Heldenplatz - Salzburger Landestheater
Weil der Nazigeist weiterlebt
von Thomas Rothschild
Salzburg / Online, 6. Februar 2021. "Am liebsten würden sie / wenn sie ehrlich sind / uns auch heute genauso wie vor fünfzig Jahren / vergasen / das steckt in den Leuten / ich täusche mich nicht". An diesem Satz muss nur die Zahl korrigiert werden. "Wie vor achtzig Jahren" muss es heißen. Ansonsten hat der Befund, den Thomas Bernhard seinem Professor Robert Schuster in den Mund legt und den eine beharrliche Konvention als "Übertreibung" zu relativieren versucht, nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt. August Zirner spricht ihn, die linke Hand in der Manteltasche, in der rechten ein verwelktes Herbstblatt, fast beschwörend zu seiner Nichte Olga, die auf der Straße bespuckt wurde, aber die Wirklichkeit nicht wahr haben möchte.
Erinnerungen an einen Theaterskandal
Wenn von Thomas Bernhards letztem zu seinen Lebzeiten uraufgeführten Theaterstück "Heldenplatz" die Rede ist, dann zumeist im Zusammenhang mit dem in vieler Hinsicht erhellenden Skandal, den es ausgelöst hat. Es gibt aber auch andere Gründe, die Claus Peymanns vielfach gerühmte Inszenierung 1988 am Wiener Burgtheater in die Theatergeschichte eingehen ließen – (im gleichen Jahr wurde in Österreich auch des 50. Jahrestages des "Anschlusses" an Nazideutschland gedacht). Dazu gehörte die Besetzung der zentralen Figur des Robert Schuster mit dem Schauspieler Wolfgang Gasser.
Eigentlich hatte Peymann für diese Rolle Hans-Michael Rehberg vorgesehen. Als Rehberg damals jedoch wegen eines kontroversen Interviews, das Peymann der "ZEIT" gegeben hatte, aus der Produktion ausstieg, entschied sich Peymann für Gasser. Der war zwar bereits vor Peymanns Übernahme der Burgtheaterdirektion in Wien ein prominenter Schauspieler und, seiner sonoren Stimme wegen, beliebter Radiosprecher. Mit "Heldenplatz" aber erlebte er seinen späten ganz großen Durchbruch.
Verwirrung der Identitäten
Zur Ironie, die sich in der Diskrepanz zwischen Person und Rolle gelegentlich auftun kann, gehört die Tatsache, dass Wolfgang Gasser, der in "Heldenplatz" einen am Weiterwirken des Nationalsozialismus in der Gegenwart verzweifelnden Juden spielte, im richtigen Leben der Sohn eines SS-Obersturmführers war. Das lohnte vielleicht nicht der Erwähnung, wäre in der letzten Zeit nicht die Frage zu einem heftig umstrittenen Thema geworden, wer wen eigentlich spielen darf. Darf also der Sohn eines SS-Obersturmführers einen Juden verkörpern? Übrigens hat schon Thomas Bernhard selbst zur Verwirrung um die Identität von Darsteller und Rolle beigetragen, indem er Stücke nach Schauspieler*innen benannte, die sie in den Uraufführungen dann auch selber spielten: "Minetti" oder "Ritter, Dene, Voss".
Ist es Zufall oder Kalkül? Bei der Inszenierung des "Heldenplatz" 2010 am Theater in der Josefstadt spielte Michael Degen den Robert Schuster, und am Landestheater Salzburg holte man sich für Alexandra Liedtkes Inszenierung, die jetzt, (notgedrungen: online), Premiere hatte und, wenn alles gut geht, dann ab 10. März vor anwesendem Publikum stattfinden wird, ebenfalls einen Gast: August Zirner. Beide, Degen wie Zirner, sind durch ihre Biographie prädestiniert, sich in die Rolle "einzufühlen". Zwar trennt die beiden ein Altersunterschied von 24 Jahren. Aber was es heißt, jüdische Vorfahren zu haben, ist für beide existentieller Teil ihres Lebens.
