Presseschau vom 22. November 2016 – Die Berliner Zeitung rüffelt die neue Berliner Kulturpolitik

Berliner Bananenrepublik

Berliner Bananenrepublik

22. November 2016. In der Berliner Zeitung rollen Jens Balzer und Christian Schlüter mit den Augen, weil der designierte Berliner Kultursenator Klaus Lederer angekündigt hatte, die Personalie Chris Dercon – der 2017 die Berliner Volksbühne übernehmen soll – zu prüfen. Und sie ziehen Schlüsse: "Die Koalition ist sich einig, Müller zieht einen klaren Strich unter die Renner-Ära und nimmt die massive Beschädigung von Dercon in Kauf."

Die Autoren schlussfolgern weiter, dass das nur in Abstimmung mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller geschehen sein könne – und beziffern eine mögliche Ablösesumme für Dercon "auf fünf bis acht Millionen Euro". Dabei gehe es einerseits um "einen Kampf der Gegenwart gegen die Vergangenheit", andererseits darum, dass der Ruf der Berliner Kulturpolitik als Ganzes auf dem Spiel stehe. "Was wäre das für ein Imageschaden, wenn der Eindruck erweckt wird, dass man hier Intendanten und Künstler – die international renommiert sein mögen oder nicht – nach jedem Regierungswechsel umstandslos wieder nach Hause schickte? Es herrschte dann Rechtsunsicherheit wie in einer Bananenrepublik."

Die Autoren werfen Klaus Lederer "eine neue populistische, geradezu postfaktische Wurstigkeit" vor und vergleichen ihn mit dem noch amtierenden Kulturstaatssekretär Tim Renner: An "Klientelismus und Dilettantismus hat ihn sein Nachfolger, bevor er das Amt überhaupt angetreten hat, jetzt bereits in beeindruckender Art überboten".

(geka)

Kommentare  
Presseschau Berliner Kulturpolitik: Wortwitz kippt hier
So sehr ich die Pop-Kritiken von Jens Balzer in ihrer unterhaltsamen Formulier-Wut manchmal schätze - hier kippt das Verhältnis von Wortwitz und bedenkenswertem Inhalt dann doch zu Ungunsten des Inhalts. Die Volksbühne für einen Joke gleich pauschal in eine Restmüll-Tonne mit allem Nervigen, Altbackenen und Ewiggestrigen zu treten, das ist mir dann doch zu eitel. Ich finde ganz entschieden: Das stimmt nicht! Die Volksbühne war und ist in der gesamten Castorf-Zeit immer wieder für Überraschungen gut (gewesen) und steht nicht ohne Grund im Ruf, die einflussreichste Schauspielbühne der Welt zu sein. Daran ist nichts alt, außer das Haus.
Presseschau Berliner Kulturpolitik: einseitig
Blödsinn. Wenn der Chef wechselt und sich völlig legitimer, vertraglich vordefinierter Mittel bedient, jemanden abzufinden, dann besteht keine Form der Rechtsunsicherheit, egal ob einem das jetzt persönlich gefällt oder nicht. Man kann schlechterdings nicht einseitig über systemkonforme Entscheidungen herziehen, wenn sie dieselben Mechanismen anwenden.
Presseschau Berliner Kulturpolitik: 2 S-Bahn-Stationen
Keine Angst, die Helden bleiben uns, werter Felix, doch erhalten, sie müssen den Allerwertesten nach einem Vierteljahrhundert nur ein Haus weiter bewegen. Die S-Bahn braucht etwa 3 Minuten vom Alex bis zur Friedrichstraße, die Fußwege eingerechnet von VB zu BE: 15 Minuten. Dit schaffenwa!
Presseschau Berliner Kulturpolitik: Koalitionsvertrag lesen
Anstatt in schlechtem journalistischem Stil über post- bzw. prästrukturelle ungelegte Eier zu polemisieren, sollte man lieber den Koalitionsvertrag lesen und darüber inhaltlich diskutieren. Hier der Link sogar mit Kommentierung:

https://interaktiv.morgenpost.de/koalitionsvertrag-berlin-2016/

Auszug:

Berlins Kultureinrichtungen inhaltlich und strukturell stärken

Die Koalition setzt sich zum Ziel, Berlins Kulturinstitutionen in ihrer Programmarbeit zu stärken und die Planungssicherheit für die Häuser zu verbessern. Kultureller Substanzerhalt, ästhetische Innovation, Diversitätsentwicklung und kulturelle Bildungsarbeit sind dabei wichtige Kriterien.

