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Antisemitismus: Offener Brief von Autor*innen
29. Oktober 2023. Das Schweigen des Kulturbetriebs nach dem Hamas-Massaker in Israel am 7.10. und den darauf folgenden Drohungen gegen Jüdinnen und Juden sowie jüdischen Institutionen weltwelt hat einen offenen Brief an den Literaturbetrieb provoziert, den inzwischen viele namhafte Autor*innen unterschrieben haben.
"Wir sind links-, liberal- und konservativ-denkende Autorinnen und Autoren. Was uns eint, ist die Solidarität mit den in Deutschland, Österreich und der Schweiz lebenden Jüdinnen und Juden. Was uns eint, ist die Solidarität mit dem Staat Israel und allen Menschen, die sich für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, auch im Gazastreifen, einsetzen. Wir stellen uns gegen jede Form von Antisemitismus – aus der Mitte, wie von rechts und links."
Nach dem Angriff der terroristischen Hamas auf Menschen, "die nichts anderes zu Opfern von Folter, Vergewaltigung, Entführung und Mord machte, als dass sie jüdische Israelis sind, verharrt der Literaturbetrieb in einem an Bräsigkeit nicht zu überbietenden Schweigen. Oder ist es gar keine Bräsigkeit, sondern konzentriertes Stillhalten, um bloß keinen Fehler zu machen?", heißt es darin unter anderem.
"Der Literaturbetrieb könnte machen, was er auch sonst macht: Solidaritätsbekundungen und Solidaritätslesungen. Das alles wäre nicht viel und doch wäre es eine öffentliche Haltung, die der einen oder dem anderen Halt gäbe, und die den jüdischen Autorinnen und Autoren deutlich machen würde: Ihr seid nicht allein, wir sind an Eurer Seite. Stattdessen wird geschwiegen, ein Schweigen, das dumpfer und lauter nicht sein könnte. Wo sind die Literaturhäuser, die Literaturinstitutionen, die Literaturfestivals, die Akademien, die Verlage? Der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 zog nahezu ad hoc Solidaritätsbekundungen nach sich, die jetzt fehlen. Warum? Hat wirklich niemand dazu eine Haltung? Oder ist der Antisemitismus bereits so weit im Literaturbetrieb verankert, dass hier der Grund zu suchen ist?"
Jüdinnen und Juden seien in diesem Land, in Europa und weltweit bedroht.
"Es ist Zeit, in aller gebotenen Schärfe die Stimme zu erheben. Wir haben genug von jedwedem relativistischen Lavieren. Wir sehen das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung und fordern humanitäre Hilfe, wenden uns aber dagegen, mit dem Leiden der Menschen im Gaza-Streifen den Terror der Hamas zu relativieren und die Selbstverteidigung Israels zu delegitimieren. Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten und hat, wie jeder funktionierende Staat, die eigene Bevölkerung vor Terror zu schützen."
Unter den Unterzeichnenden sind neben vielen anderen Dirk von Lowtzow, Sibylle Berg, Christian Kracht, Clemens J. Setz, Durs Grünbein, Hengameh Jaghoobifarah, Lutz Seiler, Hannah Zufall, Burkhart Klaußner, Marcel Beyer, Doris Dörrie, Anne Rabe, Lothar Kittstein, Rebekka Kricheldorf, Albert Ostermaier, Alexander Karschnia, Terézia Mora, Alissa Walser, Nuran David Calis und Haznain Kazim.
(sle)
Hier die Meldung Deutscher Bühnenverein verurteilt Hamas-Terroranschlag vom 10. Oktober 2023
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– condemn Hamas
– stand against antisemitism
– stand against islamophobia
– support Israel's right to exist
– oppose Israel's policies
– feel solidarity with Palestinian victims
– feel solidarity with Israeli victims
Why is this hard to understand?»
Dina D. Pomeranz
Der Krieg begann aber weder an dem Datum, noch endete er damit. Was man bei einigen Medienmeldungen vermuten könnte.
Dina D. Pomeranz greift in ihren Worten genau das auf: es muss doch möglich sein, das Sterben Tausender (wie vom palästinensischen Gesundheitsministeriums mit einem 200-seitigen Dokument mit vollständigem Namen, ID-Nummer und Geburtsdatum belegt) scharf und unverzüglich zu verurteilen!
Wenn hier das Recht auf Verteidigung greift, dreht sich mir der Magen um, wenn ich an die Zukunft denke und die Palästinenser von IHREM Recht auf Verteidigung Gebrauch machen wollen... oder steht ihnen das nicht zu?
Und es ist schlichtweg fahrlässig zu behaupten, dass die Israelis die Aggressionen im Nahen Osten allein wegen ihrer Religion trifft, nicht, weil ihre Politik und der Siedlungsbau das Leben und Land der Palästinenser*innen besetzt und gefährdet.
Als Palästinenser in der Diaspora im deutschen Kulturbetrieb suche ich händeringend nach einer Differenziertheit bei der Betrachtung des Konflikts. Während ich gleichzeitig genau das mache, was Dina D. Pomeranz fordert: ich verurteile die Hamas, stehe gegen Antisemitismus und spreche sowohl Israel als auch Palästina ein Existenzrecht zu. Das muss doch beides möglich sein? Wie kann ich den illegalen Siedlungsbau, der sich durch die palästinensischen Autonomiegebiete zieht, in irgendeiner Form akzeptieren, nur weil die politische Kritik an Israel in Deutschland als antisemitisch gilt?
