Vortrag zur Eröffnung des Stückemarktes beim Theatertreffen 2015 - Zur Zukunft des Theaterstücks
Narration heute
von Thomas Oberender
Berlin, 3. Mai 2015. Darüber, was ein Theaterstück – und noch mehr, was ein Theaterautor – ist, ist in den vergangenen Jahren auch im Zusammenhang mit den Veränderungen beim Berliner Stückemarkt erbittert gestritten worden. Weshalb ich ein paar grundsätzliche Gedanken anführen möchte, wie es aus meiner Sicht um die Zukunft des Theaterstücks bestellt ist.
Welterzeugungsmaschinen aus Text
Ich glaube, Theaterstücke haben eine sichere Zukunft. Aufzuschreiben, was jemand als jemand sagt, der er nicht ist, aber für den er in Erscheinung tritt, in Räumen, die nicht die Räume sind, als welche sie betrachtet werden, zu einer Zeit, die gar nicht die aktuelle ist - das alles ist ein wunderbarer Vorgang der Verschiebung und Metamorphose der Realität. Theaterstücke in diesem traditionellen Sinne einer Repräsentation von etwas da draußen sind die Notenschrift einer sehr einzigartigen, komplexen Aufführungspraxis – was in ihnen notiert steht, erzeugt eine durch den Text vorkomponierte Verhaltensweise einer Gruppe von Menschen, die zusammen ein Werk erklingen lassen, indem sie es spielen und zeigen. Die literarischen Notationen von Dialogen sind Welterzeugungsmaschinen aus Text, der nachgelebt werden soll durch jene, die uns seine Wörter vorsprechen.
Theaterstücke sind genau für diese Welterzeugung von Interpreten gemacht – sie sind Software für eine über Jahrhunderte gereifte Hardware von Ensembles und Infrastrukturen. Texte sind der Ausdruck von Erfahrungen, denen eines individuellen Autors oder auch einer Handvoll Leuten, die in diesen Texten etwas anwenden und ausprobieren, was sie von der Welt verstanden haben. Texte sind Problembearbeitungsprozessoren. Von der Lyrik und der Epik unterscheidet sie, dass sie zugleich Handlungsanleitungen sind - sie wollen ausgeführt werden, aufgeführt und gespielt. Warum sollte das aus der Mode kommen? Kompakter kann literarisch nicht formuliert werden, was zwischen Menschen geschieht.
Blick aus dem Fenster
Theaterstücke sind, so empfinde ich es oft, ein Blick aus dem Fenster. Drinnen steht ein Betrachter oder eine Betrachterin und schaut in eine andere Welt hinaus, in der es hell ist und das Leben seinen Gang nimmt. In diesen Lauf der Dinge ist nicht einzugreifen und von drinnen betrachtet wird da draußen alles Kulisse und Figur, gewinnt an Bedeutung und fängt an zu interessieren. Jedes Theaterstück entwirft so etwas – einen Flecken Welt, auf den wir einen Ausblick haben, der uns Einblick gewährt, etwas vorstellt. Das Fenster des Theaterportals zeigt auf eine Realität, die nicht "da" und doch anwesend ist.
Solange man sich Theater als einen Ort und Vorgang denkt, der einen fernen Flecken Welt vorstellt, bewegen wir uns in der Welt der Repräsentation. In ihr werden fremde Welten und Gestalten an diesen – im Grunde selber fremd bleibenden – Ort des Theaters teleportiert und treten auf, als seien sie woanders, als sei der gesagte Text ihr Gedanke und das Problem der Figur ihr Problem. Theaterstücke beruhen in dieser Konvention darauf, ein Abbild der Welt zu geben. Und es ist relativ schwer sich vorzustellen, welche Art von Theater entsteht, wenn diese "Selbstverständlichkeit" wegfällt. Wenn Theater nichts zeigt, das nicht "da" ist, also auf nichts verweist, das herbeibehauptet ist, dann substituiert der Begriff der Realität plötzlich den der Repräsentanz. Und das verändert einiges.
