Presseschau vom 17. August 2015 – Der Künstler Wolfgang Müller über die Aktionskunst vom Zentrum für politische Schönheit und Christoph Schlingensief
Wer beruft die Berufenen?
Wer beruft die Berufenen?
17. August 2015. In einem Essay für die Berliner Gazette (10.8.2015) analysiert der Künstler Wolfgang Müller eingehend die Aktionskunst des Zentrums für politische Schönheit (ZpS) im Vergleich mit der Aktionskunst von Christoph Schlingensief. Der Fokus liegt auf dem ästhetischen Profil und der Logik des künstlerischen Auftritts. Das "Weißsein“ der Aktionskünstler wird vermerkt ebenso wie der dezidiert nicht queere Look ihrer Auftritte: "Die Aktivisten und die Aktivistinnen wirken insgesamt sehr smart, sehen gut aus und könnten genauso gut einem Prospekt der Sparkasse, der Jugendgruppe der Liberalen oder der Grünen entstammen. Sie wirken jedenfalls kein bisschen queer."
Schlingensief: Vom Rebellen zum Erlöser
Im Wesentlichen widmet sich der Essay einer Verfallsgeschichte der zunächst wilden, grenzenverwischenden Aktionskunst von Schlingensief hin zu einer Mainstreamposition "moralischer Reinheit", die dann auch beim ZpS diagnostiziert wird. "In Schlingensiefs Aktionskunst flirteten Zynismus, Kunst, Religion und Humanität oft derart wild miteinander, dass sich die Grenzen zwischen Realität und Kunst nicht mehr ausmachen ließen. In der Interaktion zwischen Künstler und Publikum entstanden auf diese Weise manchmal wunderbare, erheiternde und zugleich berührende Aktionskunstwerke." Diese Qualität der Arbeit Schlingensiefs habe sich nach dem Container-Event "Ausländer raus!“ 2000 (in Wien) erledigt. Im Anschluss sei Schlingensiefs Werk in den deutschen Mainstream eingemeindet worden "als Beleg einer freien Gesellschaft."
Der um seine Gefährlichkeit beraubte Rebell Schlingensief habe fortan vom Erlösermythos gezehrt (als einer, der die Widersprüche einer auf Vielfalt beruhenden Gesellschaft heile, tatsächlich aber zugleich ihre Stereotypen reproduziere). "In seinen Performances setzte er den christlichen Erlösermythos in einer modernisierten, säkularen Variante fort. Diese Tradition führt das Zentrum für Politische Schönheit fort, wenn es Symbole wie christliche Kreuze, Farbsymboliken wie schwarz und weiß einsetzt, Widerstandskämpfer auflistet oder mit Begriffen wie 'Holocaust' hantiert." Offen bleibe in diesem Erlösermythos die "die nichtgestellte Frage der eigenen Berufung. Wer beruft eigentlich die, die sich für berufen halten?"
(chr)
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