Was ihr wollt - Bei Amélie Niermeyer am Residenztheater München kommen die Liebenden unter die (Zeit-)Walze
Ein mutiges Reh und Blicke zum Steinerweichen
von Sabine Leucht
München, 18. Januar 2014. Der Star des Abends trägt Sockenhalter zu Pumps und ein Unterhemd in dänischen Kinderklamottenfarben. Und er trägt seine Gitarre. Ian Fisher ist nicht nur der Narr in Amélie Niermeyers Münchner Inszenierung von "Was ihr wollt". Er rührt auch als Musiker und Sänger im Alleingang deren sehnsuchtsvollen Grundton an: Mit Textzeilen aus Shakespeare-Sonetten, Neil-Young-Schmelz und der Entspanntheit des Folk-Barden ist der Singer-Songwriter aus Missouri Herzschrittmacher und Pulsmesser der Kreuz- und Quer-Verliebten im Stück. Von ihm leihen sich die nach einem Schiffsunglück an die Küste Illyriens gespülte Viola und später ihr Bruder Sebastian den gleichen grün-rot-karierten Pulli nebst Hose (worauf Fisher aufs Neueinkleiden verzichtet) – und wie er auf etliche Demütigungen nur mit leichtem Augenverdrehen reagiert, ist hinreißend. Jede Wette, dass dieser kleine, lächerlich gewandete Mann es ist, dem hier die meisten Zuschauerherzen zufliegen.
Nicht kampflos fröhlich am Ende
Doch auf der Bühne wird er bloß benutzt, auch gebraucht und (darum?) viel gescholten. Geliebt wird zum Beispiel Olivia. Vom Herzog Orsino vor allem, den wiederum die als Caesario verkleidete Viola liebt, die in Orsinos Auftrag Olivias Herz erweichen soll, was trefflich gelingt. Nur eben nicht im Sinne des Erfinders: Die stolze Gräfin verfällt dem androgynen "Mann" im Nu. Da ist es nur gut, dass Violas Zwillingsbruder Sebastian ihr zum Verwechseln ähnelt und das Auge in der Liebe so gerne führt. Was bei Shakespeare mit einem doppelten Glück endet, bleibt im Residenztheater etwas vager. Das Schlussbild dominieren die wiedervereinten Geschwister, und die beiden Lager, die sich in der letzten Aufführungsviertelstunde um diese gruppiert haben, verlaufen sich zum Bühnenhintergrund hin.
Vieles wäre danach möglich, eine Auflösung wie im Ursprungstext immerhin wahrscheinlich. Doch der Abend, der sich in den Szenen nach der Pause noch finden, ordnen und ein wenig beruhigen muss, hat sich jedenfalls nicht kampflos dem Happy End ergeben. Eine Identitätsstudie wie im Vorfeld angekündigt ist allerdings auch nicht aus ihm geworden, und ebenso wenig hat Niermeyers Entscheidung, die Liebenden gegen die Inszenierungskonvention mit Mitt- und Endvierzigern zu besetzen, den großen Erkenntnisgewinn gebracht: Die Midlifecrisis, die dunklere Verzweiflung der reifen Liebe kann man sich dazu denken. Um sie spürbar werden zu lassen, hätte man mehr herumschrauben müssen am gut 400 Jahre alten Stück und etwa die blumigen Versprechen kappen können, die nur der Jugend stehen. Und auch der Entschluss Olivias, sich sieben Jahre lang zu verschleiern, verrät einen viel zu unbekümmerten Umgang mit der knapp werdenden Zeit und ihren Spuren.
Spaß mit Walze
Doch ganz gleich, was der Abend hätte werden können, man kann ihn auch einfach so genießen. Zumal der Reiz etwa einer Juliane Köhler ohnehin zeit- und alterslos ist. Sie spielt die Viola mit einer kindlichen Hingabe – so naiv und beherzt wie ein abnorm mutiges Rehkitz. Und weil Götz Schulte für einen vermeintlich homoerotischen Moment mit ihr eine ganz reizende Verwirrtheit parat hat (ein fast unsichtbares Kopfschütteln, Nicken und Schulterzucken in einem), ist er der richtige Orsino für Köhlers Viola.
Sommernachtstraum ein Lichtblick und schießt als vermeintlich im Auftrag der Geliebten dauergrinsender Strumpfbandträger Malvolio mit Durchblutungsproblemen den Vogel ab: Meine Güte, wie der läuft! Der Witz des Duos Norman Hacker als Sir Tobi und Shenja Lacher als Sir Andrew Bleichenwang zündet nicht sofort, dann aber heftig. Wobei vor allem Lacher das lustvoll ausgebreitete Dumpfbackentum seines Sirs immer wieder mit anrührender Zartheit bricht.
Der neueste Münchner Shakespeare ist aber auch deshalb ein alles in allem gewaltiger Spaß, weil die Protagonisten seines Intrigen-Strangs so glänzend besetzt sind. Markus Hering war schon als Zettel in ThalheimersEine ähnliche Zartheit darf in vielen Figuren kurz aufleben und schützt die durchaus auch zotige Komödie vor der Klamotte. Ian Fishers Augen-Blicke und der gemeinsam mit Fabian Kalker entwickelten Musik feiern sie. Und Alexander Müller-Elmaus Bühne setzt die menschliche Verletzlichkeit von Anfang an groß in Szene: Eine graue Walze, die wie eine gigantische Farbrolle nah an die Rampe und wieder zurück fährt, spuckt nach und nach alle Figuren aus. Manch einer fällt unsanft, bleibt mit einem Körperteil hängen, muss einen Schuh nachgeschmissen bekommen oder speit Wasser wie ein Springbrunnen, weil die Walze natürlich die Welle ist, die die Schiffbrüchigen an Land spült – oder die Zeit, die uns beutelt und nicht immer gut aussehen lässt.
