Don Karlos – Am DT Göttingen erzählt Maik Priebe mit Schiller von Liebe, Passivität und Freiheit
Hinter jeder Tür eine Intrige
von Jan Fischer
Göttingen, 19. November 2016. Man möchte ihn schütteln, den Infanten. Um ihn herum explodiert ein buntes Feuerwerk höfischer Intrigen. Und er? Don Karlos, Kronprinz des spanischen Weltreiches? Sitzt träge in der Ecke, während traurige Singer-Songwriter Musik läuft und er sich in seiner unglücklichen Liebe zu seiner angeheirateten Mutter wälzt. Aber Liebe macht nun einmal blind, und Liebeskummer offenbar auch. Dem leidenden Emo-Prinzen stellt Maik Priebe in seiner Inszenierung des Don Karlos am Deutschen Theater in Göttingen einen Marquis von Posa zur Seite, der von Typ her ein wenig wie ein abenteuerlustiger Backpacker wirkt. Die Bromance der beiden ist stark, auch wenn sie im Laufe der Inszenierung ein wenig bröckelt. Die Tragödie jedenfalls beginnt mit ihr, und trauriger Musik.
Die Würde des Menschen...
Maik Priebe hat seine Bühne als eine Art Kuckkasten angelegt, allerdings bewegt sie sich unablässig. Das Bühnenbild besteht aus einigen Stühlen, der Rest des Bühnenraumes wird komplett von hohen braun-goldenen Platten eingefasst, die Platten schwingen einzeln wie gigantische Flügeltüren auf. Jeder Auf- und Abgang passiert durch eine dieser Türen, mal rechts, mal links, mal am hinteren Ende. Es ist, als irrten die Figuren zwischen ihren Auftritten irgendwo außer Sicht hin und her, nur um dann wieder eine der Türen zu finden, und herauszutreten in diesen eigenartigen Raum, der fast wie ein Käfig wirkt, in dem Laborversuche durchgeführt werden: Tür auf, Prinz, Herzogin und König rein, Tür zu, gucken was passiert. Hauptsächlich sind das Intrigen. Und, selbstverständlich, große Reden über Freiheit und Menschenwürde.
Museumsschaukasten
Schillers Don Karlos ist hauptsächlich deshalb ein interessantes Drama, weil es zunächst als ganz braves höfisches Liebesdrama daherkommt, das aber, plötzlich und unvermittelt, aus dieser Erzählung in ein politisches Drama kippt. Das wiederum einen Hintergrund liefert, vor dem Schiller versucht, durch seine Figuren hindurch einen politischen Diskurs zur Aufklärung zu entwickeln.
Bei Priebe wirkt das alles sehr abstrakt, sehr kühl. Das liegt zum einen daran, dass die Sprache des Dramas dann eben doch eine altertümliche ist, die eigenartig fremd wirkt, genauso weit weg wie das Setting im 16. Jahrhundert. Zum anderen liegt das aber auch am Bühnenbild, dieser Kuckkastenbox, die sich zwar öffnen und schließen kann, aber einen abgegrenzten Raum schafft, in dem die Handlung, die Emotionen und die Ideen präsentiert werden wie in einem Museumsschaukasten.
Von Subjekt zu Objekt
Spannend ist die Inszenierung hauptsächlich durch die Figur des Don Karlos, der von Anfang an als passives, emotionales Wrack gezeigt wird. Am Anfang ist er außerdem nur Spielball ihm fremder Interessen, so lange, bis seine persönlichen Probleme ins Politische kippen.
Schillers Drama wird bei Priebe zu einem beispielhaften Exempel, das Schillers aufklärerischen Ideen noch eine kleine Idee hinzufügt: In dem Kuckkasten wird unter kontrollierten Laborbedingungen gezeigt, dass das Persönliche immer politisch ist und umgekehrt, und dass Passivität auch eine politische Entscheidung ist. Das Figurenensemble entwickelt dafür einerseits den theoretischen Hintergrund, und schubst Don Karlos andererseits immer wieder in die Richtung, in die er soll.
Das Ensemble spielt allerdings nicht kühl oder unemotional: Es wird gerne geschrien, einer verzweifelt, zweimal spritzt Kunstblut, und an besonders dramatischen Stellen gurrt aus Lautsprechern ein bassiger Akkord. Trotzdem scheint das Spiel – allen voran die Figur Phillips II. – ausgestellt, ein wenig zu übertrieben. Als würde spielen gespielt. Auch das trägt zu der subtil fremden und künstlichen Atmosphäre der Inszenierung bei, die am Ende als massives Abstraktum vor sich hin schillert, dass sich nur mit Mühe aufbohren lässt, als Konstrukt dann aber doch erstaunliche Aktualität offenbart.
Don Karlos
von Friedrich Schiller
Regie: Maik Priebe, Dramaturgie: Matthias Heid, Bühne & Kostüme: Susanne Maier-Staufen, Musik: Oliver Urbanski.
Mit: Paul Wenning, Marie Seiser, Moritz Schulze, Andrea Strube, Katharina Uhland, Gabriel von Berlepsch, Marco Matthes, Florian Eppinger, Frederike Schinzler, Nikolaus Kühn, Bernd Kaftan.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.dt-goettingen.de
Von einer konzentrierten und punktgenauen Inszenierung mit starkem Ensemble spricht Peter Krüger-Lenz im Göttinger Tageblatt (21.11.2016). Als Glanzlichter stechen aus Kritikersicht besonders Paul Wenning, Moritz Schulze, Gabriel von Berlepsch und Katharina Uhland hervor. Die Kostüme von Susanne Maier-Staufen erhalten das Prädikat "bemerkenswert". Allerdings fordere die konzentrierte Sprache dem Publikum auch viel Konzentration ab.
Sehenswert trotz vereinzelter Längen findet Ute Lawrenz in der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (21.11.2016) die Inszenierung. Kostümbildnerin Susanne Meier-Staufen wird für ihren Brückenschlag von der Schillerzeit ins Heute gelobt. Auch das starke Ensemble konnte bei der Kritikerin punkten.
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hier noch eine kritik: https://www.kulturbuero-goettingen.de/dt/2330-wir-koennen-auch-grosse-buehnenbilder
Was daran #1 “statisch“ oder “hohl“ sein soll, erschließt sich mir nicht.
Das wundervoll reduzierte Bühnenbild unterstützt durch seine Dynamik und das geschickt eingesetzte Licht genauso wie die gelungenen Kostüme (Susanne Meier-Staufen).
Lange ist es her (gerade auch in Kassel), dass Nacktheit und Lautstärke so bedacht, zurückhaltend und gerade deshalb so effektvoll auf die Bühne gebracht wurden, Danke dafür.
Eine gelungene, spannende Inszenierung mit vielen echten Theatermomenten.
(Liebe*r AusKassel und liebe*r @Maik Priebe, wir wissen zwar wie Sie nicht, wer sich hinter den Kommentatorennamen verbirgt, aber die Kommentare, die Sie hier konkret unter "Eigenlobkampagnenverdacht" stellen, stammen von unterschiedlichen IP-Nummern. Soviel sei Ihrem impliziten Verdacht entgegengesetzt. Schönen Adventssonntag wünscht mit freundlichen Grüßen aus der Redaktion sd)