Medienschau: WELT – Über die Theater im Osten

Zwei Welten

Zwei Welten

13. Mai 2023. In der WELT bereist Jakob Hayner anlässlich des Berliner Theatertreffens drei ostdeutsche (Theater-)Städte. Hayner geht den Fragen nach, welche Themen dort für die Menschen relevant sind – und wie sie auf den Bühnen verhandelt werden.

Hochtrabendes Vokabular da, Grundversorgung dort

Zum Berliner Theatertreffen sei mit Philipp Preuss' "Hamlet" aus Dessau "ausnahmsweise auch die ostdeutsche Provinz geladen", so Hayner. Das Theater der deutschsprachigen Metropolen und das der kleineren Städte im Osten stehe für zwei Welten: "Es sind zwei Theaterwelten kurz vorm Kontaktabbruch. Hochtrabendes Vokabular und akademische Moden hier, knappe Mittel und Grundversorgung dort."

Erste Station der Reise ist das Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz-Zittau. "Wut, Frust und Enttäuschung wurden durch Corona-Maßnahmen, Inflation und Ukraine-Politik verstärkt", so Hayer über die Stimmung in strukturschwachen Regionen. "Michael Kohlhaas" werde in Zittau als wuchtiges Chorstück inszeniert, um die Frage herum: "Was treibt einen der 'rechtschaffensten und entsetzlichsten Menschen' zum Aufstand gegen die Obrigkeiten?" In Zittau und Görlitz stellt die AfD die größten Fraktionen im Stadtrat.

Mehr Diskussionsoffenheit

"Es braucht eine andere Diskussionsoffenheit, mehr Lust an der Kontroverse, mehr Debatte. Es gibt zu viel Konsens in der Mitte", zitiert Hayer den Intendanten des Hauses, Daniel Morgenroth. Auch haben die Menschen im Osten "einen feinen Radar für Bullshit", so Morgenroth. Auch Dirk Löschner, Intendant in Plauen-Zwickau, kommt im Artikel zu Wort. Ein Höhepunkt der Spielzeit ist für Hayner dort "Zinnwald", eine Uraufführung des Vogtland-Dramatikers Christian Martin. "Zinnwald" zeige die einst stolzen Bergleute, aber in ihr "Brüder zur Sonne, zur Freiheit" stimme niemand mehr ein. "Das Vogtland ist berüchtigt. In Zwickau kroch der NSU unter, Gedenkorte für die Opfer wurden beschädigt", so Hayer.

Die dritte Station ist das thüringische Rudolstadt. Dort spricht Hayner mit Intendant Steffen Mensching. "Mit dem, was in der Theaterwelt der Metropolen angesagt ist, muss er hier gar nicht erst anfangen", wird dieser im Text zitiert. Die Inszenierung "Herscht 07769" am dortigen Stadttheater sei, so Hayner, "nicht belehrend, sondern erschütternd". Intendant Mensching ist sich sicher: "Ost und West, das ist nicht mehr das Problem". Das Problem sei, dass die Demokratie zusammenbreche, so der Intendant.

"Wie wäre es, zum Theatertreffen eigens bemerkenswerte Inszenierungen aus Städten einzuladen, an denen nie ein ICE hält?" fragt Hayner gegen Ende seines Recherche-Überblicks.

(WELT / sdre)

Kommentare  
Medienschau Theater m Osten: Absurd
Es ist dann doch ein bisschen absurd, dass Jakob Hayner ausschließlich die Städte besucht, die nicht zum Theatertreffen eingeladen sind. Nach Dessau (wo übrigens auch nie ein ICE hält) fährt er nicht, vielleicht, weil es seine These von den zwei Theaterwelten in Frage stellen würde? Dort läuft nämlich nicht nur der zum tt eingeladene "Hamlet", sondern das Haus ist unter Schauspieldirektor Alexander Kohlmann und seinem Ensemble bereits seit mehreren Spielzeiten ein künstlerischer Erfolg nach dem anderen gelungen. Mit nur neun Spieler*innen taucht das Haus regelmäßig in den überregionalen Medien (und in den nachtkritik-Charts) auf, renommierte Autor*innen wie Michel Decar bringen ihre Werke dort zur Uraufführung. Das muss man einfach auch aus der Ferne neidlos anerkennen, weil es eine andere Geschichte erzählt, als die des Beitrags und die der interviewten Intendant*innen.
Medienschau Theater im Osten: Raus aus Berlin!
"Wie wäre es, zum Theatertreffen eigens bemerkenswerte Inszenierungen aus Städten einzuladen, an denen nie ein ICE hält?" Oder: Wie wäre es, das Theatertreffen in diese bemerkenswerten Städte einzuladen?

https://nachtkritik.de/recherche-debatte/berliner-theatertreffen-der-hamburger-dramaturg-christian-tschirner-fordert-das-best-of-festival-in-die-provinz-zu-verlegen
Medienschau Theater im Osten: "Im Osten"
Wo bitte soll denn schon wieder "Ostdeutschland" liegen? In Dessau z.Bsp., welches süd-westlich von Berlin, fast zentral in "Mittel"Deutschland, liegt? Wann schaffen es Autorinnen und Autoren (geboren in Niedersachsen, Bayern oder Baden-Württemberg) endlich, die einzelnen Bundesländer wie Sachsen-Anhalt oder Thüringen oder oder oder korrekt zu benennen? Egal welches Feuilleton, ob nachtkritik oder Welt oder sonstwo: inklusive Sprache, bitte fangt endlich damit, es ist 2023! Danke.
Medienschau Theater im Osten: Strukturell benachteiligt
@Theaterbesucher:

Im allgemeinen Sprachgebrauch meint "Ostdeutschland" die neuen Bundesländer auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Gemein haben diese Bundesländer, dass sie nach wie vor strukturell benachteiligt sind, die Kommunen weniger Geld haben usw. "Osten" meint hier keine rein geographische Bezeichnung - und damit liegt Dessau nunmal in Ostdeutschland (und dass eine ostdeutsche Stadt, die nicht Leipzig oder Dresden heißt, zum Berliner Theatertreffen geladen wird, ist auch im Jahre 2023 noch etwas besonderes). "Korrekt" ist also allenfalls relativ und in diesem Falle wohl für viele Menschen wie mich korrekt gebraucht.
Kommentar schreiben