Institutionell geförderte Einrichtungen müssen in die Lage versetzt werden, ihre soziale Verantwortung gegenüber künstlerischem und nicht-künstlerischem Personal gerecht zu werden. Prekäre Arbeit und Tarifflucht, z.B. durch Outsourcing, sind nicht förderfähig. Kulturpolitische Entscheidungsprozesse müssen auch im Bereich der öffentlichen Kulturinstitutionen transparenter werden. Der Entscheidung über die Neubesetzung von Leitungspositionen müssen Debatten mit den Häusern über die zukünftige konzeptionelle Ausrichtung vorausgehen. Evaluationen, Ausschreibungen und Auswahlkommissionen sollten auch im Kulturbereich üblich werden. Davon unberührt bleibt die künstlerische Gesamtverantwortung der Leitung/ Intendanz der jeweiligen Einrichtung nach ihrer Einsetzung. Die Koalition strebt, analog zu anderen Landesbetrieben, die Offenlegung der Vergütungen in Spitzenpositionen künstlerischer Institutionen an, die vom Land getragen werden.
Kurzanalyse

Räume für Kultur unterliegen in besonderer Weise dem Verwertungsdruck in einer boomenden Stadt. Berlins Kulturschaffende und Kreative brauchen auch in Zukunft ausreichend Raum zu günstigen Konditionen und in geeignetem Umfeld. Das beinhaltet auch die Musik- und Clubkultur.

Mit einem mehrjährigen Sanierungsprogramm wird die Koalition die überfällige Modernisierung der kulturellen Infrastruktur in Angriff nehmen. (...) Die Koalition wird eine Agentur für kulturelle Zwischennutzung freier Räume und Liegenschaften einrichten und ein Kulturkataster erstellen.

(...) Ein Stadtentwicklungsplan „StEP Kultur“ soll systematisch Kulturflächen sichern. Die Koalition prüft den Ankauf von Objekten und Liegenschaften. Landesflächen sollen für kulturelle Zwecke mit, um- bzw. nachgenutzt werden, z.B. der ehemalige Flughafen Tempelhof, die ehemalige Akademie der Wissenschaften, die Hochschule für Schauspielkunst in der Schnellerstraße und das Haus der Statistik, sofern ein Kauf realisiert werden kann. Für die dauerhafte Bespielung des traditionsreichen Schiller-Theaters muss ein Nutzungskonzept entwickelt und umgesetzt werden. Die Koalition wird sich für den Erhalt des Theaterstandorts am Kurfürstendamm einsetzen.

Vielfalt der Kulturmetropole Berlin – Popkultur und Popmusik fördern

Die Koalition will die professionellen Kinder- und Jugendtheater als wichtige Akteure bei den kulturellen Angeboten für Kinder und Jugendliche durch eine Erhöhung der Fördermittel stärken. (...) Es werden zusätzliche Förderfonds mit Projektmitteln für innovative, experimentelle Formate aufgelegt.

Die Koalition wird den Tanz in Berlin stärken und die Tanzförderung in den kommenden Jahren strukturell in allen Fördersäulen ausbauen. (...)

Die Koalition unterstützt die Musik- und Clubkultur in Berlin und sorgt gemeinsam mit ihr dafür, dass die Arbeitsbedingungen – von Räumen über geeignete Förderinstrumente bis hin zum Interessenausgleich bei Nutzungskonflikten – verbessert werden. (...) usw.
Presseschau Berliner Kulturpolitik: Sorgen um Renner
Google fördert ein Balzersches Porträtwerk über Tim Renner zutage, um das er sich natürlich Sorgen macht. Er scheint der Hofbiograph Renners zu sein, und hat ihn allein in den letzten zwei Jahren (...) für Print- und online-Medien interviewt.
Performer oder Schauspieler?: Part of the game
Dercon ist der Kaiser ohne Kleider mit einem rollbaren Schloss auf einem stillgelegten Flughafen. Tim Renner und seine Popper versuchen jetzt den Preis für seine Abfindung in die Höhe zu treiben. Das ist part of the game, okay. Und dann gibt es Journalisten, die auch mal ein bisschen Macht ausüben wollen. All das ist langweilig wie die gewaschenen Socken, die man auf Renners Facebook Seite finden kann. Dercon stilisiert sich zum Opfer, dem der Mist vor die Tür gekippt wird, der, wie sein chinesischer Galeristenkollege öffentlich Abbitte tun soll, dafür, dass er das falsche Bild ausgestellt hat. Schön wär es, denn bei dem was Dercon bisher öffentlich zu seinem Programm geäußert hat, erwartet man eher ein Ikebana-Gebinde aus dem Waldorfkindergarten. (...) Man darf als Theaterleiter narzistisch sein, aber dann ist mir Castorf wirklich lieber. Der hat wenigstens ein Problem mit der Welt.
Presseschau Rüffel Berliner Kulturpolitik: anders gerechnet
@Jens Balzer:

Sie schreiben "Dercon hat gute und teure Anwälte, eine Blitzumfrage im Kulturbetrieb ergab am Wochenende eine übereinstimmende Schätzung auf fünf bis acht Millionen Euro Abfindungskosten für den Fall, dass er tatsächlich einen unfreundlichen Abschied hinnimmt."

In wen hat denn der Blitz so alles eingeschlagen?

Die Abfindung richtet sich in der Regel nach der ausstehenden Vertragslaufzeit, der Höhe des Gehalts und dem "Marktwertverlust" des Arbeitnehmers.

