Akademie für das Theater der Zukunft – Kay Voges und Alexander Kerlin über ihre Pläne für eine Akademie für Theater und Digitalität
Auch Coding kann Kunst sein
von Esther Slevogt
Dortmund, 2. März 2018. Das Theater Dortmund plant eine Akademie für Theater und Digitalität. Standort soll eine alte Grundschule in Dortmund-Kley werden. Neben der Sanierung und Erweiterung des Zentralbaus um Vortragssaal, Seminar- und Laborräume ist vom Dortmunder Archtitekturbüro .dxl unter anderem ein Anbau mit Studios, Werkstätten und einem Lichttheater geplant. Die in vier Phasen gedachte Planung sieht die stufenweise Entwicklung des Standorts zu einem umfangreichen Ausbildungscampus vor. Gründungsveranstaltung für die Akademie war die Konferenz Enjoy Complexity am vergangenen Wochenende, an deren Rande Esther Slevogt mit den Initiatoren der Pläne, dem Dortmunder Intendanten Kay Voges und dem Dramaturg Alexander Kerlin, sprach.
nachtkritik.de: Können Sie die Pläne für die Akademie kurz erläutern?
Kay Voges: Es gibt etwa 40.000 Bühnenmitarbeiterinnen und Bühnenmitarbeiter in Deutschland und das Ziel ist, mit dieser Akademie einen Ort zu schaffen, an dem sie sich alle weiterbilden und fit fürs digitale Zeitalter machen können, von der Requisiteur*in bis zum / zur Regisseur*in. Die Akademie soll auf drei Säulen stehen: Weiterbildung ist nur die erste Säule. Die zweite Säule gilt der praktischen Forschung: neun Stipendiat*innen werden hier in Zukunft jeweils ein halbes Jahr lang forschen dürfen über neue Formen und Erzählweisen im Theater im Zuge von Technisierung und Digitalisierung. Die dritte Säule ist das Studium: Da wünschen wir uns mittelfristig, einen technisch-künstlerischen Masterstudiengang anbieten zu können.
Alexander Kerlin: Das, was wahrscheinlich am frühesten realisiert werden wird, ist der Weiterbildungs- und Qualifizierungsblock, den wir gemeinsam mit Wesko Rohde und Hubert Eckart von der DTHG planen ...
... das ist die 1907 gegründete Deutsche Theatertechnische Gesellschaft, der Berufsverband der Theater- und Veranstaltungstechniker*innen. Laut Selbstbeschreibung handelt es sich um das größte Netzwerk der theater- und veranstaltungstechnischen Branche in Deutschland. Wesko Rohde ist Vorsitzender, Hubert Eckart Geschäftsführer der DTHG.
Kerlin: Wir werden hier im Akademiegebäude also zunächst Fortbildungen anbieten für die handwerklich-künstlerischen und technisch-künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Theater. Das nächste, was wir realisieren wollen, ist das Stipendiatenprogramm. Dort können sich dann postgraduierte Künstlerinnen und Künstler, Technikerinnen und Techniker bewerben und für sechs Monate gut finanziert arbeiten. Das Besondere ist dabei: Was in dieser Zeit erarbeitet wird, kann dann auch direkt auf unseren Bühnen ausprobiert werden. Für den geplanten Master-Studiengang schließlich sind wir mit der Folkwang Universität der Künste in Essen und der Fachhochschule Dortmund als Partner im Gespräch.
Das klingt nach zügiger Umsetzung ihrer Pläne. Aus den Eröffnungsreden der Konferenz u.a. der Ministerin für Bildung und Wissenschaft in NRW Isabel Pfeiffer-Poensgen, von Dortmunds Stadtkämmerer und Kulturdezernenten Jörg Stüdemann, aber auch von Bühnenvereinsgeschäftsführer Marc Grandemontagne klang ebenfalls ein enormer politischer Wille heraus, die ehrgeizigen Pläne baldmöglichst zu realisieren. Wann werden die ersten Module der Akademie ans Netz gehen?
Kerlin: Die aktuelle Phase ist gerade sehr spannend, denn nun geht es um konkrete Finanzierung. Es gibt noch keine Zusagen, aber einige Absichtserklärungen. Wir sprechen mit dem Land, wir sprechen mit der Stadt Dortmund, wir sprechen mit der Bundeskulturstiftung darüber, wie eine mögliche Architektur der Aufteilung sein könnte, welcher Partner welchen Part übernimmt.
Voges: Um diese Schule hier fit für den Akademiebetrieb zu machen, müssten erst einmal ein paar Grundsanierungsmaßnahmen durchgeführt, eine Infrastruktur hereingebaut werden. Das wäre Bauphase 1. Wir würden uns allerdings wünschen, relativ schnell in Bauphase 2 zu kommen, also dass hier gleich ein Ort entsteht, der schon vier Forschungslabore hat: ein Labor für Motion Capturing, ein Labor für Licht, ein Labor für Green Screen und Kamera, dann ein sogenanntes Fab Lab, eine Werkstatt, in der man mit neuen Produktionstechnologien wie Bauteilen oder Masken aus 3D-Druckern experimentieren kann. Wir wünschen uns auch eine kleine Bühne, Vortragssäle und ein Digital Hub, also Arbeitsräume für die Stipendiaten, in denen geschnitten, gerechnet, programmiert und konstruiert werden kann.