Bekenntnis zur Künstlichkeit
Neben August Zirner hat Regisseurin Alexandra Liedtke Elisabeth Rath als Gast nach Salzburg geholt. Ein Coup oder eine Verneigung vor Peymann? In der Uraufführung hat sie, anstelle der zusammen mit Rehberg und Elisabeth Orth abgesprungenen Gertraud Jesserer, eine der Töchter von Professor Josef Schuster, der sich vor Beginn der Handlung umgebracht hat, die eher schweigsame Olga gespielt. Jetzt ist sie die "Frau Professor", der die Pointe des Stücks gehört. In Wien fiel sie, ebenfalls eine Hommage an eine große Schauspielerin, Marianne Hoppe zu.
August Zirner spricht seine Rolle nicht – er singt sie. Er tut, was er kann, um der Eigenart von Thomas Bernhards musikalischer Sprache gerecht zu werden. So betrachtet kann man den Salzburger "Heldenplatz" als Widerstand gegen den aktuellen Trend des schlampigen Sprechnaturalismus begreifen, als Bekenntnis zur Künstlichkeit auf der Bühne. Zirner spielt den Robert Schuster als den resignierten Bruder, der die Verhältnisse sehr genau kennt, aber müde geworden ist beim Versuch, etwas daran zu ändern, und aus dem die Wut und die Verzweiflung nur momenthaft herausbricht. In seinem Gesicht zeichnet sich mehr Trauer als Empörung ab.
Klaustrophobische Vision
Das erste Drittel des nach überlieferten Maßstäben dramaturgisch völlig disproportionierten Stücks gehört der Wirtschafterin Frau Zittel, die nahezu ununterbrochen auf das eingeschüchterte Hausmädchen Herta (Patrizia Unger) einredet. Britta Baier spielt die Haushälterin mit langsamen, bedächtigen Bewegungen und einem besserwisserisch belehrenden Tonfall, aber dennoch weicher, als die hinreißende Anneliese Römer mit ihrer unvergessenen messerscharfen Stimme und die nicht minder grandiose Annemarie Düringer, die diese nach ihrem Tod in der zugleich bedrohlichen und komischen Rolle ablöste.
Und Elisabeth Rath? Sie ist nur 15 Minuten auf der Bühne und hat nur wenige Sätze zu sprechen, aber sie macht aus der kleinen Rolle mit jedem Blick ein Kabinettstück. Ganz am Schluss wird ihr Gesicht hell ausgeleuchtet. Von draußen, vom Heldenplatz, hört man, was in ihrem Kopf vorgeht: die Stimmen der Österreicher, die Hitler 1938 zugejubelt haben.
Es hat den Anschein, dass Alexandra Liedtke die Statik des Stücks, sein Mangel an Bühnengeschehen nicht ganz behaglich war. Im Mittelakt, der lediglich aus einem Dialog zwischen Robert, Anna und Olga besteht, lässt sie die Drehbühne funktionslos kreisen. Sie bringt, im doppelten Sinne, nichts zum Vorschein und ist auch als visuelle Zutat überflüssig. Das Bühnenbild von Eva Musil ist deutlicher noch als die legendäre Kulisse der Uraufführung von Karl-Ernst Herrmann in die Höhe gezogen, aber enger, die kafkaeske Vision eines Klaustrophoben.
Fallende Blätter und Nebelschwaden
Während des ersten Bildes baut Herta die Bühne nach und nach mit Umzugskartons zu wie Ionescos Neuer Mieter mit Möbeln. Den Volksgarten deutet Musil lediglich durch klappbare Gartenstühle, einen Abfallkorb, fallende Blätter und Nebelschwaden an, das Licht scheint von der Uraufführung inspiriert. Im dritten Bild dann wird aus einer Leiter, die im ersten Teil an den Wäscheschränken lehnte, und aus den Umzugskartons die Tafel zusammengebaut, die für das Schlusstableau benötigt wird.
Die Aufzeichnung folgt mit der sparsamen Bühnenmusik von Karsten Riedel den Konventionen von Fernsehübertragungen: die Kamera fokussiert die Darsteller*innen, die Einstellungen wechseln zwischen Totale, Halbnah und Großaufnahme, Zooms unterstreichen Höhepunkte des Textes. Der Schnitt bleibt unauffällig.
Heldenplatz
von Thomas Bernhard
Regie: Alexandra Liedtke, Bühne: Eva Musil, Kostüme: Johanna Lakner, Musik: Karsten Riedel, Dramaturgie: Friederike Bernau. Mit: August Zirner, Julienne Pfeil, Genia Maria Karasek, Aaron Röll, Elisabeth Rath, Axel Meinhardt, Eva Christine Just, Marco Dott, Britta Bayer, Patrizia Unger.