Denn klar, wer kennt den Antisemitismus besser als die Europäer, haben sie ihn doch geboren und kultiviert? Stammt er ja nicht aus dem Nahen Osten, sondern aus der Aufklärung in Europa... aber lasst uns nicht den schwarzen Peter jetzt hin- und herschieben. Bitte lasst uns endlich deutlich den Krieg und die israelische Politik anschauen und nicht in irgendwelchen Statements so tun, als würde die Ohnmacht und das Schweigen einzig aus antisemitischen Gründen passieren, sondern weil man politisch nicht zu 100% hinter einem Staat stehen kann.
Was bedeutet das aber in der Praxis? Die Debatte ist trotzdem vergiftet, im Netz werden die Mauern hochgezogen, alle haben irgendeine Meinung und man soll sich gefälligst zu irgendeiner „Seite“ bekennen, und nur zu dieser. Wem das schwerfällt, wird Schweigen, Desinteresse oder Hinnahme des Leids vorgeworfen, im harmlosen Fall.
Wir bräuchten Zeit, um gemeinsam zu trauern, und ja, auch viele Deutsche trauern. Aber die Ereignisse lassen das nicht zu, wir haben keine Zeit.
Diesen fehlenden Moment der Empathie haben viele jüdische Stimmen schon seit dem 7.10. beklagt und beklagen jetzt die Angehörigen der Menschen in Gaza.
Der offene Brief bezieht Stellung, ohne zu verunglimpfen. Ich stimme ihm zu, denn mich erschüttern die Taten der Hamas extrem, wie auch die Folgen der von der Hamas eingepreisten Reaktion, und das bildet der Brief ab.
Dass manche sich von dem Brief „angetriggert“ fühlen, kann ich verstehen: Eine fehlende Formulierung, ein Wort zu viel oder zu wenig, ein Bekenntnis – und schon gehen zurzeit die Alarmglocken an, auf allen „Seiten“. Ich glaube, viele von uns stecken irgendwie in diesem Dilemma und suchen nach Lösungen oder Handreichungen.
Zunächst fand ich es nachvollziehbar und gut, dass es in den Theatern eher still ist und nicht alle gleich mit Erkenntnissen, Einordnungen oder lautstarken Bekundungen aufwarten. Aber so langsam wirkt diese Stille auf mich bedrohlich.
Ist es möglich, dass das, was in dem Brief in Sachen Antisemitismus für den Literaturbetrieb formuliert wird, auch auf die Theaterszene Deutschlands zutrifft?
Ich glaube und hoffe es nicht – aber wir müssen es irgendwie herausfinden und uns damit auseinandersetzen.
Der STREITRAUM vorgestern in der Schaubühne Berlin ließ mich ein wenig Hoffnung schöpfen. Dort bildeten die von Dina D. Pomeranz genannten Punkte den Rahmen, jedenfalls nahm ich es so wahr.
(@ Salam: auch auf Youtube noch zu sehen, einige Ihrer Themen wurden besprochen, vielleicht sogar in Ihrem Sinn).
Und ich finde, die Theater und Verbände sollten ihre Räume noch mehr für diese Art von Auseinandersetzung öffnen und nicht so tun, als sei nichts geschehen oder als ginge uns der Konflikt nichts an.
Wir müssen miteinander sprechen, auch wenn es wehtut. Oder es zumindest versuchen.
Ohne Whataboutism, ohne Unterstellungen und ehrlich. Ansonsten können wir einpacken und der AfD gleich das Feld überlassen.
Und auch stimme ich Dir vollkommen zu, ich finde auch dass Theater und Verbände ihre Räume für respektvolle Auseinandersetzungen bieten, in denen man sprechen und argumentieren kann. Menschen zuhört und miteinander Themen verhandelt. Dafür sind Theater da, neben künstlerischen Räumen sind es eben gesellschaftliche Austauschräume und Denkräume.
Ich stehe vor dem Schauspielhaus in Hamburg. Dort hängt ein Plakat, das sich inhaltlich dem Statement des Deutschen Bühnenvereins anschließt. Auch auf der Website des Theaters ist dieses zu finden. Ebenso ist das beim Ernst DeutschTheater und bei den Kammerspielen der Fall.
Ich stehe (heute Nachmittag) vor dem Thalia Theater und sehe kein Plakat, keinen Aufruf diesbezüglich. Auch nicht auf der Seite des Theaters. Warum nicht?
Im Schauspielhaus läuft derzeit die aufrüttelnde Inszenierung von Karin Beier "IOKASTE", bei der aufgrund der politischen Aktualität bezügl. Israels und Gaza einem der Atem stockt.
Ungemein beeindruckt, aber auch sehr verzweifelt verlasse ich das Theater. Diese Inszenierung wäre ein Anlass, anschließend über diesen furchtbaren Konflikt miteinander ins Gespräch zu kommen. Warum findet so ein Publikumsgespräch nicht statt?
(...)
Auch ich wünsche mir ein Theater der Begegnung, der wahrhaftigen Worte - und die nicht nur auf der Bühne.
www.thalia-theater.de
Der Hinweis meint doch wohl "wir westlichen Länder - inkl. Israel - sind den arabischen Ländern moralisch überlegen", ohne das laut auszusprechen. Helfen tut diese Haltung nichts und niemandem.