Frank Krolls Wunschzettel für einen neuen Stückewettbewerb
Lieber Dramatikernikolaus...
Berlin, 4. Dezember 2013. Das Berliner Theatertreffen hat seinen angegliederten Stückemarkt wenn nicht abgeschafft, dann doch radikal verändert. Wie sollte ein neuer Wettbewerb idealerweise aussehen? Was sollten die Rahmenbedingungen sein? Nach seinem persönlichen Wunschzettel fragten wir Frank Kroll, der im Suhrkamp-Verlag die Abteilung Theater und Medien leitet und in den Kommentaren zur Stückemarkt-Debatte bereits "ein Klagenfurt für neue Dramatik" gefordert hatte.
Wunschzettel für einen neuen Hauptstadtstückewettbewerb
von Frank Kroll
- einen Konzentrationsraum für neue szenische Literatur jeglicher Couleur (keinen Eventraum)
- DT-Kammerspiele? (später dann die große Bühne)
- im Zentrum Autorinnen und Autoren (nicht die Veranstaltung)
- erwachsene Auseinandersetzung (statt wohlmeinender Förderherablassung)
- Verzicht auf biologische Auswahlkriterien (Altersbeschränkungen)
- Konzentration auf deutschsprachige Theatertexte (Übersetzungsproblematik)
- Lesungen für ein Kopftheater (vor jedem inszenatorischen Schnellzugriff)
- halbstündige Autorenlesungen (oder doch Schauspieler/innen?)
- begründete Juryentscheidungen (siehe Mülheim oder Klagenfurt)
- seriöse Preisgelder (mindestens 20.000 Euro für den Hauptpreis)
- rege Medienkooperationen (täglich live statt Tagesschau)
- fachkundiges Publikum (keine Sorge)
- freier Eintritt für normales Publikum (500 Euro für Fachbesucher)
- Sven Marquardt (als Türsteher)
- mehr kalkulierter Aufruhr (http://www.youtube.com/watch?v=_BEjgp9MAEY)
- Nähzeug (steril)
Frank Kroll leitet Suhrkamp Theater & Medien und bloggt regelmäßig auf www.logbuch-suhrkamp.de, wo er bereits eine echte Weiterentwicklung des Berliner Stückemarktes forderte und eine Liste deutschsprachiger Autorenwettbewerbe aufstellt.
Mehr zum Stückemarkt: Die Hintergründe der Erneuerung erkläutert Sascha Krieger, ein neues Modell des Theater-Schreibers entwirft Ulf Schmidt. Noch mehr zur Debatte um Neue Dramatik im entsprechenden Lexikon-Eintrag.
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www.youtube.com/watch?v=eWOwu6BkuWQ
da will ich widersprechen: der heidelberger stückemarkt stellt durch sein großes beiprogramm längst nicht mehr den wettbewerb und auch so auch nicht die autorInnen in den mittelpunkt - hier zählt das event.
die juryentscheidungen werden hinter verschlossener tür getroffen, sie werden nur über einen bla-bla-gratulationstext (nicht) nachvollziehbar.
eine erwachsene auseinandersetzung findet auch nicht statt, also eine diskussion, die auch mal an die schmerzgrenze geht. in den diskussionen nach den lesungen lauten die fragen an die autoren so ungefähr: ich fand diese figur sehr faszinierend, wie haben sie sie angelegt? oder: ich habe sehr viel bei ihrem text empfunden, steckt da auch autobiographisches drin? eine auch mal brutale kritik wie in klagenfurt gibts nicht, obwohl viele texte dazu anlass bieten können, weil es einfach echte anfängertexte sind.
wo sind denn beim heidelberger stückemarkt die regen medienkooperationen? wer was darüber erfahren will, muss schon hingehen.
mülheim wäre näher an dem, was kroll fordert, aber auch in mülheim gehts letztlich - auch wenn es die papierform anders sagt - um die inszenierungen.
Und dann las ich in derselben Zeitschrift einen Nachruf auf Gotscheff und dachte mir: Gut, dass es diesem Mann nicht ums Siegen ging. Weil er zu schweigen wusste. Zitat von Gunnar Decker: "Alle Kultur aber kommt aus dem Scheitern; allein die Besiegten haben Erfahrungen, die es weiterzugeben lohnt, während die Sieger in ihrer Hybris nicht ahnen, wie lange Geschichte an ihren Korrekturen zu arbeiten vermag. Darum ging es in Gotscheffs Theater: lauter Totentänze einer frivolen Gegenwart, die nicht daran glaubt, dass auch sie nur ein Staubkorn im Sturm der Geschichte ist." Ausserdem lesenswert: Bierbichlers "Onanisten im Dienst der Weltpolizei" (Thema: NSA) und das Stück von Jeton Neziraj "Die Zerstörung des Eiffelturms". Alles dann doch eher nachdenkliche Männer.