Wenn ein Schauspieler nicht mehr die Worte eines anderen als seine Worte spricht, wenn er nicht behauptet, an einem Ort zu sein, der nicht sein Ort ist, öffnet die Theaterpraxis andere Fenster – Theateraufführungen verlieren ihre "naturwüchsige" Beziehung zur vierten Wand und öffnen sich für die spezifische Realität des Theaters selbst, die Realität der Sprache, der tatsächlichen Präsenz der Besucher und an die Stelle des etwas anderes repräsentierenden Bühnenbilds tritt das Environment oder Installationen, wie sie auch in der Bildenden Kunst den 60er Jahre entstanden.
Fünf Weisen zu erzählen
Vielleicht müsste die Frage über die "Zukunft des Theaterstücks" also grundsätzlicher gestellt werden, und zwar als Frage danach, was auf der Bühne Narration heute bedeutet? Mir fallen mindestens fünf unterschiedliche und doch gleichberechtigte Wege ein, wie auf der Bühne heute erzählt wird:
An erster Stelle wäre nach wie vor das Literaturtheater zu nennen, also ein Theater der Interpreten, der Textgehorsamen, der Verkörpernden. Es kann dabei wie bei Botho Strauß, Jon Fosse oder Roland Schimmelpfennig an die alte Behauptung einer einfühlsamen Verschmelzung zwischen Figur und Darsteller anknüpfen, oder wie bei Elfriede Jelinek und Heiner Müller ein Theater der Diskurse im Sinne Andrzej Wirths sein. Es ist das Theater der Verlage und Besetzungsgespräche, der Souffleusen, der Zweitaufführungen und Tantiemen. Es ist das Theater der Regisseure und Intendanten und natürlich der Autoren. Wobei der Autorenbegriff hier durchaus flüssig sein kann, weil die literarische Form wie bei "Verrücktes Blut" von Nurkan Erpulat und Jens Hillje oder den Texten von René Pollesch oft das Destillat kollektiver Probenprozesse manifestiert und vielerlei Einflüsse bewahrt. Schreiben unter diesen Echtzeitbedingungen einer sich verwirklichenden Regie ist ein sehr viel schnellerer, heißerer Prozess, doch am Ende steht wie beim einsamen Autor ein nachspielbares Werk.
Ganz anders ist das beim zweitens hier zu nennenden Theater der Kreationen, also Aufführungen, die nicht unbedingt auf fertigen literarischen Texten beruhen, sondern sich im Laufe des Prozesses erst ihr Material suchen oder aussuchen. Es ist ein Theater der Ensembles, der gemischten Autorenschaft zwischen Regisseuren und Schauspielern, Dramaturgen, Szenografen und Musikern. Kreationen werden in der Regel nicht nachgespielt und bleiben Originale. Sie stehen, anders als die Live Art, noch ganz im Feld der Performance, also einer künstlerischen Praxis, die vom Körper des Künstlers oder seiner Truppe nur bedingt ablösbar ist. Es ist das Theater der Zentralgestirne und Planeten, von Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler, She She Pop und Rimini Protokoll, William Kentridge oder Punchdrunk.
Drittens zu nennen wäre die Erzählform der Narrative Spaces, also von inszenierten Räumen, die eine Erzählung realisieren, indem sie ihren Besuchern Spuren von Tatorten zeigen wie die Arbeiten von Thomas Bellinck, Mona El Gammal oder Gregor Schneider. Hier sprechen die Indizien und es ist ein Theater für Einzelbesucher, der immersiven Räume, des durchschrittenen Rahmens. Auch diese Räume bilden Bühnen, erzählen und schaffen stellvertretende Welten in der Welt. Ganz ähnlich verhält es sich mit den theatralen Großinstallationen von Punchdrunk oder dreamthinkspeak. In diese Gruppe aufnehmen würde ich auch die, im Sinne Peter Szondis, lyrischen Räume, also die Welten von Theaterstücken, die eher Stimmungsräume schaffen wie bei "Der Klang der Offenbarung des Göttlichen" von Ragnar Kjartansson, oder den begehbaren Arbeiten von bildenden Künstlern aus dem vagen Feld der relational art wie Philippe Parreno oder Pierre Huyghe.
