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Mülheimer Dramatikerpreis an Katja Brunner
Überraschung an der Ruhr
30. Mai 2013. Den Dramatikerpr eis bei den 38. Mülheimer Theatertage NRW hat Katja Brunner gewonnen. Mit ihrem Stück Von den Beinen zu kurz, das in Mülheim in der Inszenierung des Schauspiels Hannover zu sehen war, konnte die 1991 in Zürich geborene Autorin drei von fünf Mülheimer Jurorinnen überzeugen. Sie obsiegte damit über KonkurrentInnen wir Elfriede Jelinek, Franz Xaver Kroetz und Moritz Rinke. Brunner ist die jüngste Preisträgerin in der Geschichte des Dramatikerwettbewerbs, sie erhält 15.000 Euro Preisgeld. Den Publikumspreis gewann Marianna Salzmann für ihr Stück Muttersprache Mameloschn, das in der Inszenierung des Deutschen Theaters Berlin gezeigt worden war.
Der Preisjury in Mülheim gehörten in diesem Jahr die Schauspielerin Wiebke Puls, die Direktorin der Theaterakademie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg Sabina Dhein, Tobias Becker, Kulturredakteur des Spiegel, der Schauspieler Milan Peschel sowie Jürgen Berger als Sprecher des Auswahlgremiums an. Die öffentliche Schlussdiskussion der Preisjury moderierte Gerhard Jörder. Zur Auswahl für den Mülheimer Dramatikerpreis hatten in diesem Jahr folgende Stücke gestanden:
Muttersprache Mameloschn von Marianna Salzmann
Deutsches Theater Berlin
Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir von Nis-Momme Stockmann
Schauspiel Hannover
X-Freunde von Felicia Zeller
Schauspiel Frankfurt
Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind von Franz Xaver Kroetz
Residenztheater München
Wir lieben und wissen nichts von Moritz Rinke
Konzert Theater Bern
Von den Beinen zu kurz von Katja Brunner
Schauspiel Hannover
FaustIn and out von Elfriede Jelinek
Schauspielhaus Zürich
Ich wünsch mir eins von Azar Mortazavi
Theater Osnabrück
(www.stuecke.de / jnm)
Mehr zu Katja Brunner: ein Videoportrait, produziert von Matthias Weigel anlässlich des diesjährigen Heidelberger Stückemarkts.
Mehr zur Jurydebatte – gesammelte Tweets gibt's hier.
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Richtig verstehen würde man diese befremdende Leistungsshow erst, wenn man eine Gegenveranstaltung konzipieren würde, denn keine andere Berufsgruppe im Theater wird vergleichbar abgehandelt. Dagegen ist das Berliner Theatertreffen geradezu ein sanftes Fest.
Ein Paarlaufen der besten Theaterabende der Saison, denn hier gibt es, wie selbstverständlich nur Sieger.
Ich male mir eine solche Kulturmesse einmal für Schauspieler aus. Fünf Dramatiker sitzen auf dem Podium als Jury und loben einen Schauspieler oder eine Schauspielerin aus, die ihre Stücke und die Figuren darin am besten darstellten. Da wird auch viel gelobt und doch ist das Spiel des einen am Ende zu redundant, zu durchlässig, zu well made oder zu sehr im Unterschichtenmilieu verankert. Oder gar die Rezeptoren sind schon zu abgenutzt für jenen oder diese Darstellerin, weil man die Machart ihres Spieles schon zu oft sah. Kaum vorstellbar eine solche Leistungsshow, ein solches Vorsprechen für Profis vor dem versammelten Publikum. Da würden eventuell Theaterlieblinge auf eine Rolle verkürzt und kehrten danach beschädigt in ihr Ensemble zurück. Da ist die Vergabe von Preisen an Schauspieler doch viel charmanter und würdiger.
Aber was soll's, Dramatiker sind die einzige Berufsgruppe, die man solchen Verfahren öffentlich aussetzt. Vor zwanzig Jahren noch, vielleicht sogar noch vor zehn hätte ich eine solch öffentliche Sitzung als einen Akt der Gerechtigkeit im Sinne der Transparenz empfunden. Heute schaudert mir ein wenig und ich grusele mich. Ein Unbehagen beschleicht mich. Muss das sein? Wird die junge Katja Brunner in dreißig Jahren, wenn sie zurück schaut, auch eine vergleichbare Laufbahn wie Kroetz und Jelinek betrachten oder gibt sie längst schon Antistress-Seminare für höhere Verwaltungsbeamte, weil der Theaterbetrieb sie nach einem guten, halben Jahrzehnt wieder ausspuckte, wie so viele vor ihr?
