The Bee - Hikedi Noda und das Tokyo Metropolitan Theatre richten bei den Ruhrfestspielen eine surreale Miniatur der Gewalt an
Das mögliche Monster
von Friederike Felbeck
Recklinghausen, 2. Juni 2014. Viel zu laut quillt stupide Popmusik aus den Boxen des Kleinen Hauses im Recklinghausener Festspielhaus. Piepsige und artifiziell klingende Kinderstimmen singen penetrante Refrains. Da kommt ein Mann in Anzug und mit Aktentasche eiligen Schrittes auf die Bühne. Weit kommt er nicht, denn er läuft in von allen Seiten gespannte Seile hinein, die eine Polizeiabsperrung um sein Haus markieren und ihn bald fesseln.
Er muss erfahren, dass seine Frau und sein kleiner Sohn im eigenen Haus festgehalten werden. Der Geiselnehmer, ein gerade aus dem Gefängnis entflohener Sträfling, will so erzwingen, seine eigene Frau besuchen und seinem Sohn zum Geburtstag gratulieren zu dürfen. Umringt von hektischen Reportern, die sendereife Emotionen aus ihm herauslocken wollen, merkt der Mann bald, dass die Polizei auf der Stelle tritt und wird selbst aktiv. Er schlägt vor, mit der Frau des Geiselnehmers, die ein Wiedersehen mit dem Knacki verweigert, zu sprechen. Ido, so der Name des Mannes, überzeugt die Polizei, ihn zu ihr zu bringen. Als er sie auf Knien bittet, ihren Mann zu empfangen, kommt er aus der Verbeugung als ein anderer wieder hervor: Dirty Ido ist geboren. Über seinem Kopf kreist eine animierte Riesenbiene.
Japanische Variante von Clint Eastwood
Der japanische Regisseur und Autor Hideki Noda hat sich die Rolle des Ido selbst auf den Leib geschrieben. Das ursprünglich in japanischer Sprache uraufgeführte Stück wurde 2006 gemeinsam mit dem inzwischen von Noda geleiteten Tokyo Metropolitan Theatre und dem Soho Theatre in London in einer internationalen englischsprachigen Besetzung mit Noda in der Hauptrolle wieder aufgenommen und ist bereits an zahlreichen Orten, u.a. in New York, London, Paris, Hong Kong, Sibiu, Jerusalem und in Luxemburg, gezeigt worden.
Nodas Geschichte von einem Mann, der als japanische Variante von Clint Eastwood kurzerhand die Frau und das Kind des Kidnappers selbst als Geiseln nimmt, ist ein ungewöhnliches Kondensat aus Medienschelte, Entschleunigungssehnsucht und Körpertheater: Ido entwickelt bei der reziproken Erpressung kriminelle Fertigkeiten, wie er sie nur aus dem Fernsehen und den ungezählten Krimis haben kann, von denen wir infiltriert werden. Die rasenden Reporter, die die gesamte Handlung begleiten und sich lediglich über die drei Buchstaben ihres Senderkürzels identifizieren, schneiden buchstäblich in die papierenen Wände des Hauses, in der Ido seine Geiseln festhält, hinein – gierig danach, Informationen und Livebilder zu bekommen. So heizen sie die Geschichte mit ihren sensationslüsternen Fragen noch an und soufflieren Ido seine vermeintlich angemessenen Reaktionen.
Die doppelte Entführung wird zu einer Spirale der Gewalt von Vergewaltigung und Amputationen, in deren Verlauf erst den beiden Kindern, dann den Ehefrauen die Finger abgeschnitten und in Briefumschlägen von Wohnung zu Wohnung transferiert werden. Dabei wird die von Ido als Geisel genommene Frau des geflohenen Häftlings zur willigen Sekundantin ihrer eigenen Qual. Sie unterwirft sich dem Despotismus des zunehmend verrohenden und soziopathischen Ido, kocht und begattet ihn und verpackt die abgeschnittenen Finger ihres Kindes für den Postweg.
The killer in me
Protagonist Ido erinnert an die realitätsabgewandten Figuren eines Haruki Murakami, die durch ein Schockerlebnis unvermittelt aus ihrem Alltag in eine andere Sphäre der Existenz katapultiert werden. So entdeckt auch Ido den Killer in sich: "This is the true me. Now I am alive. Alive to how things really are, alive to all the possibilities."
Nodas Radikalität ist überzeugend, seine Geschichte zugleich unangenehm und unterhaltsam anzuschauen. Dem lange Zeit putzig und fast kindlich in seiner Spielweise daher kommenden Abend, der mit Slapstickelementen wie mit dem britischen Understatement seiner Darsteller Anlauf nimmt und Teezeremonie und Kabukielemente mit BBC-Ambiente mischt, gelingt am Ende ein ästhetischer Coup: In einer langen Sequenz, die ganz ohne Sprache auskommt, zeigt Noda in schrillen Farben und einer zeitlupenartigen Genauigkeit, wie aus Gewalt gleichförmige Normalität wird: Ido kann nach tagelanger Geiselnahme die Entführte nicht mehr von seiner wirklichen Frau unterscheiden. Schließlich legt er seine eigene Hand auf das Schneidebrett und zückt das Sushimesser – ein riesiger Schwarm Bienen summt lautstark über seinen Kopf hinweg. Die Verwandlung des einfachen aber überforderten Geschäftsmannes, der kein Opfer sein will und das Zeug zum Täter hat, wird so zu einer erschreckenden Parabel auf das monströs Mögliche in uns.
The Bee
von Hideki Noda und Colin Teevan
nach einer Originalgeschichte von Yasutaka Tsutsui
Tokyo Metropolitan Theatre in Zusammenarbeit mit NODA MAP
Regie: Hideki Noda, Bühne: Yukio Horio, Kostüme: Miriam Buether, Licht: Christoph Wagner, Ton: Paul Arditti, Visual Effects: Shutaro Oku.
Mit: Hideki Noda, Glyn Pritchard, David Charles, Petra Massey.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.ruhrfestspiele.de
www.geigeki.jp
"'The Bee' ist ein starker, ungewöhnlicher Theaterabend, krass, (…) witzig und aufwühlend", meint Stefan Keim im Deutschlandradio Fazit (2.6.2014). Das Stück sei keinesfalls nur ein schwarzer Gesellschaftsthriller, sondern ein politisches Gleichnis. Hideki Noda, der in London seine Theaterausbildung gemacht habe und dort häufig arbeite, vermenge "die japanische Lust am Extremen" mit anarchischem britischem Humor.
"Temporeich, slapstickmäßig und unterhaltsam" findet Britta Helmbold den Abend in einer eher reportmäßigen Kurzkritik in den Ruhrnachrichten (3.6.2014).
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