Unabänderlich radikale Interpretation

München, 17. April 2015. Frank Castorfs urheberrechtlich umstrittene Münchner Baal-Inszenierung nach Bertolt Brecht wird nach dem Gastspiel beim Berliner Theatertreffen am 17. Mai 2015 definitiv abgesetzt. In einem Vergleich mit den Brecht-Erben vor dem Landgericht München 1 waren der Inszenierung in ihrer aktuellen Form noch zwei Aufführungen gestattet worden. Es gab Überlegungen zur Umarbeitung des Abends. Sie erwiesen sich als nicht realisierbar, wie das Münchner Residenztheater heute mitteilt. Martin Kušej, Intendant des Münchner Residenztheaters, äußert sich zu dem Vorgang wie folgt:

"Das kunstfeindliche Einschreiten der Rechteinhaber gegen Frank Castorfs Inszenierung hat uns gezwungen, in den letzten Wochen gemeinsam mit dem Regisseur intensiv über diverse Möglichkeiten nachzudenken, diese Inszenierung grundlegend zu verändern und damit zu Baal1 280 MatthiasHorn uDas steht da so nicht: Castorfs "Baal" mit Fremdtext © Matthias Hornverhindern, dass dieser grandiose Abend nicht mehr gezeigt werden kann. Dabei hat sich für uns bestätigt, was wir immer wussten: Dieser Abend ist formal und inhaltlich eine radikale Interpretation von Brechts Stück. Ohne fundamentale künstlerische Einbußen ist weder die vom Verlag geforderte 'Werkeinheit' wiederherzustellen, noch eine Interpretation des Stücks unter Ausschluss desselben sinnvoll denkbar. Es zeigt sich also, was von Anfang an zu befürchten stand – das im Vergleich zu den von Bertolt Brecht geschriebenen 'Baal'-Texten ungleich flüchtigere, fragilere und damit schutzbedürftigere Bühnenkunstwerk hat die Engherzigkeit und den Kleinmut der Erbin und ihrer Vertreter nicht überlebt. Wir müssen feststellen, dass es nicht gelungen ist, Brechts Werk vor seinen Verwaltern zu schützen und einer lebendigen künstlerischen Auseinandersetzung zu erhalten. Der Schaden für den Autor, seinen Text und das Theater könnte größer nicht sein.

Da wir immer wieder gefragt werden – selbstverständlich und juristisch einwandfrei werden die vollen Tantiemen der 'Baal'-Vorstellungen von Erbin und Verlag 'hingenommen', wie der vorsitzende Richter im Prozess formulierte."

(chr)

 

mehr meldungen

Kommentare  
Keine Neuauflage für Castorfs "Baal": angemessen
Eine konsequente Entscheidung und ein ebenso klares wie angemessenes Statement, dem man nichts hinzufügen muss.
Keine Neuauflage für Castorfs "Baal". auf den Punkt gebracht
sehr gutes statement, bringt die situation auf den punkt!
Keine Neuauflage für Castorfs "Baal": und die Dramaturgie?
warum regt sich eigentlich keiner über das kommunikationsmismanagemant der theaterdramaturgie und die relativ sinnlose versenkung von geld.
Keine Neuauflage für Castorfs "Baal": wieviel kostete Verstoß gegen Vergleich?
Wie hoch ist die Bewehrung beim Unterlaufen des Vergleichs??

Wer bekäme dieses Geld? Die Erben? Würden die es annehmen? Mehr Druck!
Keine Neuauflage für Castorfs "Baal": Auseinandersetzung provoziert?
Die Politik des Theaters erschien mir von Beginn an höchst sonderbar. Üblicherweise werden ja Rechte-Fragen in ordentlichem Abstand vor der Premiere geklärt; außer bei Castorfs zu Hause, wo auch schon mal Aufführungsrechte am Premierenabend geklärt wurden ... Das nun aber gerade Castorf nicht "Brecht vom Blatt" inszenieren würde, war ja in München jedem klar. Hat das Theater die Inszenierung also fahrlässig und sehenden Auges in dieses Desaster und an die Wand gefahren? Oder hat es (was viel schlimmer wäre) die Auseinandersetzung womöglich gar liebend gern in Kauf genmommen, sie gar provoziert: der eigenen Medienpräsenz wegen? Das könnte der sehr geschätzte Martin Kusej auch noch erklären.
Keine Neuauflage für Castorfs "Baal": verkehrte Welt
So ist das also: Es sei nicht gelungen - so das Residenztheater - das Werk Brechts vor seinen Verwaltern zu schützen. Und deshalb muss es abgesetzt werden. Wer muss hier eigentlich geschützt werden: Brechts WErk vor seinen Verwaltern oder doch eher Brechts Werk vor seinen sogenannten Interpreten? Verkehrte Welt.
Kommentar schreiben