Ich möchte die junge Autorin beglückwünschen und doch fällt es mir schwer. Denn da war diese Sogwirkung. Mit zwei Frauen- und einer Männerstimme gewählt und am Ende hing es an Wiebke Puls, die ja auch ihre Stimme Jelinek oder Stockmann hätte geben können und es wäre in eine weitere Runde gegangen. So ist die Kompetenzdecke der Jury doch recht dünn für eine junge Autorin. Nicht das die Wahl eine Laune der Jury war, wie gesagt, eine in sich schlüssiger, glaubwürdiger Vorgang. Aber wo war da das Innehalten, der kurze oder auch lange Moment, wo man deutlich spürt, hier übernimmt eine Jury wirklich eine tiefer empfundene Verantwortung.
Das Jelinek überhaupt noch im Wettbewerb läuft ist ja schon hoch problematisch, denn mit Brunner und Jelinek stehen sich doch zwei gegenüber, die ganz und gar nicht zu einem Jahrgang gehören, obwohl dieser „gute Jahrgang“ viel vom Moderator beschworen wurde.
Da lobe ich mir Claude Lanzmann in Cannes, der sich nicht in den Wettbewerb zwingen ließ. Insgesamt gesehen aber, sollte sich der Mühlheimer Dramatikerpreis weiter entwickeln. Man sollte nicht leichtfertig von einem Jahrgang sprechen. Man sollte mehrere Sektionen ausrufen, in denen Preise verteilten werden, so dass der Sieg nicht auf die eine „schmale“ Schulter einer jungen Autorin gepackt werden muss, die ihn nun den Altgedienten davon tragen soll. Bitter waren diese zwei und eine halbe Stunde sicher für Stockmann. Allzu deutlich spürte man, dass auch er Großes geleistet hatte. Aber auf ihn fiel nur eine Männerstimme von Milan Peschel, den ich hierfür ausdrücklich loben möchte. Etwas abgefedert wurde der ganze Vorgang durch den Publikumspreis, der ebenfalls an eine Frau ging. Gratulation. Mir aber sind die Mühlheimer Dramatikertage in der Form mittlerweile fremd geworden. Es kam mir vor, wie eine Reise in die Vergangenheit.
Der jungen Autorin wünsche ich von Herzen alles Gute und hoffe für sie, dass sie diesen Preis in der Form tatsächlich verdient.
Man kann natürlich alles wegwischen. Oder man sieht es so, wie der junge Kurator der Biennale in Venedig.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/2126280/
NK - könnt ihr vielleicht den Verlag anfragen, ob sie für euch einen Download rausrücken? Wir versprechen auch alle, dass wirs nicht missbräuchlich oder unvergütet inszenieren.
vielen Dank für den großartigen Kommentar.
am besten also mit dem Verlag Kontakt aufnehmen. So wie es sich gehört.
"Rechtfertigung.
Als die Geschichte zwischen ihnen und mir anfing, waren sie sich dessen gar nicht bewusst, richtig nicht, nicht voll, nehme ich an, das war zunächst zärtlich, da auf der Bahn und glotzten. Drei richtige Kerle. Kurz und geschoren, und auf einmal mehr. Der, ich will was. Klar will ich was – den Übergang haben wir gar nicht gespürt, registriert, weil das schon da war als ich auf den Bahnsteig ging, dieser Sex, der aus mir rausschoss. Im Nachhinein weiß ich nur, dass es jetzt das erste Mal richtig losging. Ich hatte sie an der Angel. Sie waren aufgewühlt von meinen Blicken. Die Schläge standen mir im Gesicht. Es war so als ob ich sie aus ihrem Bett holte, direkt von Mutti abholte. Das war da noch nicht, weil sie genau wussten, beabsichtigten, jetzt fangen wir an damit, leben das aus. Von meinem Körper hatten sie sich, glaub ich von Anfang an ansprechen lassen, wenn sie mich ansahen, mich in ihren aggressiven Blicken badeten, mich mit ihrem Spott einspeichelten. Ich war bereit. Mein Körper ist ihnen von der ersten Sekunde, so schwach, immer so ganz süßes Angebot, zart und irgendwie schon blutig vorgekommen, erregend, griffig, zum drauf einschlagen, ein einziges Einstiegsritual. Auch wenn ich gerne über alle Dächer der Welt davon gelaufen wäre, es kribbelte so in meinen Beinen, dem Gesäß, meinem Arsch. Ich wollte verbrannt werden. Da war was zwischen ihnen und mir zum runterschreien, unbarmherzig. Ich wollte nicht meine Aufforderung verachtet sehen. Und so folgten sie mir. Ging keinen was an, kein Sprechen davon. Soweit so