Steht auf und zeigt eure Solidarität!

30. Juni 2023. Die Gruppe Flinn Works hat sich spezialisiert auf Recherchetheater, das globale Ausbeutungszusammenhänge erfahrbar macht. In ihrer neuen Arbeit geht es um die Entstehung der Nationalparks in Tansania. Eine hybride Tour durch wunderschöne Landschaften und ihre düstere Kolonialgeschichte.

Von Theresa Schütz

© Alexandra Barta

30. Juni 2023. Green Grabbing, auch grüner Kolonialismus genannt, bezeichnet die Aneignung natürlicher Ressourcen zu Umweltschutzzwecken. Journalist John Vidal brachte den Begriff 2008 in die Debatte um private Landkäufe zur Schaffung von Schutzgebieten im Globalen Süden ein. Für die neue Produktion "Ultimate Safari", die im TD Berlin Premiere hatte und in Folge beim Festival Theater der Welt gastieren wird, kooperiert die Performancegruppe Flinn Works (erneut) mit der tansanischen Organisation Asedeva. Gemeinsam widmen sie sich dem komplexen Zusammenhang von Safari-Tourismus, Wildtierschutz und der mit dem Green Grabbing verbundenen Vertreibung der indigenen Bevölkerungsgruppe der Maasai aus Teilen tansanischer Nationalparks.

Willkommen im Nationalpark!

Die Zuschauer:innen sind eingeladen, sich ausgestattet mit Sitzeimer und VR-Brille unter Animation der beiden tansanischen Künstler:innen Happiness Majige und Isack Abeneko sowie Konradin Kunze auf eine produktive Ambivalenzen hervorbringende (Bildungs-)Reise zu begeben. Erste 360°-Filmszenen versetzen uns mitten in einen der zahlreichen tansanischen Safari-Parks. Die Weite der Landschaft, ein paar vorbeischreitende Giraffen, im Schatten der Bäume versteckte Affen werden sichtbar, dazu wehen uns illusionsverstärkende analoge Ventilatoren Wind ins Gesicht. Im Verlauf des Abends wechseln sich Performance-Szenen im Bühnen- und dokumentarische Reise-Szenen im virtuellen Raum ab.

Beide Ebenen zielen dabei gekonnt auf die Dekonstruktion ebenjenes kolonialen Safari-Formats, dessen sich die Inszenierung im ultimativen Aneignungsmodus selbst bedient. Denn natürlich spielt hier durch die Auswahl der Kamerapositionen, die Team und Park-Besucher:innen immer wieder mit ins Bild holt, gepaart mit den Distanz schaffenden Unterbrechungen und dem ironischen Bedienen der experience industry-Konsumlogik das Wissen um die gleichfalls koloniale Genealogie immersiver Weltbetrachtungsapparate mit hinein.

Die drei Guides im Zebra-Look affirmieren zunächst unsere Tourist:innen-Rolle, reichen nach Bedarf tansanischen Kaffee und rufen mit der Frage, wer von uns die Filme "Der König der Löwen" oder "Serengeti darf nicht sterben" von Bernhard Grzimek gesehen habe, jene stereotypen Bilder auf, die hiesige Vorstellungswelten vom afrikanischen Kontinent immer noch prägen. Wildtiere in freier Natur, menschenleere Steppen – Hakuna Matata. Nach virtuellem Halt vorm Naturschauspiel des Ngorongoro Kraters werden uns Exemplare traditioneller Maasai Shuka Tücher zum Kauf angeboten. Denn das sind wir als Tourist:innen in Tansania auch: eine wichtige "business opportunity". 

Vertreibung und rassistische Rhetorik

Eine ebensolche stellt die Errichtung der insgesamt 22 Nationalparks in Tansania selbst dar. Für sie mussten nicht nur (wie 1884 bei der Kongokonferenz) neue Grenzen gezogen und eine bewachende Behörde installiert werden, sondern Tausende Maasai mussten der mehrheitlich weißen, die "Big Five" anvisierenden Schaulust weichen. Die Performer:innen illustrieren dieses Vorgehen, indem sie ein willkürliches Dreieck im Publikumsbereich mit Klebestreifen markieren, sodass sich die im 'Grenzgebiet' sitzenden Gäste einen neuen Platz suchen müssen. Bis heute werden diese gewaltsamen Eingriffe in das Mensch-Natur-Ökosystem in Tansania vornehmlich mit Natur- und Wildtierschutz legitimiert – und von Staaten wie Deutschland finanziell mit Millionenbeträgen unterstützt. 