Viertens zu nennen wäre eine literarische Textsorte wie "Quizoola!" von Tim Etchells, die weniger ein klassisches Rollenspiel enthält, sondern eher das Material und die Anleitung für ein Spiel, wozu sicher auch die an Computerspielen orientierten Spielanordnungen von machina eX zählen. Von diesen nachspielbaren Spielanordnungen ist es nur ein kleiner Schritt zu den immer zahlreicher entstehenden Formaten, wie sie Künstlerkollektive oder Kuratoren kreieren und im Grunde wie klassische Theatertexte in die Hände anderer Produzenten geben, z.B. bei "100 PROZENT" von Rimini Protokoll oder "x-Wohnungen / Choreografien" von Matthias Lilienthal, den "rooms" von Hans Ulrich Obrist oder dem "Schwarzmarkt"-Format von Hanna Hurzig.
Und fünftens schließlich zählt zur Narration heute eindeutig das Repertoire des zeitgenössischen Balletts, das Tanztheater von Pina Bausch bis hin zu Jerôme Bel, Sasha Waltz, Meg Stuart oder Alain Platel. Auch hierbei handelt es sich um die (weitaus kompliziertere) Notation von Vorgängen, die einer Wiederholbarkeit der Werke dienen und oft auch der Übertragung an andere Interpreten.
Die 5. Sparte
Insofern die Arbeit der Künstler sich in Bereiche fern der Repräsentation entwickelt, bringt dies oft mit sich, dass ihre Aufführungen stärker den Prozess veröffentlichen als ein Resultat, ihr Ziel ist eine soziale Situation, ein schwer fixierbares Raumerlebnis. Und auf eine ganz andere Weise gehört zur "Zukunft des Theaterstücks" daher auch der Wandel der traditionellen Theaterlandschaft dahingehend, dass die 5. Sparte des Theaters mit ihren Projekten, Rallyes und Festivals die Kontur der deutschsprachigen Theater sehr stark geprägt hat: Das Theater ist selber zum Autor geworden, es generiert selbst seine Stoffe, es ist ein Allesfresser geworden – nicht mehr ein Verdauungsapparat, sondern Erzeuger der eigenen Stoffe und Gegenstände.
Und der Autor? Und die Autorin?
Verschwindet der Autor deshalb? Ja und nein. Einerseits zeigt jede Buchmesse: so viel Literatur gab es noch nie. Und auch jede Spielemesse zeigt, welch finanzstarker Markt für neue Narrationen hier entstanden ist, mit großen und ausdifferenzierten Autorenkollektiven wie im Film. Andererseits verunklart sich der Werkbegriff, es gibt, ähnlich wie in der bildenden Kunst, kaum mehr ein formales Erkennungsmerkmal, und so ist es heute auch mit den Autoren im Theater jenseits des Feldes der Repräsentation. Wer heute über die Zukunft des Theaterstücks nachdenkt, kommt nicht umhin, die ganze Bandbreite des zeitgenössischen Erzählens auf der Bühne in Betracht zu ziehen. Es reicht nicht aus, nur über die Modifikation von Textsorten zu sprechen, also ein "Theater der Diskurse" wie bei Elfriede Jelinek oder René Pollesch gegen das repräsentierende Konversationstheater etwa von Tom Stoppard zu stellen, sondern zum großen Wandel zählt auch der von sich verflüssigenden Produktions- und Erlebnisformen von Theater, der Festivalisierung der Spielpläne oder der Internationalisierung unserer heimatlichen Spielfelder.