Was ihr wollt
von William Shakespeare
Deutsch von Angela Schanelec
Regie: Amélie Niermeyer, Bühne: Alexander Müller-Elmau, Kostüme: Kirsten Dephoff, Stefanie Seitz, Musik und Komposition: Fabian Kalker, Licht: Gerrit Jurda, Dramaturgie: Andrea Koschwitz.
Mit: Ian Fisher, Norman Hacker, Markus Hering, Alfred Kleinheinz, Juliane Köhler, Shenja Lacher, Barbara Melzl, Christiane Roßbach, Wolfram Rupperti, Götz Schulte und Arnulf Schumacher.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.residenztheater.de
Ein heiteres und melancholisches Spiel um die Liebe, inszeniere Amélie Niermeyer am Residenztheater, so Matthias Hejny in der Münchner Abendzeitung (20.1.2014). Ihre Liebenden gehören zur Generation 40-Plus, aber "Lebenserfahrung schützt nicht vor spätpubertärer Verknalltheit". Und das Leben ist nur Treibgut im Ozean der Zeit, wie es Ausstatter Alexander Müller-Elmau in seinem ebenso schlichten wie monumentalen Bühnenbild zusammenfasst. "Juliane Köhler ist mit ihrer schlaksig knabenhaften Erscheinung eine perfekte Viola-Cesario-Spielerin und verfolgt, mit großen Augen, was ihre Täuschung anrichtet. Unwiderstehlich auch Barbara Melzl als Olivia mit dem süßesten Lächeln des Abends." Dazu erzeuge Ian Fisher mit seinen Folk-Balladen das richtige Grundrauschen für einen Wohlfühl-Shakespeare voll feinnervig heiterer Melancholie.
Ein wenig bleibe Niermeyer im "Irgendwie" stecken, "denn sie hat nicht nur wohlfeile 'Gender-Diskurse' dankenswerterweise vermieden, die man aus dem Stück herausquetschen könnte, sondern verzichtet gleich ganz auf jede beherzte Interpretation", so Alexander Altmann im Münchner Merkur (20.1.2014). Mit den Schauspielern, die ihr zur Verfügung stehen, kann man "Was ihr wollt" auch als bessere Boulevardklamotte auf die Bühne bringen, ohne in bloße Albernheiten abzurutschen. "Allerdings hat das Residenztheater mit 'Der Vorname' und 'Bunbury' zuletzt gerade schon zwei Boulevardstücke ins Repertoire genommen, sodass dieses Genre am Haus jetzt wirklich ausreichend vertreten ist."
Im München-Teil der Süddeutschen Zeitung (20.1.2014) ist Egbert Tholl beschwingt vom Bühnenbild mit Walze und dem Musiker Ian Fisher, dem er "ein berückendes Pathos, das aber nie klebrig wird" attestiert. Ansonsten findet Tholl die Inszenierung von Amélie Niermeyer "lustig, ungemein lustig" und schreibt: "Da muss man gar nicht grübeln, da lacht man einfach mit." Zwar gebe es strenggenommen nur die Walze und elf tolle Darsteller, "aber es trägt". Und Juliane Köhler schaffe es dann sogar auch noch, zwischen Witz und Quatsch ein echtes Gefühl mitzuteilen. "Der Rest: a Hetz."
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(Werter Verwunderter,
aus der Homepage des Residenztheaters geht zweifelsfrei hervor, dass die Premiere am gestrigen 18. Januar stattgefunden hat: http://www.residenztheater.de/inszenierung/was-ihr-wollt
MfG, Georg Kasch / Redaktion)
Sie haben recht. Im Residenztheater-Spielplan steht neben der Vorstellung am 22.1. "Premiere", das ist aber der Name des Abonnements, also mein Missverständnis. Entschuldigung.
Nimmt man den Castorf und Zement weg ( die beide eh leider selten auf dem Spielplan zu finden sind)
ist es genau dasselbe Programm wie bei Dorn - französische Salonkomödie, Shakespearekomödien, der Hausherr selbst inszeniert die Klassiker und Pinter gibt es auch, dazu diese Dauerberieselung mit Singspielen. Da kann man wirklich nur neidisch nach Stuttgart an das dortige Staatsschauspiel blicken.
Bleibt nur die Hoffnung, dass Kusej nach fünf Jahren von selbst geht, denn die CSU wird seinen Vertrag nur allzu gerne verlängern.
Schade, ich hatte wirklich ganz was anderes von Kusej erwartet.
ich fand die inszenierung voller lust und freude am spiel.
unterhaltend.
das darf es auch sein.
und das kommt shakespeare nach meinem dafürhalten näher als manche allzu bedeutungsschwangere, gewollt in die gegenwart transformierte inszenierung. dafür gibt es ausreichend andere texte.