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Der Brecht-Forscher Werner Mittenzwei ist tot
Dialektischer Biograph
17. Februar 2014. Der Literatur- und Theaterwissenschaftler, Dramaturg und Brecht-Biograph Werner Mittenzwei ist tot. Er verstarb vergangenen Freitag, am 14. Februar 2014, in einem Berliner Krankenhaus im Alter von 86 Jahren.
Mittenzwei, 1927 im sächsischen Limbach geboren, hatte sich bereits in seiner Dissertation mit dem Titel "Der Beitrag Bert Brechts zur sozialistischen Dramatik" dem Hauptgegenstand seiner Forschung zugewandt. Er wurde später nicht nur Mitherausgeber der Großen Kommentierten Frankfurter und Berliner Brecht-Ausgabe, er verfasste auch eine der maßgeblichen Biographien Brechts in zwei Bänden, die 1986 in der DDR und 1989 auch in der Bundesrepublik erschien und zahlreiche Nachauflagen erlebte. Zudem war Mittenzwei in den 1970er und 1980er Jahren – nach seiner Zeit als Gründungsdirektor des Zentralinstituts für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften in der DDR – auch als dramaturgischer Mitarbeiter und Leitungsmitglied am Berliner Ensemble, dem von Brecht gegründeten Theater, tätig. Ab 1983 war er Mitglied der Akademie der Künste der DDR und ab 1978 Mitglied des PEN-Zentrums DDR.
nachtkritik.de-Redakteur Dirk Pilz schrieb in seinem in der Berliner Zeitung veröffentlichten Artikel zum 80. Geburtstag Mittenzweis, dass dessen zentrale Forschungsaufgabe in der Frage bestanden habe, "wie man einer Sache dienen kann, ohne von ihr in Dienst genommen zu werden. Die Sache, das ist die marxistische Ästhetik, der kommunistische Gedanke, die DDR selbst." Berühmt sei etwa "jenes Kapitel aus der Brecht-Biografie, in dem er dessen Auseinandersetzungen mit der Kulturbürokratie schildert. Mittenzwei gelingt es hier, die Vorgänge frei von ideologischen Vorurteilen zu schildern – und beim Leser ein Gespür für die historischen Bedingungen zu schaffen."
Mittenzwei hat auch nach der Wiedervereinigung, die ihm nicht den Glauben an die Wirksamkeit der materialistischen Dialektik als Methode nahm, wichtige und zum Teil nicht unumstrittene Bücher vorgelegt, seine Autobiografie "Zwielicht. Auf der Suche nach dem Sinn einer vergangenen Zeit" etwa oder die große Studie "Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945-2000".
(wb)
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Die Einzige im Stück, die keiner "Sache", sondern Menschen (den Bewohnern der belagerten Stadt im letzten Bild) dient, ist die stumme Katrin. Und die kann nicht "in den Dienst genommen werden", weil sie erschossen wird.
Was sagt uns das über die Dialektik Mittenzweis, der lieber dienen als erschossen werden wollte und sich seine Weste trotzdem weiß redete?
An seiner Bedeutung für die Brecht- und Exil-Forschung gibt es nichts zu deuteln. Aber Céline schrieb ja auch tolle Bücher und Wagner tolle Opern, ohne dass man ihre Lebenspraxis zur Nachahmung empfehlen müsste.
De mortuis nil nisi bene?
Auch so ein hypokritischer, systemstabilisierender Grundsatz zur Aufrechterhaltung der überkommenen Ordnung. Brecht selbst hat uns gelehrt, nicht anzubeten, sich nicht zu identifizieren, sondern seinen kritisch-kühlen Blick zu wahren und Zigarre zu rauchen: im Theater wie auf der Beerdigung.
Mittenzwei ist für seine Brecht-Genauigkeit, die er konnte so gut er konnte in seiner Zeit und seinem Ort, genauso zu danken, wie z.B. Knopf zu danken sein wird und allen Genauen in ihrer Zeit an den Orten, an die sie gestellt waren und denen sie sich gestellt haben – wer will da richten vom andern Ort aus, der den andern Ort in seiner Zeit doch eher vom Hörensagen kennt?
Und: Nach meiner Erfahrung, verehrter Guttenberg, kann man - gleich welche - Lebenspraxis überhaupt nicht und niemandem zur Nachahmung empfehlen. Weil ja jeder nur ein Leben hat. Ein sehr eigenes eben. Woher soll einer wissen, ob es sein eigenes Leben ist, wenn er eine ihm anempfohlene Lebenspraxis ausprobierte wie einen Mantel oder Anzug? Würde die nicht zwangsläufig immer schlecht an ihm sitzen? Und und: Kein noch so intelligent hervorgebrachter Grundsatz wäre imstande eine wirklich überkommene Ordnung aufrecht zu erhalten und Intellektuelle wissen das! Die Lateiner wollen es nur manchmal nicht wahrhhaben und wenigstens klug in die/der neue/n Zeit mit ihren Unwägsamkeiten rüberkommen...
Freundlichst -