Die Frage nach der "Zukunft des Theaterstücks" streift hier nur die Spitze eines schmelzenden und wunderschönen Eisbergs. Stücke sind die Kompressionszentren einer Kultur, die ihre Gebräuche und ihr eigenes Verständnis von Hochkultur derzeit stark verändert und diese Veränderung ergreift das gesamte System, vom Verleger bis zum Bühnenverein, vom exklusiven Stadttheater bis zu den kooperativen Produzenten. Was mit dem Stück passiert, passiert mit allem. Und natürlich erfasst es auch die Autoren, die sich von jeher als Sensoren solcher Veränderungen auszeichneten.
Thomas Oberender, der Intendant der Berliner Festspiele, hielt diesen Vortrag anlässlich der Eröffnung des 37. Stückemarkts des Theatertreffens. Bei diesem Text handelt es sich um die gekürzte Fassung des Aufsatzes "Narration heute", erschienen in Heft 5 / 2015 des Theatermagazins DIE DEUTSCHE BÜHNE.
Zur Diskussion um den Theatertreffen-Stückemarkt:
Meldung 31.10.2013: Theatertreffen schafft Stückemarkt in bisheriger Form ab
Hintergrundbericht zur Neuausrichtung des Stückemarkts 2014
Positionstext von Ulf Schmidt, warum es Schreiber statt Autoren braucht
Wunschzettel von Frank Kroll für einen neuen Hauptstadtstückewettbewerb
Bericht zur TT-Podiumsdiskussion Neue Formen der Autorschaft und kreative Prozesse am Theater
Bericht vom reformierten Stückemarkt 2014
Meldung 13.11.2014: Neuerungen beim Stückemarkt des Theatertreffens 2015
Mehr zur Diskussion um die Neue Dramatik in den vergangenen Jahren im Lexikon-Eintrag.
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Die Dramatiker schauen also aus dem Fenster und schreiben auf, was sie da sehen.
Da macht es sich Oberender ganz schön leicht. (Und liegt weit, weit daneben) Hat er denn vor dem Aufschreiben seiner Gedanken mal aus dem Fenster geblickt? Wahrscheinlich hat er eher die Vorhänge schon lange zugezogen und brütet vor sich hin. (Den Vorhang zu und alle Fragen offen...)
http://seattle-vistas.blogspot.com/2015/04/seattle-unconducive-to-artists-in-four.html
Die Kategorie Aneignung im Anschluß an Marx' Bemerkungen im "Kapital" und den ökonomisch-philosophischen Manuskripten kann in drei Punkten zusammengefaßt werden:
Erstens handelt es sich immer um eine Umformung des Anzueignenden durch menschliche Tätigkeit zum Zwecke seiner Inbesitznahme mit dem Ziel der Befriedigung produktiver und konsumtiver menschlicher Bedürfnisse. Zweitens erfolgt dabei stets eine tiefere, genauere Erfahrung und/oder Erkenntnis des Angeeigneten. Und drittens geschieht in jedem Falle eine wie immer erfolgende „Vergegenständlichung“ sowohl der Arbeit als auch des Produzenten im Produkt. Jeder dieser Punkte ist auch für die künstlerische „Produktion“ von höchster Relevanz. So könnte man sogar beispielsweise mühelos die berühmte Inszenierung "√Faust 1+2" (auch: "Goethes Faust Wurzel 1+2“, der sogenannte "Wurzel-Faust") Christoph Marthalers aus dem Jahre 1993 als das interpretieren, was sie ist: eine gelungene Aneignung beider Teile des Goetheschen "Faust" - alle drei Merkmale treffen auf sie zu. Obwohl ja der "Wurzelfaust" Goethes Text zertrümmert und das Wenige, das er davon übrig läßt, völlig neu zusammensetzt. In manchen heutigen Produktionen, die vom Text rein quantitativ ungleich mehr verwenden, wird nur das narzisstische Selbst des Regisseurs/der Regisseurin angeeignet. Möglichst marktkonform.