Vertragslaufzeit: fünf Jahre, oder?
Gehalt: wohl keine Million pro Jahr, oder?
Marktwertverlust: ??
Presseschau Rüffel Berliner Kulturpolitik: Theaterfuchs
Der Kollege ist ja als ausgewiesener Theaterfuchs ebenso bekannt wie Dercon als ausgewiesener Intendant eines Sprechtheaters.
Presseschau Rüffel Berliner Kulturpolitik: auf den Punkt gebracht
Wer hätte gedacht, dass Jens Balzer in der Berliner Zeitung und Rüdiger Scharper im Tagesspiegel mal genau dasselbe schreiben würden. Ich bin begeistert. Ach davon, dass man in der Berliner Zeitung auch eine andere Sicht als die von Ulrich Seidler zulässt.
Letztendlich hat Jens Balzer alles sehr gut auf den Punkt gebracht.
Rüffel Berliner Kulturpolitik: Gesamtkosten
lieber hans zisch,

wenn die abfindung von 5-8 millionen nur auf dercon gerechnet wäre,dann wäre dies ein exorbitanter betrag,(...)

gemeint sind wohl eher die gesamtkosten für das team dercon,
(wer auch immer noch schnell unterschreiben möchte ,oder schon hat),
umzugsvergütung/aufwand,auslagen,etc.
ist nur eine vermutung,mal sehen ob dies hier noch mal zu lesen ist.

freundliche grüsse
Rüffel Berliner Kulturpolitik: Runder Tisch
@10:

Danke für Ihre Anmerkung. Diese Vermutung wird der kommende Kultursenator ja prüfen können, indem er mal nachhakt. Dann wird klarer, welche Verträge in welchem Umfang schon unterschrieben sind. Werden Akustiksegel eingebaut? Wie groß ist das Team? Die dienstlich bedingten Auslagen sind hoffentlich Teil des Vorbereitungsetats und kommen nicht "on top".

Das ist spieltheoretisch natürlich alles total interessant: Jetzt noch schnell Verträge unterschreiben, es kann so oder so nicht schaden.

Frau Bangert hat vollkommen recht, es braucht einen Runden Tisch. Das Rennersche Dekret hat einfach zu viel Porzellan zerschlagen. Ich wünsche allen Beteiligten, dass es eine gütliche Lösung gibt, die nicht nur "von oben" kommt. Dercon selbst sollte mitwirken, indem er das nicht aussitzt, sondern die Kritik anerkennt, die aufgelaufen ist. Deswegen: Runder Tisch.
Rüffel Berliner Kulturpolitik: Renners Last-Minute-Politik
Man muß auch noch einmal festhalten, daß Renner die Verträge mit Waltz und Co. noch im Wahlkampf überstürzt abgeschlossen hat, um Tatsachen zu schaffen. Wahrscheinlich ahnte er schon, daß er dem Sonnenuntergang entgegensegelt. Wie diese Last-Minute-Politik mit demokratischen Gepflogenheiten zusammengehen soll, ist doch auch sehr hinterfragbar. Wenn Lederer nun erst einmal antritt und das Chaos sichten will, daß Renner hinterlassen hat, dann kann man ihm zugestehen, auch mögliche Fehlentscheidungen zu prüfen. Das ist sein Job.
Rüffel Berliner Kulturpolitik: hanebüchene Zahlen
@7: Jahresgehalt von Dercon nach Selbstauskunft offenbar weniger als eine viertel Million.

http://www.bz-berlin.de/landespolitik/klaus-lederer-will-gehaelter-von-kulturschaffenden-offenlegen

Offenkundig sind Jens Balzers Zahlen vollkommen hanebüchen, nicht durch Fakten zu belegen und somit ein Luftschloss. Bislang keine Hintergrundinfo dazu, pure Behauptung.
Presseschau Berliner Kulturpolitik: Dercons Funktion
Jens Balzer schreibt weiter: "Was wäre das für ein Imageschaden, wenn der Eindruck erweckt wird, dass man hier Intendanten und Künstler [...] nach jedem Regierungswechsel umstandslos wieder nach Hause schickte?"

Das hätte ja zumindest Tradition. Wie lange war Noch-acht-Tage-Kulturstaatssekretär Tim Renner frisch im Amt, als er begann die Castorf-Volksbühne zu zerschlagen? (Offenkundig jedenfalls nicht lange genug um einen Schimmer zu erlangen, woran er die Axt legt bzw. wen man vielleicht einbeziehen müsste, wenn man eine solche Grundsatzentscheidung vorbereitet.)

Dercon soll nicht nach Hause, er soll sich an der Auflösung der Misere beteiligen, Abstand nehmen und in Berlin in anderer Funktion blühen.
Presseschau Berliner Kulturpolitik: Renner in den Bundestag
http://www.morgenpost.de/berlin/article208840485/Tim-Renner-will-fuer-Deutschen-Bundestag-kandidieren.html

"...Er wolle nicht in die Wirtschaft zurückkehren, sagt Renner, und auch kein Buch schreiben. "Ich habe gemerkt, wenn man Input gibt, kann man relativ schnell viel bewegen", erklärt Renner seine Entscheidung..."
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