Das Leben des Siegfried - John von Düffel beleuchtet den germanischen Helden neu
Das ganze Heldenlied und so weiter
von Esther Boldt
Worms, 31. Juli 2009. Eigentlich haben sie beide eine andere Mission: Seefred soll Indien entdecken und beweisen, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Kriemhild will internationales Recht studieren und später die Macht übernehmen. Aber da sie beide zur falschen Zeit am falschen Ort sind, können sie sich nicht zu Höherem aufschwingen, sondern nur einen Bauchplatscher ins Gewöhnliche hinlegen. Gewöhnlich? Diese Liebe? Entstanden unter dem rotgoldenen Mond über Worms, vor der imposanten Kulisse des Kaiserdoms? Eine Liebe mit blutigem Ende, Eifersucht und Intrige? Aber diese Fehlplatzierung hat Methode.
Denn zur Eröffnung der Nibelungenfestspiele in Worms ist alles anders als sonst. Die Bühne ist erstmals an der Westseite des Doms installiert, erstmals wird eine Komödie gezeigt: "Das Leben des Siegfried", geschrieben von John von Düffel und uraufgeführt von Gil Mehmert. Aus dem Tragödienstoff hat von Düffel eine zitat- und temporeiche Verwechslungskomödie gemacht, die ironisch fragt: Was, wenn der Held gar kein Held ist? Wenn er nicht halten kann, was alle sich von ihm versprechen, weil er seine Geschichte nicht durchlaufen hat, das ganze Heldenlied mit Drachenblutbad und Lindenblatt, Nibelungenhort undsoweiter?
Siegfried, das Original?
Denn wo er auch auftaucht, wird Seefred als Siegfried angesprochen. Seefred ist zufällig zur selben Zeit am selben Ort geboren wie Siegfried, und auch er trägt sein blondes Haar wie einen teutonischen Helm. Doch er ist nur ein einfacher Gewürzhändlerssohn, aufgebrochen, um Indien zu entdecken und Sackweis' Curry mit nach Hause zu bringen. Anstatt aber in Hinterindien zu landen, geht sein Schiff vor Island zu Bruch, wo er mit Brünhild eisläuft und die knallharte Walküre (Nina Petri) mit seiner Unbeholfenheit entzückt. Sinngemäß sagt Seefred zu Brünhild, sie sei nicht seine Mission – aber trotzdem müsse er da durch, mit allen Konsequenzen: Ein verhinderter Entdeckungsreisender, der in die Abenteuer eines anderen hineinstolpert, und dessen vorauseilenden Ruf.
Mathias Schug als Seefred wurschtelt sich tapfer durch, im zu großen Hemd, das ihm um die Knie schlackert, mit wenig Eleganz, aber einem stoischen Überlebenswillen. Den Lauf der Geschichte ändert das, wer hätte das gedacht, keinen Meter. Am Ende liegt er tot auf seinem Hochzeitsbett, und als Kriemhild und Hagen Tronje das alte Lied anstimmen, läuft einer eiligen Fußes die Stufen herunter: Siegfried! Das Original!
Weltgeschichtliches Durcheinander
Es ist André Eisermann mit wehendem blauen Cape und blanker Brust, der hier häufig genug den Siegfried gespielt hat, um nun als guter Treppenwitz durchzugehen. Denn wie stets in Worms sind die Rollen mit aus Film und Fernsehen bekannten Schauspielern besetzt, die für volle Reihen und Blitzlichtgewitter sorgen. Christoph Maria Herbst spielt einen überschlauen, machtversessenen Hagen, der in seiner Zuneigung zu Kriemhild doch eine Restsympathie behält. Und Gustav Peter Wöhler gibt als König Gunther seinen Counterpart, eine kleine, windige Gestalt, der nichts an Macht liegt und alles an Gemütlichkeit.
Es herrscht ein systematisches weltgeschichtliche Durcheinander in von Düffels Stück, das nur so vor Zitaten strotzt, von Brünhilds krächzenden Raben, die Udo und Jürgens heißen, über Galilei und Kolumbus zur Titanic, die hier "Teutonic" heißt. Außerdem sind seine Helden ziemlich modern, haben sich doch lauter Möglichkeiten – ohne sich für eine Wirklichkeit entscheiden zu können. Allerorten herrscht der Konjunktiv, doch das Tragische im Komischen ist, dass er niemals Wirklichkeit werden kann. Denn bis die Frau nicht mehr allein aufs Heiraten und Kinderkriegen festgelegt wird, so Kriemhild, könne es noch zwei-, dreitausend Jahre dauern.