Wozu aber ist es gut, daß die auf dem Theater erzählten Geschichten aus seiner aneignenden Begegnung mit Literatur kommen? Sie müssen es nicht, aber diese Begegnung ist und bleibt eine der großen Möglichkeiten des Theaters , sich selbst zu optimieren. Bekannt ist das Heiner-Müller-Wort, das Theater brauche den Widerstand der Literatur. Gegenüber Gerda Baumbach und mir hatte er das am 22. Januar 1974 in einem langen Interview so beschrieben: "Was nun die Theatertexte angeht, so glaube ich, daß das Theater nur lebendig bleiben und sich weiterentwickeln kann, wenn es ständig einen Widerstand von der Literatur hat. Es muß Stücke kriegen, die es so, wie es ist, nicht ohne weiteres umsetzen kann. Es muß da immer die Kollision möglich bleiben zwischen der Literatur und dem Theater."
Und: Theaterstücke/Dramen erleichtern das Erzählen von Geschichten. So lange es ein Bewußtsein vom Gestern und ein Arbeiten am vorgestellten Morgen gibt – nicht zu verwechseln mit der Chimäre eines "Ziels der Geschichte" ! – müssen Geschichten erzählt, und das heißt auf dem Theater: gespielt werden. Die großen Mythen der Menschheit sind erzählte Geschichten und nur als solche existent. "Mythen sind Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit.“ (Hans Blumenberg).
Die unbezweifelbaren Veränderungen zu neuen Werkformen sind besser nicht mit einer behaupteten Ausweitung des Autor-Begriffes zu verbinden - man sollte von produzierenden Künstlern sprechen, von Machern oder künstlerischen Produzenten oder einfach, je nachdem, von Performern, Choreographen, Regisseuren oder Truppen, Kunstkollektiven. Autoren sollten schreibende Künstler und als solche Individuen sein und bleiben. Sie werden sonst allzu schnell untergebuttert.
Diese Bemerkungen sind eine eigentlich kaum zu verantwortende Kurzfassung eines größeren Textes.
Herr Oberender, sie sprechen einige punkte an, die ich jedenfalls bejahen und begrüßen würde. aber: was interpretieren sie? was repräsentieren sie? wem und was gegenüber sind sie "gehorsam". laut ihrem text:
DEM MARKT. und den märkten.
es sollte zuerst klar sein, dass sie immer wieder unterschwellig öffentlich bekannt gegeben haben, dass sie eher dem markt und den kassen treu sind als der kunst und ihrer notwendigkeit. lediglich in einem feature beim DRK waren sie als künstler sympathisch, sonst plädieren sie ununterbrochen und mit vehemenz die verflüssigung der grenzen im interesse des geldes.
die not-wendigkeit verstecken sie hinter formulierungen wie : "bandbreite des zeitgenössischen erzählens", missbrauchen Heiner Müllers großartiges Zitat, ich bin mehr oder weniger sicher: er hätte sie zutiefst kritisiert, und richten sich dann possenhaft (aber nicht so schön wie bei Nestroy) gegen das sogenannte literaturtheater. sie spielen, salopp gesagt, wittgenstein gegen heidegger, camus oder sartre aus, sind aber im grunde genommen der post-neoliberale geist des missverstandenen Adam Smith, nicht bei ihnen missverstanden.
sie spielen ständig dinge gegeneinander aus, das erinnert mich an Kolonialismus.