Online-Premiere am 6. Februar 2021
Dauer: 1 Stunde, 59 Minuten, keine Pause
Den Stream ist auf der Homepage des Landestheaters bis zum 5.3.2021 abruftbar. Tickets 9 EUR.
www.salzburger-landestheater.at
Kritikenrundschau
Die Abfilmung dieses Stücks, das seit seiner Uraufführung 1988 ins kollektive nationale Gedächtnis übergegangen sei, komme dem Theatergeschehen sehr nah, findet Margarete Affenzeller im Standard (7.2.2021, 15:40 Uhr). Die Kameras agierten geschickt dabei, die Unheimlichkeiten, ja "Geisterstimmung" einzufangen. Dass Regisseurin Liedtke die Figur des Professors Robert Schuster, gespielt von August Zirner, besonders herausstellt, gefällt! Weniger allerdings, dass Elisabteh Rath in der Rolle der Frau des verstorbenen Professors dabei weniger Bühne bekommt.
"Während die in voller Länge auf YouTube laufende Uraufführung mit Wucht, boshaftem Witz und einem grandiosen Ensemble bestach, fehlt Alexandra Liedtkes Salzburger Inszenierung der entschiedene Zugriff auf den Text. Es gibt einige stimmige Ideen, aber insgesamt wirkt die Produktion antiquiert – und sie hat Längen", schreibt Barbara Putsch in der Presse am Sonntag (6.2.2021). "Der letzte Akt ist der stärkste, wenn Elisabeth Rath in wenigen Sätzen die Witwe des Professors Josef zwischen Wahn und Wahrheit charakterisiert. Rath spielte bereits in der Uraufführung. In Salzburg sorgt sie als Grande Dame für wenige stählern schmerzhafte Minuten in dieser biederen Produktion."
"Liedtke vertraut zu Recht dem Text, der nichts von seiner Prägnanz und Eleganz verloren hat", schreibt Petra Paterno von der Wiener Zeitung (8.2.2021). "Das Problem der Aufführung liegt darin, dass im zurückgenommenen naturalistischen Inszenierungsstil die divergierenden darstellerischen Fähigkeiten des Ensembles offen zu Tage treten." Der dritte Akt falle "zwischen Pathos und Langatmigkeit" vollends in sich zusammen.
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ein Buch aus dem Jahre 1946 entdeckt, mit dem Titel "Buchenwald" Eine
Erinnerung an Mörder von Hans Berke. Auf der ersten Seite steht:
Nun schlaft ruhig,
Ihr Unschuldigen!
Der Fluch, der auf
Euern Mördern lastet,
Hat sie in den Abgrund gerissen!
Berke war selbst Häftling in diesem Konzentrationslager.
Und hier ist eine Stelle aus seinen Erinnerungen:
Ich sah die Erschießung eines Häftlings in wenigen Meter Entfernung vor mir. Der Posten hatte diesen alten Mann nicht gut getroffen, so dass er
noch Lebenszeichen von sich gab. Der Posten hat ihm daraufhin einen schweren Stein auf den Kopf geschmissen und der Alte rührte sich nicht mehr.
Zur Ironie, die sich in der Diskrepanz von Person und Rolle oft auftut, zählt auch die Tatsache, dass Wolfgang Gasser, der in „Heldenplatz“ einen am Weiterleben des Nationalsozialismus verzweifelnden Juden spielte, der Sohn eines SS-Obersturmführers war. Das lohnte nicht der Erwähnung, wenn nicht in der jüngsten Vergangenheit die Frage der Übereinstimmung oder Diskrepanz zwischen Darsteller und Rolle zu einem heftig umstrittenen Thema geworden wäre. Wenn auf der Bühne oder im Film nur ein Farbiger einen Farbigen, nur ein Angehöriger eines indigenen Volkes oder eine transgender Person einen Ureinwohner oder einen Transgender darstellen dürfen soll – darf dann der Sohn eines SS-Obersturmführers einen Juden verkörpern?
Die Redaktion hat den Absatz gekürzt, weil mein Beitrag zu lang war. Der Angriff meiner rhetorischen Frage richtete sich gegen die Forderung, es müsse im Theater eine Übereinstimmung zwischen Darsteller und Rolle geben.