Ungläubig zitterndes Erkennen
Bis zur Entdeckung Amerikas fließt auch noch viel Wasser den Rhein runter. Aber es ist ein hinreißender Moment, wenn Seefred und Kriemhild nachts am Hafen zufällig übereinander stolpern und sich unverhofft entbergen, was sie sich am meisten ersehnen. Da sehen sich der zarte Seefred und die blond-bestimmte Kriemhild (Susanne Bormann) in ungläubig-zitterndem Erkennen an, und der große Festspielklamauk mit waberndem Nebel und flackernden Fackeln schweigt für eine kurze Weile.
Der Klamauk, der allerdings nicht zu verachten ist: Mehmerts Inszenierung zeigt herrlichen Slapstick mit zahllosen Comic- und Musicalanleihen, mit guten Schauspielern, die sich im furiosen Pingpong kongenial Repliken zupassen, großen Bildern, hohem Unterhaltungswert und Liedern zum Mitwippen: Also im Grunde alles, was ein Sommerabend braucht.
Das Leben des Siegfried (UA)
von John von Düffel
Regie: Gil Mehmert. Mit: Christoph Maria Herbst, Nina Petri, Gustav Peter Wöhler, Mathias Schlung, Susanne Bormann, Gennadi Vengerov, André Eisermann, Inga Busch, Mark Weigel, Thorsten Krohn.
www.nibelungenfestspiele.de
Mehr lesen? Bei den Nibelungenfestspielen 2008 inszenierte Festspielintendant und Fernsehregisseur Dieter Wedel Siegfrieds Frauen/Die letzten Tage von Burgund von Moritz Rinke.
Kritikenrundschau
"Die größte deutsche Heldensage" werde hier "in den Komödienpfuhl" gestoßen, schreibt Sophie von Puttkamer auf Spiegel online (1.8.2009). Die Späße seien dabei "vorhersehbar und auf dem Niveau der Comedy im Privatfernsehen". Dass John von Düffel "die Geschichte in vielen Punkten verfälscht hat", sei nicht tragisch. "Tragischer ist vielmehr, dass das um der Komik willen Hinzugefügte nicht immer lustig ist." Es habe aber auch "Glanzpunkte" gegeben: "Die stotternde Komödienmaschinerie wird geschmiert von glänzenden Schauspielern, allen voran Christoph Maria Herbst als Hagen. (...) Hervorragend auch Nina Petri als Brünhild, stärkste Frau der Welt, der alles Kräftemessen, alle Heldentaten und der ganze Geschlechterkampf gewaltig auf den Senkel gehen." Höhepunkt der diesjährigen Inszenierung sei aber "vielleicht" die Musik: "Komponist Gerd Baumann und Brassband sorgen nicht nur für heitere Klänge, sondern spielen auch als Volk von Xanten, als Walküren oder Hoforchester im Geschehen mit."
"Nun schäumen sie wieder: der Champagner und das Drachenblut. Rot gefärbtes Wasser blubbert aus den Fontänen im Park rund um den Dom, wo die deutsche Fernsehprominenz schon Stunden vor der Vorstellung ihren Marktwert spazieren führt. (...) Und die Wormser Stephansgasse darf sich einbilden, sie sei die Croisette," ätzt Christopher Schmidt in der Süddeutschen Zeitung (3.8.2009). Dem Auftragsstück von Dieter Wedels Dramaturgen John von Düffel sehe man allerdings die arbeitan, "die es gekostet hat, den rostigen Recken des Nibelungenliedes funny bones zu implantieren. Gleich zu Beginn rammt Siegfrieds Schiff, die "Teutonic", einen Eisberg: So versenkt man einen Nationalhelden und verklappt das ideologische Gift des deutschen Urmythos." John von Düffel kalauert sich aus Schmidts Sicht an der Schmerzgrenze durch "Das Leben des Siegfried" und habe auch ein paar Show-Elemente eingebaut. Gleichwohl seien Stück und Inszenierung den äußeren Bedingungen nicht gewachsen. "Statt die Rampensau rauszulassen", versuche das Ensemble, "die Situations- und Typenkomik zu erfinden, die dem Stück fehlt." Denn der Autor für Schmidt genauso "passiv wie sein Seefried: Er reagiert immer nur und versucht, alle Vorgaben des Stoffes ins Harm- und Gefahrlose abzulenken."
