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Erwin Geschonneck gestorben

Der Sohn des Nachtwächters

Berlin, 12. März 2008. Der Schauspieler Erwin Geschonneck ist heute morgen im Alter von 101 Jahren in seiner Wohnung in Berlin gestorben. Dies teilte die Berliner Akademie der Künste mit, deren Mitglied Geschonneck seit 1969 gewesen ist. Geschonneck war einer der großen Film- und Theaterstars der ehemaligen DDR, wohin ihn Bertolt Brecht 1949 aus Hamburg geholt hatte und zu dessen prägenden Protagonisten er am Berliner Ensemble einige Jahre gehörte.

An der Seite von Leonard Steckel spielte er u.a. in Brechts Inszenierung seines Stückes "Puntila und sein Knecht Matti" die Rolle des Matti. Außerdem macht Geschonneck eine Karriere als Filmschauspieler bei der DEFA. Zu seinen berühmtesten Filmen gehörte "Das kalte Herz" (1950), "Das Beil von Wandsbek" (1951), "Nackt unter Wölfen" (1962) und "Jakob, der Lügner" (1974) – der einzige DDR-Film, der je für einen Oscar nominiert wurde.

Erwin Geschonneck wurde 1906 in Ostpreußen als Sohn eines Nachtwächters und Schusters geboren. Nach dem frühen Tod der Mutter siedelt die Familie 1909 nach Berlin über. Als junger Mann verdient Geschonneck sein Geld zunächst mit Gelegenheitsarbeit, tritt 1929 in die KPD ein, und beginnt als Laiendarsteller  u.a. in Agitpropgruppen und in Erwin Piscators "Junger Volksbühne" Theater zu spielen. 1931 spielt er als einer von 4000 Arbeitersportlern in Slatan Dudows legendärem Film "Kuhle Wampe" mit, an dessen Drehbuch auch Brecht mitgearbeitet hatte.

Nach der Machtübernahme durch die Nazis geht Geschonneck 1933 ins Exil nach Polen und weiter in die Tschechoslowakei. 1934 steht er dort John Heartfield Modell für dessen berühmte Fotomontage eines ans Hakenkreuz gefesselten Arbeiters und emigriert bald darauf in die UdSSR. 1938 wird er auf dem Höhepunkt der stalinistischen Säuberungen vom NKWD aus der UdSSR ausgewiesen, und 1939 beim Versuch, über die Tschechoslowakei nach England zu fliehen, von der Gestapo verhaftet.

Den Krieg verbringt Geschonneck als Häftling in verschiedenen KZs wie Dachau und Sachsenhausen. 1945 überlebt er nur knapp den Untergang des von der britischen Luftwaffe in der Lübecker Bucht versenkten KZ-Schiffs "Cap Arcona", bei dem über 4.000 Häftlinge ums Leben kommen.

Nach dem Krieg gehört er in Hamburg zu einer Kommission, die mit der Entnazifizierung von Künstlern beschäftigt ist, wird Mitglied von Ida Ehres Ensemble der Hamburger Kammerspiele, und spielt kleinere Filmrollen bei Helmut Käutner und Wolfgang Liebeneiner.

Nach seinem Wechsel in die DDR ist Geschonneck dann sehr schnell einer der großen Theater- und Filmstars des Landes, dessen Nationalpreis ihm insgesamt viermal verliehen wurde. Die Bundesrepublik ehrt den unbeugsamen Kommunisten, der zeitweise auch IM der Staatssicherheit war, 1993 mit dem Bundesfilmpreis für sein Lebenswerk.

Erwin Geschonneck hinterläßt eine Tochter und zwei Söhne, darunter der Regisseur Matti Geschonneck, sowie seine fünfte Frau Heike.

(sle)

Presseschau

Die Tageszeitungen reagieren unterschiedlich in ihren Nachrufen vom 13. März 2008. Die F.A.Z. räumt gerade mal eine kleine Spalte frei. Auf der Kinoseite. Es werden Fakten aneinandergereiht. Am Ende heißt es in Michael Althens Text: "Erwin Geschonneck war ein Zeuge seines Jahrhunderts, und er hat aus dieser Zeugenschaft eine Kunst gemacht." In dem anderen Blatt aus Frankfurt, der FR, schreibt Peter Michalzik, dass kein Vergleich "falscher" sei als derjenige Geschonnecks mit Johannes Heesters. "Nein, denn Geschonneck war so ganz anders." In seinem ebenfalls sehr kanppen Text ist zu lesen: "Er glaubte an die DDR und den Arbeiter. Und wahrscheinlich glaubte er auch, wie seine Figuren, an das Gute im Menschen." Hans-Dieter Schütt ist dagegen im Neuen Deutschland ausführlicher und würdigt Geschonneck als "großen deutschen Charakterschauspieler". Für Günter Agde in der Welt war er "ein Unbequemer, bis zuletzt." Er schreibt: "Die besondere Biografie machte, dass Geschonneck in der DDR ein Star per excellence war, aber nie zum Star Europas oder wenigstens Osteuropas wurde, das Zeug dazu hatte er." Und die Berliner Zeitung bringt nicht nur einen Nachruf auf Seite 3, sondern im Feuilleton auch Stimmen "zum Ableben". Im Berliner Tagesspiegel schaut Kerstin Decker auf Geschonnecks "aberwitziges Leben" zurück. "Vielleicht hat er sogar seinen hintergründigen, kargen Witz aus dem Lager. Das Lachen kommt aus demselben Wissen und ist manchmal nicht weit weg vom Galgen."


Kommentare  
Listenfuzzis und Geschonneck
Was mich irgendwie stolpern läßt: wie riesig doch der Unterschied ist zwischen den Listenfuzzis (von denen ich auch gut einer sein könnte, klar zugegeben) und dem Geschoneck Leben.
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