy-Preis zu führen (Und das ist das Ganze hier) - die Auszeichnungen dort waren meist verdient; vor allem wenn man bedenkt, was sonst zur auswahl gestanden wäre ...
Streit um Nestroy-Preis: modern gestraffe Drei Schwestern
Ich habe gerade erst gestern in der Josefstadt "Drei Schwestern" in einer modern gestrafften, klug interpretierenden Inszenierung gesehen, hervorragende Schauspieler...

Leider, egal ob damit die Josefstadt einen Nestroy einheimsen kann oder nicht, muss ich jetzt "dem Wiener" recht geben: ein Teil des (Abonnement)-Publikums hat sich sichtlich nicht davon angesprochen gefühlt...
Streit um Nestroy-Preis: Peymann-Jahre als Feelgood-Version
Seltsam - ich habe in den "Drei Schwestern" nur gelitten. Ja, Föttinger muss sein Publikum jetzt erst Mal ins 20. Jahrhundert holen, bis dieses dann irgendwann vielleicht mal im 21. ankommt. Gerade ist er dabei, die Peymann-Jahre als Feelgood-Version nachzuholen. Aber warum soll ich mir das ansehen, wenn es eben auch Burg, Festwochen usw... gibt? Das bleibt hinter jeder "Drei Schwestern"-Interpretation zurück, an die ich denken kann - egal ob von Stein oder - erst unlängst in Wien zu sehen - von Castorf. Und wenn das Publikum da schon nicht mitgeht, wie soll das weitergehen?
Streit um Nestroy-Preis: unangenehm persönlich
@5: Also meine Interpretation der verhaltenen Publikumsreaktion war, dass in Zeiten in denen der ganz notmale Mittelstand (Josefstadtbesucher) immer mehr mit Existenzsorgen, Schulden, verlorenen Jobaussichten etc. konfrontiert wird und die Angst, dass Emporkömmlinge "das ganze Haus besetzen" bei den Vermögenden anklopft, die Schicksale der DREI SCHWESTERN als unangenehm persönlich empfunden werden.

Auch ich war bei den vergangenen Festwochen in "Nach Moskau, nach Moskau". Der Exodus, der in meiner Vorstellung stattgefunden hat, hätte den ganzen Saal der Josefstadt total geleert. Allerdings nicht aus Betroffenheit sondern wegen Orientierungsproblemen. ("Da kennt sich ja kein Mensch mehr aus.."). Ich habe zwar die fulminante Darstellung stark bewundert, aber eine Verknüpfung mit meiner mitteleuropäischen Lebenswelt konnte ich nicht hergestellen.
Streit um Nestroy-Preis: typische Mittelschicht?
Ich glaube nicht, dass das großteils ältere, pensionierte, gut situierte Josefstadt-Publikum als "typische Mittelschicht" bezeichnet werden kann. Auch habe ich bei meinem Besuch keine Auseinandersetzung des Publikums erahnen können; zumindest an der Garderobe hörte ich nur den üblichen Unsinn von: "So modern! Doch nicht an der Josefstadt! usw..."

Und Wien und Castorf ist ohnehin immer eine Sache: Immer ausverkauft - aber nur bis zur Pause. Allerdings: Die verbleibende Hälfte der Zuseher hat, als ich in der Vorstellung war, diese auch frenetisch gefeiert. Mit der Aussage "Da kennt sich ja kein Mensch mehr aus.." kann ich wenig anfangen, ohne an der Intelligenz der Zuschauer zu zweifeln. Das war doch Castorfs klarste, direkteste, geradlinigste Inszenierung seit Ewigkeiten.

Und das, was Sie an der Josefstadt-Inszenierung gesehen haben, wurde hier doch viel deutlicher: Die Hysterie der drei Schwestern, die Wohlstands-Angst in direkter Konfrontation mit den "Bauern", die seelische Verwahrlosung der einen, die körperliche Verwahrlosung der anderen. Wenn Sie das angesichts prekärer Sozialsysteme und wieder dicht gemachten Schengen-Grenzen nicht auf ihre "mitteleuropäischen Lebenswelt" beziehen können, dann weiß ich auch nicht...!
Streit um Nestroy-Preis: bei allem missionarischen Eifer
Meinen Sie wirklich, dass man Zustimmung und Ablehnung im Theater an der sozialen Zugehörigkeit des Publikums festmachen kann? Sozial dürfte sich das Publikum des Burgtheaters nicht wesentlich von dem der Josefstadt unterscheiden. Und auch die gewagtesten Theaterexperimente, das politisch engagierteste Theater hat größtenteils ein bürgerliches bis kleinbürgerliches Publikum (das übrigens einer großbürgerlichen Schauspielerin applaudiert, wenn sie Brechts "Lob des Kommunismus" vorträgt). Kann man nicht damit leben, dass Zuschauer, ja sogar professionelle Kritiker, unterschiedliche Kriterien, Geschmäcker und Vorlieben haben? Warum müssen alle mögen oder verabscheuen, was man selbst mag oder verabscheut? Man kann sogar aus sehr unterschiedlichen Gründen eine Aufführung ablehnen oder bejubeln. Vielleicht sollte man, bei allem missionarischen Eifer, mehr Gelassenheit an den Tag legen und sich darüber freuen, dass es etwas gibt, was einem gefällt. Nur eins ist gefährlich: wenn die Theatermacher ihre eigenen Überzeugungen verraten. Ob, aktuell, einem der Spielplan der Wiener Kammeroper gehagt oder nicht - dass sie nicht durch die Politik gezwungen werden sollte, ihn einzustellen, wäre doch ein gemeinsames Ziel.
Streit um Nestroy-Preis: Theaterakademie ist interessant
Ähm, um doch wieder zum Thema zurückzukommen: Der Nestroy-Preis benötigt, so er das nicht hat, tatsächlich eine transparente Organisation. Es muss klar sein, wer warum und von welchen Leuten nominiert wird, und wer berechtigt ist, für die jeweiligen Preisträger zu stimmen.
Wenn die Veranstaltung im TV übertragen wird, ist zudem auf eine bildschirmtaugliche Inszenierung zu achten. Tatsächlich ist nicht einzusehen, warum nominierte Künstler irgendwo hinten sitzen, während bessere Plätze von Society"größen" und anderen Menschen besetzt werden, die eben gute Kontakte zu den Veranstaltern besitzen (und an gute Plätze gelangen). Die jeweils Nominierten müssen auf jeden Fall gut platziert werden, um sie geht es, sonst um niemanden.
Die Österreichische Theaterakademie ist natürlich eine interessante Idee und vollzieht das Modell nach, das auch beim Österreichischen Filmpreis zur Anwendung gelangt (und letztlich auf die Academy in L.A., die die Oscars vergibt).
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