sie und ihr haus (mit hypergoßen namen und "produzenten" aus aller welt: siehe foreign affairs letztes und dieses jahr) und mit überwiegend hübschen Männern ab 50 stecken in der "repräsentationskrise", nicht die texte und die autoren. autoren- und text-begriffe wandeln und wandeln sich seit jahrhunderten permanent und kennen ihre eigene ohnmacht gegenüber den managern der kunst sehr gut und meistens können sie auch überleben. sie brauchen keinen prediger des marktes für dialektischen und anti-dialektischen vorgehensweisen der "herstellung".
ihre pose, die jury des stückemarktes als repräsentantinnen von "allem, was da ist" vorzustellen und diese teilweise miserable auswahl (ich rede von zwei "stücken", die m.e. in einem supermarkt entstanden sein könnten, die drei anderen sind gut bis teilweise großartig) als "alles, was wir haben", ist in die hose gegangen.
sie, mit ihrer starken markkonformität entfremden die theaterkunst und die des schreibens. plädieren heterogenisierung, wollen aber post-polische produkte auf der "bühne" sehen.
bitte, lassen sie menschen, menschen bleiben, die lust/not/druck/solisarität/ehrgeiz oder was auch immer empfinden und handeln. sparkasse riecht immer ein bisschen nach blut.
p.s. ich habe viele schwächen, ich bin 28, gerne mollig, gerne klein, gerne eine frau, gerne aus europa und aus der welt, gerne kunstinteressiert, gerne in ihren häusern, aber ungern verfechterin eines produktmanagers der theaterszene, der über vielfalt redet. das ist BUCHHALTUNG.
- Einzelmoleküle des Theaters verbinden sich neu und bilden neue Konstellationen
- Auch exorbitante Theatererfindungen werden verflacht wiederholt, verfangen sich in Konventionen usw.
- Die Studie konzentriert sich auf die Aspekte der Inszenierung. Der Vielfalt neuer Schreibweisen kann sie in keiner Weise gerecht werden.
- Die Frage nach dem Zuschauer ist das A und O des Theaters
- Theater als Raum kultureller Divergenz (Eurozentrismus engt die Debatten ein)
- Nachdenken über das Schicksal des Tragischen und des Komischen. Neue Zugänge finden.
Trotz großartiger Analyse, enthalten manche seiner heuristischen Thesen paternalistische Gesten und Widersprüche:
- "Distanzierung vom Literaturtheater" (hauptsächlich textbasiert):
Wieso? Das "Literaturtheater" hat ein teilweise besessenes (auch sehr junges) Publikum. Ist nun dieses Publikum auch Teil des A-und-O-Konzepts? Was ist, wenn dieses Publikum immer die Mehrheit bleibt und die exorbitanten neuen Formen in Minderheit?
- "Fortschritt hin zu einer Fülle von neuen Möglichkeiten, Kreationen aus dem Zusammenbruch": Was ist, wenn nach dem Zusammenbruch wieder teilweise alte Formen in gering veränderter Gestalt auftauchen?
Theater und Text sind schon seit geraumer Zeit sehr löchrige und erweiterte Begriffe. Mir kommt es vor, dass Herr Oberender Fässer aufmacht (für seine internationalen Bekanntschaften??), mit deren Inhalten sich die Theaterwissenschaft und -praxis schon seit mindestens 20 Jahren ausführlich beschäftigt (Pirandello, Jarry und Artaud schon viel früher), die Kulturwissenschaft schon seit den 60-er Jahren.
Der Theater-Text jeglicher Sorte, auch in seiner strengsten Form, ist längst explodiertes Tableau. Bei dieser Kritik geht es sicher auch um andere Interessen, da stimme ich einigen Vorgängerinnen zu: eher kunstfremde Interessen.
Das ist sehr seltsam, dass er so demagogisch NUR das "Literaturtheater" als repräsentationslastig bezeichnet. Die postdramatischen Formen und auch die bildende Kunst, aber hallo, repräsentieren genauso bis streng genommen intensiver. wie ist ein Leben ohne "(Re)präsentation" möglich?
Auch tote Gewebe stehen für etwas (und etwas steht/stand für sie).