Wie genau stellen Sie sich die institutionelle Architektur der Akademie vor?
Voges: Die Weiterbildungsprogramme können wir ganz normal vom Theater aus stattfinden lassen. Die DTHG macht ja schon jetzt sehr viele Fortbildungen. Der digitale Schwerpunkt könnte dann in Dortmund stattfinden.
Kerlin: Die Idee ist, dass sich das Qualifizierungsprogramm finanziell selbst trägt. Wir laden Expertinnen und Experten für das Angebot der entsprechenden Fortbildungen ein und die Theater schicken dann ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hierher und bezahlen diese Fortbildung auch.
Voges: Auch die Forschung können wir direkt vom Theater aus in unsere Obhut nehmen. Doch wollen wir für die Entscheidung über die Vergabe der Stipendien natürlich ein unabhängiges Gremium einsetzen. Wenn es allerdings an die Entwicklung eines Ausbildungsgangs im universitären Bereich geht, da brauchen wir natürlich Hochschulen als Partner. Ein solcher Studiengang könnte dann vielleicht nicht mehr unter der direkten Leitung des Theaters stehen. Wir wollen die Akademie aber nicht am grünen Tisch entwickeln. Sondern wir bauen sie da an, wo wir mit unserer Theaterarbeit in den letzten Jahren schon Grundlagen geschaffen haben. Auch gliedern wir die Akademie erst einmal an das Theater an, weil sie damit auf die Infrastruktur des Theaters – also Geschäftsführung, Buchhaltung, Controlling oder Marketing – zurückgreifen könnte. Dadurch werden Kosten gesenkt, Organisationsabläufe vereinfacht. Das ist besonders in der Anschubphase sehr wichtig.
Das ist ja auch aus historischer Perspektive folgerichtig: Als Max Reinhardt merkte, dass es die Schauspieler nicht gibt, die er am Anfang des 20. Jahrhunderts für sein völlig neuartiges Theater brauchte, hat er 1905 in Berlin kurzerhand eine eigene Schauspielschule gegründet, die ans von ihm geleitete Deutsche Theater institutionell angeschlossen war. Diese Schauspielschule existiert als (inzwischen staatliche) Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch bis heute. Ab dem Wintersemester 2018/19 wird es dort einen neuen Masterstudiengang Spiel und Objekt geben, mit dem die HfS ebenfalls auf die neuen (Produktions)bedingungen des Theaters im Digitalzeitalter reagiert.
Kerlin: Genau, deshalb ist es sehr wichtig, langfristig die Folkwang Hochschule mit ins Boot zu bekommen. Die Ernst Busch Hochschule ist mit dem Studiengang "Spiel und Objekt" vorausgegangen. Doch ich glaube, dass mehr künstlerische Elite-Ausbildungsstätten nachziehen sollten. Diese Hochschulen sollten darüber nachdenken, ob sie neben den klassischen Studiengängen wie Schauspiel, Regie, Dramaturgie, Bühnenbild und Kostüm auch eine künstlerische Ausbildung ermöglichen wollen, die sich mit Digitalität am Theater auseinandersetzt, die Technik und Kunst zusammenführt und gleichwertig neben anderen Sparten ansiedelt. Wir glauben, dass man nicht mehr vom hohen Ross der Kunst auf die technischen Berufe herabschauen kann. Im Zeitalter der Digitalisierung funktioniert diese Aufspaltung nicht mehr. Wie es Kay Voges schon im Rahmen der Konferenz gesagt hat: Auch Coding kann Kunst sein.
Voges: Mit der Digitalisierung entsteht ja im Augenblick ein ganz neues Feld – "Neuland", wie es Angela Merkel so schön ausgedrückt hat. Und die Frage ist jetzt: Wer betritt dieses Land? Wer sorgt sich um die Inhalte? Wer wird diese Inhalte produzieren? Werden das nur die großen kommerziellen Player sein? Welches sind hier die Möglichkeiten der Kunst, insbesondere natürlich des Theaters? Das ist ein riesen Forschungsbereich, für den es aber bisher noch keinen Ort gibt. Wir wollen diesen Ort jetzt schaffen.
Wie weit sind Sie bisher mit Ihren Überlegungen und Planungen für das Curriculum der Akademie?
Voges: Stand der Dinge ist: Wir haben eine Idee, es liegen die Entwürfe des Architrekturbüros dlx für den Komplex vor und es gibt mit der Essener Folkwanghochschule, der Fachhochschule Dortmund und der DTHG Institutionen, die mit uns kooperieren würden. Doch jetzt gehen die inhaltlichen Planungen eigentlich erst los.