"Diese Fassung wird sich dem Gedächtnis der Menschheit nicht einprägen," stellt kurz und schmerzlos Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (3.8.2009) fest, obwohl das Nibelungenlied pünktlich zur Premiere zum Weltkulturerbe erhoben worden sei.
Deutlich gewogener ist Reinhard Wengierek in der Tageszeitung Die Welt (3.8.2009) "Diesmal, in Düffels Toberei um allerhand Flach- und einigen Tiefsinn, in diesem Heroismus und Größenwahn amüsant bloßstellenden Allotria voller dramaturgischer Volten gelingt Regisseur Gil Mehmert ziemlich gut die Balance zwischen feinherb Satirischem und klotzigem Spaßgeballer. Dafür steht ihm eine tolle Truppe todernster Komiker zur Verfügung."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 21. September 2023 Nominierungen für den Faust-Theaterpreis 2023
- 21. September 2023 Lukas Bärfuss gibt Vorlass ans Schweizerische Literaturarchiv
- 21. September 2023 Hamburg: Barbara Kisseler Theaterpreis 2023 vergeben
- 21. September 2023 Update Berlin: Intendant sieht Ku'damm-Komödie bedroht
- 21. September 2023 NRW verstetigt Theater-und-Sozial-Projekte
- 21. September 2023 PEN-Schrifsteller Dawood Siawash tot aufgefunden
- 21. September 2023 Update Wiesbaden: Konflikte am Staatstheater spitzen sich zu
- 21. September 2023 Europäischer Lebenswerk-Preis für Vanessa Redgrave
Ohne vorab Info hätte ich (mit hohem Wetteinsatz:-) abgestritten, daß dies nach einem Buch
John von Düffels inszeniert worden ist.
Neben von Düffels wahnsinns-genialem "Joseph" hier am Düsseldorfer Schauspielhaus, nimmt sich sein "Siegfried" doch eher wie die ambitionierte Arbeit locker-cooler Fun-Studenten aus.
Eben wie uns schon Heinz Schenk lehrte: Witzischkeit kennt keine Grenzen, Witzischkeit kennt kein Pardon ...
So muß ich mich 'den dreien' über mir anschließen, vielleicht zum Pardon anmerken (habe mich, wie o.a. Günther, auch fremdgeschämt), daß so ein Fehlgriff, sollte er sich nicht wiederholen, jedem mal zugestanden werden kann.
Der angedeutete Vergleich Harald U. mit "Joseph und seine Brüder" klemmt gewaltig. In der Tat ein ganz besonderes Theatererlebnis mit Texten des Dichters Thomas Mann, gekürzt, zerlegt und neu zusammengestellt vom Arrangeur John von Düffel.
bin Kritik immer und gerne aufgeschlossen, nur, was klemmt denn?
Wenn mein Vergleich nicht ganz zulässig sein sollte, doch deshalb, weil der 'Jo' ein Drama und der 'Siggi' eine Komödie ist. Klar, Apfel und Birne:-)
Mir ging's eher darum, wie o.a. Günther mir aus dem Herzen sprach: "wenn schon Slapstick, dann bitte auch richtig."
Was in Worms geliefert wurde war, das meine ich nicht so abwertend wie's jetzt vielleicht klingt, auf Otto-Niveau.
Habe Otto geliebt, damals 1973/74, der war ganz wichtig und er hat unvergessene Beiträge zu Comedy- und Satire geleistet. Was wäre z.B. die deutsche Sexual-Semantik ohne ihn?
Aber die Pythons, die ich ab 1975 kannte, daß war doch noch mal ein ganz gewaltig anderes Kaliber, nicht?
Und genau auf die Pythons bezieht sich der gute (bitte entschuldige, Emil) von Düffel, wenn er mit dem Wormser Titel die Meßlatte selbst auflegt, die er (leider) untersprungen hat.
Nicht wegen der gezeigten Geschichte - übrigens viele Klassiker bieten ehrlicherweise noch skurilere Stoffe.
Nein ihr armen Fernseher. Die Inzenierung vor dem Dom war ein stetiges Feuerwerk von photograhisch exakt stimmenden Bildern, überraschenden Einfällen, Spitzenschauspielern und bemerkenswert passenden Musikstücken. Dieser Bildergenuß konnte auch nicht mancher Text und Klamauk stören.
Worms war doch eine Reise wert.