Suchen Sie sich bitte einen neuen Platz/Ort zum Leben! © Alexander Barta

Nach einer Filmsequenz, die unseren touristischen Blick auf einen Landstrich richtet, der von Mitgliedern der Maasai-Bevölkerung bewohnt wird, erhält der im Programmheft als Experte aufgeführte Leiyo Singo, der aktuell an der Universität Bayreuth promoviert, für eine circa zehnminütige Lecture die Bühne. Singo, selbst Massai, rekurriert nochmal auf die Rolle, die der deutsche Tiermediziner Bernhard Grzimek bei der Implementierung von Wildparks als menschenleere "conservation areas" Ende der 1950er Jahre in Tansania spielte. Dessen "Save African wildlife from the Africans"-Rhetorik klingt auch in den Worten von Tansanias Präsidentin Samjia Suluhu Hassan nach, wenn sie 2021 davon spricht, dass das Ngorongoro-Schutzgebiet wegen der fast 100.000 Massai und ihrer Viehherden vom Aussterben bedroht sei. Die aktivistische Intention hinter Singos Intervention richtet sich dabei unzweideutig an uns: "Stand up and show solidarity!" 

Theatrale Aufklärungsarbeit

Wie auch schon in ihren Vorläufer-Produktionen "Global Belly" (2017) oder "Learning feminism from Rwanda" (2020) zielen Flinn Works mit ihrer künstlerisch-aktivistischen Arbeit auf die Erzeugung von Multiperspektivität. Wenngleich die Perspektive auf die in Tansania lebenden Maasai trotz authentifizierender Experten-Rede und auch trotz Nah-Dran-Effekt der 360°-Aufzeichnung eines Maasai-Meetings eine Außen-Perspektive bleibt, mindert dies nicht die beachtliche Leistung der Inszenierung, den Wissenskomplex, dass selbst vermeintlich unbedenklicher und unterstützenswerter Natur- und Wildschutz für koloniale, kapitalistische Zwecke missbraucht wird, in seiner Historizität und Perfidität nachhaltig erfahrbar gemacht zu haben. 

Ultimate Safari  
von Flinn Works in Zusammenarbeit mit Asedeva
Regie: Sophia Stepf, Künstlerische Mitarbeit: Alexandra Hernández Ceaicovscaia, Ausstattung: Lea Dietrich, Video/VR: Jürgen Salzmann, Choreografie: Isack Abeneko, Sound: Andi Otto, Licht: Susana Alonso.
Mit: Isack Abeneko, Konradin Kunze, Happiness Majige und als Experte Leiyo Singo/Laibor Moko. 
Premiere am 29. Juni 2023
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.td.berlin

 
Kritikenrundschau

Als "kluge Komposition aus den Videos, tänzerisch und musikalisch begleiteten Szenen und einer auf Deutsch und Englisch gehaltenen Lecture über die Schattenseiten des Tierschutzes", beschreibt Michael Wolf im nd (2.7.23) die Inszenierung. "Man lernt eine Menge, doch anders als oft im Recherche- und Dokumentartheater hat man hier nicht den Eindruck, man könnte genauso gut ein Dossier oder ein Sachbuch zum Thema lesen", argumentiert der Kritiker. Die Clips und das direkte Spiel des Ensembles vermittelten "tiefere Eindrücke", gäben "Anlässe, sich selbst als Akteur wahrzunehmen". 

"Die verspäteten 75 Minuten hatten sicher Goodwill-Charakter, aber hey, was ist an gutem Willen auszusetzen?" schreibt Marcus Hladek anlässlich des Gastspiels bei Theater der Welt in Frankfurt in der Frankfurter Rundschau (10.7.2023). "Hübsch, wie im Spiel ein langer Klebstreifen die Parkgrenzen-Willkür andeutete und kolonialkritische Fragen rund um Tansanias und Kenias Wildparks aufkamen, um uns ironisch-unironisch zu agitieren."

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