REIN GOLD - Neue Bühne Senftenberg
"Deutsche Helden töten selber"
von Georg Kasch
Guben, 9. September 2021. Was macht der Tesla auf der Bühne? Ist natürlich kein echter, trotz Lebensgröße. Aufgeblasen steht er rum, bis Brünnhilde die Luft ablässt. Zuvor aber skandieren die Spieler "Autos statt Wälder" und singen ein Loblied auf das Lithium und auf Elon Musk, der gar nicht so weit weg von hier gerade seine "Gigafabrik" baut.
Willkommen in Walhall
Elon Musk steht so nicht in "Rein Gold“ von Elfriede Jelinek, 2013 uraufgeführt. Brünnhilde und ihr Göttervater Wotan streiten, um Schuld und Schulden, Kredite und Kapital und auch um "Das Kapital" von Karl Marx. Um deutsche Helden (Brünnhilde wartet da noch auf Siegfried, schlagen Sie bei Richard Wagner nach), und – gewagter Sprung – um den NSU. Weil: "Deutsche Helden töten selber."
Am Golde hängt, zum Golde drängt hier alles, wenn's sich nicht gerade an nationalen Mordlüsten aufgeilt. 130 Seiten hat Jelinek so beschrieben, von denen Christiane Pohle für ihre Inszenierung nur einige braucht, dafür aber mit ein paar neuen Texten an die Stadt Guben an der Neiße andockt, seit 1945 zwischen Deutschland und Polen geteilt.
Im deutschen Teil steht das Filmtheater Friedensgrenze, ein Stalinismusbau von geradezu neobarocker Pracht, der zur Ruine verfiel und jetzt an ein Anna-Viebrock-Bühnenbild erinnert. Kühl und kellerfeucht zieht es vom rohen Estrich hoch, an den Wänden hängt zerschlissene Wandbespannung. Einmal jagt minutenlang eine Fledermaus durch den Saal. Willkommen in Wallhall, ewige Baustelle, ewige Ruine.
Marx lässt grüßen
Auf der Bühne hängen zu Beginn Bauplanen, die auch den Tesla, einen Hochsitz, den marmornen Fuß einer Kolossalstatue und das riesige Plakat einer Mai-Nelke im Saal verdecken. Wie vieles andere auch erinnert die Nelke daran, dass das mit Marx hier schon einmal ausprobiert wurde. Da hört man doch gleich noch einmal neu hin.
Pohle hat "Rein Gold" bereits 2020 in München an den Kammerspielen als Produktion der Otto-Falckenberg-Schule inszeniert. Ihre Gubener Neufassung mit vier Ensemble-Mitgliedern der Neuen Bühne Senftenberg und drei Gästen zapft bewusst die Aura des Raums an, den sie zur Gänze bespielen. Einmal gibt’s eine Kaffeetafel mit DDR-Tassen der 70er Jahre, davor rattert Anna Schönberg das Rezept für den im Osten beliebten Papageienkuchen runter, während Dominik Tippelt sich in den Backgestenwahnsinn steigert.
Der Bezug auf den Ort ist klug. Denn da ist nicht nur die Stadt- und Kino-Geschichte. Sondern auch die Politik: Im Gubener Stadtrat ist die AfD gerade die Partei mit den meisten Sitzen, ein Gubener AfD-Politiker wurde als Direktkandidat in den Brandenburger Landtag gewählt. Das hat sicher auch etwas mit der Ökonomie zu tun – überall sieht man in Guben ehemalige Fabriken, Tristesse, Leerstand.
HItlers Pfannkuchen
Immer wieder werfen sich die sieben Spieler:innen in weitere von Dorothee Curios Kostümvariationen, die oft glänzen und glitzern wie's Gold im Rhein, fügen sich zu neuen Konstellationen, zu Frage-und-Antwort- oder Aussage-Kommentar-Konstellationen zusammen. Pohle inszeniert dazu große Bilder: Einmal singt ein Großteil der Spieler:innen als Chorknaben im Playback Allegris "Miserere", während Anselm Müller als Wotan die Hosen runterlässt. Dann wieder bleibt die Pfannkuchen-Konfitüre wie zufällig den Spieler:innen als Hitlerbärtchen hängen.
Das hat Witz, manchmal auch Charme, ebenso wie die Musik (Wagner, aber auch Pop), die meist vom Band kommt und dennoch Marthaler-Momente zaubert. Allerdings ist's mit Jelineks Text im Allgemeinen und hier im Besonderen so, dass man im breiten Strom der Sprache eher vereinzelt Goldnuggets aufblitzen sieht, etwa wenn sich Anita Iselin mit grimmiger Lust in den Text fräst oder Leon Haller den schmierigen Krawall-Luden raushängen lässt. Außerdem wird nicht ganz klar, ob Pohle sich stärker für die Kapitalismus-Analyse oder den NSU interessiert. Manche Szenen, in denen der rechte Terror verhandelt wird – etwa die Kaffeerunde – ziehen sich, trotz schnurrender Katzenpuppen. Die sind auf der Bühne, weil Beate Zschäpe die eigenen Katzen zu den Nachbarn in Sicherheit brachte, bevor sie und die Uwes alles in die Luft jagten. Auch Nazis lieben Tiere.
REIN GOLD
ein Bühnenessay von Elfriede Jelinek / eine Produktion des Lausitz-Festivals in Zusammenarbeit mit der Neuen Bühne Senftenberg
Regie: Christiane Pohle, Dramaturgie: Hubert Bauer, Ausstattung: Dorothee Curio, Ausstattungsassistenz: Christina Lelli, Regieassistenz: Vivian Schmidt.
Mit: Anna Schönberg, Marianne Helene Jordan, Anita Iselin, Marie-Joelle Blazejewski, Dominik Tippelt, Leon Haller, Anselm Müllerschön.
Premiere am 9. September 2021
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.theater-senftenberg.de
www.lausitz-festival.eu
Kritikenrundschau
"Ein hellwacher Abend mit jeder Menge Nostalgie versetzt", schreibt jeder Christina Tilmann in der Märkischen Online Zeitung MOZ (11.9. 2021). Elfriede Jelineks Wagner-Überschreibung in der Regie von Christiane Pohle sei auf den Ort, ein leerstehendes, einst prachtvolles Kino, zugeschnitten und die Inszenierung lässt sie für die Zukunft hoffen.
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