Wann werden Sie denn Konkreteres sagen können? Die Ruhrnachrichten haben kürzlich den Finanzbedarf für den Aus- und Umbau des Schulgebäudes mit 3,5 bis 4 Millionen Euro beziffert.
Voges: Meine kühne Hoffnung ist, dass wir in einem Monat einen gehörigen Schritt weiter sein werden und vielleicht sogar bereits erste Finanzierungszusagen vorzuweisen haben. Dann wird allerdings noch die Frage zu beantworten sein: Baut die Stadt oder baut ein Privatinvestor, der den Akademiekomplex später an die Stadt vermietet. Die Beantwortung dieser Frage hat Konsequenzen auf Ausschreibungsformalitäten, die sich wiederum auf die Bauzeit auswirken können. An diesen Fragen sitzen wir gerade. Doch da bin ich dem Dortmunder Kulturdezernenten Jörg Stüdemann sehr dankbar, der höchst pragmatisch, lösungsorientiert und effektiv an die Sache herangeht.
Wird es in der Akademie ausschließlich um den Erwerb von technischem Wissen und Know How sowie die Erforschung der künstlerischen Möglichkeiten digitalbasierter Technologien gehen?
Voges: Mit der Akademie wird auch ein Denkraum entstehen, an dem in der Auseinandersetzung mit Technologie über die Gesellschaft von heute und morgen nachgedacht wird. Es geht also nicht allein um den Erwerb von technischen Fähigkeiten, sondern es geht auch darum, über den Erwerb dieser Fähigkeiten zu einer Kompetenz zu gelangen, die eine Reflexion über die Technik überhaupt erst ermöglicht.
Kerlin: Ich glaube, dass man die Technologie nicht nur aus der geisteswissenschaftlichen Perspektive verhandeln oder reflexhaft kritisieren sollte, sondern sie sich zu sich heranholen muss. Gerade wir Dramaturgen, die meist relativ wenig technisches Wissen haben, können von einem angewandten Verständnis der Technologie aus neu Denken lernen und andere künstlerische Impulse geben. Im Diskurs über Technologie im Theater nimmt man gerne eine strikte Trennung vor: hier die Technikverliebten, dort die Totalskeptiker. Aber das ist nicht haltbar. Die Auseinandersetzung kann erst beginnen, wenn man keine dieser Haltungen akzeptiert bzw. die beiden Haltungen als produktiven Konflikt versteht.
Voges: Aus der Synthese kann dann vielleicht Kunst UND Kompetenz entstehen. Eine neue Medienkompetenz, bei Künstler*innen, aber auch beim Theaterpublikum. Denn im Zeitalter der Digitalisierung muss ja der ganze Prozess der Produktion von medialen Bildern und Wahrheiten, unser Verhältnis zur Wirklichkeit neu gedacht und reflektiert werden.
Kerlin: So ist es. Wir müssen heute ja nicht nur aufpassen, dass die Bilder, denen wir vertrauen, nicht gephotoshopped oder collagiert sind, sondern wir müssen aufpassen, dass die Bilder, denen wir begegnen, überhaupt noch Bilder von etwas sind – oder ob es nicht zum Beispiel Kreationen einer künstlichen Intelligenz sind. Doch wie könnte das Verhältnis zum Bild und zur Wirklichkeit unter den Bedingungen der Digitalisierung besser befragt werden als mit den Mitteln des Theaters?
Mehr zum Thema Digitalisierung und Bühne finden Sie im Lexikoneintrag Internet und Theater.
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Allerdings findet die Digitalisierung nicht nur in der Technik und in Zukunft vielleicht vermehrt auch in der Kunst statt - auch in Vertrieb und Marketing findet die Digitalsierung seit Jahren statt.
In faktisch allen Theatern arbeitet das KBB mit Software, die Buchhaltung ebenso wie das Controlling. Und es wird Software zum Verkauf von Tickets eingesetzt - Tageskasse, Abendkasse, Internet, Ticketportale, Apps usw. - und die im Ticketingsystem gespeicherten Daten sind ein vielerorts noch ungehobener Schatz für Kundenbindung und Kampagnen.
Ich würde mir wünschen, wenn auch solche Themen in der geplanten Akademie für Theater und Digitalität ihren Platz finden würden.
Ansonsten wünsche ich Kay Voges viel Erfolg mit seiner geplanten Akademie.
Und: wer sicherstellen will, dass er überhaupt nicht kontaktiert wird, wird keine Zusendungen erhalten, Ticketingsysteme sehen dafür entsprechende Kennzeichnungen vor (das gilt natürlich nur für namentlich bekannte Kartenkäuferen und Abonnenten, Barverkäufe an der Kasse sind ja anonym).
Wobei sehr schwer zu definieren sein wird, was "gute Kunst" ausmacht und wie sie erkannt wird ;-)