Kommentar - Was die Vorgänge in Rostock und Bad Hersfeld gemeinsam haben
Neuerungen, Schwestern und Brüder, Neuerungen!
von Nikolaus Merck
10. April 2015. Was wir sehen im deutschen Theaterwesen, ist nicht schön. In Rostock wird ein gerade bestallter Intendant wegen törichter Äußerungen aus der Abteilung Ich-bin-Künstler-ich-habe-Narrenfreiheit entlassen, obwohl er sichtlich alles daran setzt, das im Abseits von Zuschauerinteresse und –bedürfnis dümpelnde Theater wieder ins Gespräch zu bringen, wesentlich, vielleicht sogar für einige Tausend Menschen unentbehrlich zu machen.
In Bad Hersfeld wird ein altgedienter Theaterfahrensmann von der Aufklärer-Fraktion entlassen, weil er angeblich nicht bereit ist zu sparen. In Wirklichkeit aber, um einen flamboyanten Unterhaltungskünstler mitsamt seinem Fernseh-Star-Tross zu installieren, der noch viel mehr Geld für seine Festspiele beansprucht als der Geschasste. Er wird das Geforderte bekommen, weil er und seine Gazetten-Popularität versprechen, dass Hersfeld ein Leuchtturm sein werde in Hessens Kulturlandschaft.
Was bedeutet das?
Nicht viel mehr als wir schon wissen. Das alte Theater in Deutschland ist noch nicht ganz, aber bald tot. Das Theater der Bürger, der Aufklärung, der Auseinandersetzung der Gesellschaft mit sich selbst, das seine Existenzberechtigung aus seiner großen Geschichte bezieht, wie ein Günther Rühle sie aufgeschrieben hat.
Das alte Theater ist tot
Für die Jungen, denen das iPhone festgewachsen ist am Leib, für die Neu-Deutschen, die vom Schiller und vom Schimmelpfennig allenfalls einmal in der Schule gehört haben, denen unmittelbarere Geschichten von Aufstieg, von Behauptung, von Gewalt und Schmerz näher sind als diejenigen, die im gepflegten deutschen Stadttheater immer noch zuhauf erzählt werden, für die Abenteurer und die Suffköppe mit Manschettknöpfen, für die Firmensanierer und IT-Spezialisten, für die Start-Upper und die Thailand-Fahrer ist Theater als Fortsetzung seiner selbst und seiner großen Geschichte nicht per se wichtig. Und weil das so ist, können der Segelschiff-Enthusiast Roland Methling in Rostock und Thomas Fehling, der Hersfelder Amazon-Herbergsvater, mit ihren Theatern und Festspielen schalten und walten, ohne dass ihnen eine kritische Bevölkerungsmasse in den Arm fällt respektive auf die Zehen tritt.
In Gang setzt sich die kritische Bevölkerungsmasse jenseits der schieren Lobbyisten-Truppen erst dann, wenn das Theater für sie wichtig wird. Wichtig war die Castorf-Volksbühne für das Berlin der Neunziger, wichtig ist das Shermin Langhoff-Gorki für das sich umstülpende Berlin der Gegenwart. Wichtig ist das Dortmunder Theater des Kay Voges für eine bunte Truppe der Neuerungssüchtigen, wichtig ist der Aufbruch des Heidelberger Theaters in seinem neuen Haus. Das Rostocker Volkstheater bekam keine Zeit, um noch einmal wichtig zu werden für seine Zuschauer*innen.
Bitte nicht antasten
Vielleicht findet das Theater in all seinen möglichen und denkbaren Spielformen nur in den Großstädten und Ballungsräume noch genügend Publikum, dem seine Veranstaltungen und Vorstellungsweisen wichtig, ja unabdingbar sind. Allerdings weisen der Fall des Cottbuser Theaters in den neunziger Jahren, der des Schweriner Theaters bis weit ins neue Jahrtausend darauf hin, dass auch in kleineren Städten Theater von genügend Menschen gebraucht und besucht wird. So dass es keinem Stadtpolitiker je einfallen würde, diese Häuser in ihrem Bestand anzutasten.
Aber – die Theater in den kleineren Städten, auch in prosperierenden Mittelzentren wie Rostock, brauchen ein bissel Wohlwollen der Politik. Der anti-latchinianeske Satz: "Du kannst ruhig spielen, morgen schrumpf ich Dir Dein Theater auf haushaltskompatible Größe zurecht", wirkt nicht eigentlich ermutigend. Künstler sind keine Widerstandskämpfer, die mit dem Rücken zur Wand die größte Kampfkraft entwickeln. Auch fragt es sich, wie eigentlich eine vergleichsweise prosperierende Stadt wie Rostock in Zeiten dauernd wachsenden Steueraufkommens dazu kommt, zu erklären, genau jetzt sei es an der Zeit, die Größe des Theaters bis in fünf Jahren zu halbieren.
Die Zahlenspiele außer Kraft setzen
Andererseits – auch Politikern muss man zugutehalten: Wenn das Theater nicht mehr zum metaphysischen Kernbestand der bundesdeutschen Bürgerexistenz gehört, erscheinen die enormen Anteile, die stehende Theaterhäuser und Orchester am kommunalen Kulturetat beanspruchen, gegenüber allen anderen Kulturschaffenden tatsächlich schwer zu rechtfertigen. Dieses pure Zahlenspiel - "mein Kulturetat wächst nicht und es kann doch nicht sein, dass ich 70 Prozent davon ans Theater geben muss" - außer Kraft zu setzen, die Kommunalpolitiker neugierig zu machen auf die eigentlich ja unbegrenzten Möglichkeiten des Theaters, ist heute die Aufgabe der Spieltruppen.
Privates Geld anlocken, kann nicht nur der Herr Wedel. Das könnte auch der Herr Castorf schaffen, der Herr Latchinian, die Frau Langhoff. Geld gibt es nicht nur bei Bundesliga-Sponsoren, Geld gibt es auch im grünen Milieu, bei linksliberalen Restbürgern Zuhaus', auch denen gehören Betriebe, die Geld abwerfen, das Kunst und Kultur will. Nur muss sich das deutsche Theater dazu noch stärker vom Gründgens-Image einerseits und von seiner Verliebtheit in den insiderhaften Kommentar-zum-Kommentar-zum-Klassiker andererseits verabschieden, zwei Etikette, die ihm wie auch immer berechtigt oder unberechtigt ankleben. Und die Politiker müssen die Theaterkünstler, die sie gerufen haben, machen lassen und ihnen nicht hinterrücks die Beine wegtreten.
Dann ist das, was wir sehen im Theaterwesen vielleicht immer noch nicht schön, aber dann leuchtet am Ende des Tunnels immerhin ein klein' Lichtlein.
Mehr zu den Vorgängen in Bad Hersfeld und Rostock:
- Kommentar zur Entlassung von Holk Freytag vom 26. August 2014
- Offener Brief an den OB von Rostock Roland Methling vom 24. September 2014
- Kommentar zu Entlassung von Sewan Latchinian vom 1. April 2015
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Aber das ist ein Nebengleis. Danke für ihren Kommentar!