gut. Ein Anfang war gemacht. Ich war ihr kleiner Mann, den sie bei sich haben wollten, mit ihm spielen, ihn betrachten, in der Bahn stellte ich mich schlafend, wie in einem Bettchen und öffnete meine Schenkel, meinen Arsch und mein Antlitz für sie. Da wurden sie eifersüchtig, geradezu körperlich eifersüchtig, ich musste kaum mehr etwas machen. Sie wollten mich schlagen, meinen Atem spüren, mich zum atmen hinprügeln, ganz nah bei sich, ich gehörte ihnen, zu ihnen, nur dies eine Mal, zu den ganz Starken und Strengen, den Echten. Ich war ihr kleines zu schwach geratenes Opfer, ein Testlauf sozusagen und beim ersten Tritt gab ich ihnen alles, so wurde eine sinnliche Sache daraus, korrigieren sie mich, einen Halbwüchsigen. Ich kann nicht behaupten, dass ich nicht gewusst hätte, was ich da anrichtete und ihnen, meinen Mördern, kam meine Aufforderung gelegen, ihnen schon klar, nicht jeder lässt sich direkt zwischen die Augen küssen, ich tat es. Meine Beine brachen, mein Kinn, das Jochbein, sie übten an mir ihre komplette Rassenscheiße und ich war glücklich dabei meinen Mördern endlich ins Antlitz zu schauen, ihnen meinen romantischen Respekt zu erweisen, endlich waren sie wer, durch mich. Ich war schon immer zu kurz geraten, aber jetzt zahlte ich es ihnen heim, in dem ich sie groß machte, ihre Eier schwollen an, das war uns allen klar. Denn tot nützte ich ihnen gar nichts."
Ein Thema, zu dem schon alles gesagt schien -in Stücken und auf der Bühne- ?
Ist es anhand des Stücktextes überhaupt sinnvoll, "Von den Beinen zu kurz" als ein
Stück zum Thema "Mißbrauch" zu behandeln ?? Wie aus "Mißbrauch" eine Melange von Totschlagargumenten immer wieder das öffentliche Bild bestimmt und Diskussionen im "Tabu" versickern- wohl ein etwas zu langer Titel für ein "Thema" ?!
Nun, jedenfalls wundert es mich, daß Herrn Baucks an dieser Stelle nicht auch ein wenig widersprochen wird bezüglich des Stückes von Katja Brunner; dabei finde ich das von ihm ins Feld Geworfene bedenkenswert allemal, und offen, ehrlich, wenn ein etwas älterer Dramatiker hier -fragend und sagend- einmal kein Blatt vor den Mund nimmt.
@ Martin Baucks
Ich denke schon, daß es noch eine Art dritter Lesart gibt, die dem Stück von Katja Brunner meineserachtens mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen könnte, ohne auf das Klischee eines Genies oder -wie ich es auch schon las- "Jahrhunderttalentes"
abzuheben. Fast bin ich geneigt, den Text seiner Anlage nach eher zwischen einem geradezu Max-Frisch-Thema und einem Rechercheprojekt anzusiedeln, woraus dieser dann doch einige Spannung aufzubauen versteht, wenngleich ich denke, ein wenig daran "scheitert", seinen Erzählfluß geradezu aus dem Arsenal des konzeptionellen Gegners zu beziehen (der Sensations- und Tabuvermarktungspresse
in ungefähr) und dann etwas zwanghaft auf diesen hin zu begrenzen. Wenn gegen die Hypostasierung von Einzelfällen zum Allgemeinurteil ALLER, wenn auch nur entfernt der Begriff "Mißbrauch" auftaucht, angeschrieben werden sollte, so wird dieser Text, der nur allzudeutlich Bilder aufträgt, um gegen das "Sich-ein-Bild-machen" (siehe Frisch) anzuschreiben, selbst viel zu empfindlich zu so einem Einzelfall, um zu überzeugen. Der Mangel eines "persönlichen Tones" irritiert auch mich daran; gerade wenn Ödön richtig läge, daß schon so Vieles auf der Bühne und in Stücken gesagt worden sei (zu "diesem" Thema), müßte es eigentlich mehr in dem Text geben als das bloße Gegenüber aus der Regenbogenpresse. Kommt es zu den Brüchen im Textgefüge, die Till Briegleb in der Maiausgabe von TheaterHeute beschreibt, "freiwillig" oder "unfreiwillig" und belangt das die Qualitätsdiskussion zu diesem Drama ?? So oder ähnlich meine Grundfragestellung nach der ersten Stücklektüre. Stücke kommen auf nk gelegentlich seitens der Kommentare zu kurz, jedenfalls meinem Empfinden nach; insofern verdient der Einwand des Herrn Baucks an dieser Stelle, denke ich, mehr als bisher sicht- und/oder "ruchbar" geworden ist dazu..