Die Maschine lebt

von Jens Fischer

Oldenburg, 26. August 2016. Wie im Synchronstudio. Vier Sprechkünstler am Pult, darauf die Partitur der Worte. Nur dass jetzt nicht lippensynchron Dialoge übersetzt, sondern mit wahnwitzig präziser Intonationskultur einige Interviewpassagen einer Dokutheater-Recherche zum Transhumanismus nachgeahmt werden. Im mal kraus, mal kreiselnd gedachten, manchmal gestotterten, vernuschelten oder dialektgefärbten, per Äähhs & Co. fragmentarisierten, von Atemzischlauten rhythmisierten O-Ton.

Dieses manisch minutiöse Reenactment wird, hörbuchkuschelig abgemischt, über Mikroports zu den Lautsprechern transportiert. Ab und an entwickelt sich aus dem Sprechgesang sogar a-cappella eine Popnummer. Alles live. Denkt man. Bis plötzlich ein Darstellermund verschlossen bleibt – und trotzdem der Worte Strom nicht verebbt. Unhörbar wurde in den Playbackmodus gewechselt. Das sorgt für Irritation. Sind Wiedergänger der O-Ton-Spender zu erleben? Menschen, Maschinen, Menschmaschinen? Wer spricht hier? Durch wen? Mit welcher Absicht? Alles nur Golems, oder was? Fragt sich der Lauscher dieses Radio-Features "Der Golem" in der fast bühnenbildfreien Exzerzierhalle des Oldenburgischen Staatstheaters.

Traum vom Forever young

So lenkt Regisseurin Louise Voigt mitten hinein ins Thema, spendiert aber nie Antworten. Expertenstimmen sind nicht in die Komposition der Texte gewoben, nur die Ottos und Ottilies Normalratlos werden zitiert. In ihrem Räsonieren über die Unvorstellbarkeit des eigenen Nicht-Seins. In 100 Jahren seien alle hier und heute in der Premiere sitzenden Menschen längst gestorben. Provoziert ein Darsteller.

Golem 01 560 Stephan Walzl uNachdenken übers Mensch- und Maschinesein: "Der Golem" in Oldenburg © Stephan Walzl

Auf der Videoleinwand ist das leere Parkett zu sehen. Eine Frau kommt ins Bild – und stellt fest, sie habe doch ihre Rente noch gar nicht zusammen. In solch fröhlichen Perspektivwechseln folgen ernsthaft dargelegte Versuche, den Tod irgendwie zu bestechen – oder sich selbst zu betrügen. Da trifft der Plan, in den eigenen Kindern fortzuleben, auf den Wunsch, im "allereinzigen Leben" der Idee von sich selbst näher zu kommen, und den pantheistischen Glauben, alles sei Erscheinungsweise Gottes, also jeder auch Teil des Ewigen, demnach unsterblich.

Andere Stimmen berichten von Schönheits-OPs und Anti-aging-Spritzen. Singen "Forever young". Und träumen vom Daseinsgefühl, frei wie Papierfetzen durch den lauen Wind zu flattern – was Voigt folgenlos zu einem optischen Zaubermoment nutzt. Sie bringt (dank Ventilatoren-Magie) eine dieser gold-silbernen Glitzerdecken aus dem Erste-Hilfe-Kasten zum Schweben.

Roboter für alles

Zwischen all den sinnsuchenden Statements ertönt wiederholt eine bleierne Jenseitsstimme und behauptet, alles werde gut, denn Singularität komme. Transhumanismus-Fans bezeichnen so Transzendierung des Menschen, etwa durch digitales Aufmotzen und künstlicher Intelligenzsteigerung des Mängelwesens zu absoluter, also singulärer Perfektion – oder durch Rücknahme des Urknalls, der Wiederverdichtung und Vermengung aller Materie und Energie zu einer Art Superintelligenz, quasi Gott. Selbstbewusst wird auch vorgeschlagen, statt Ob- nun Subjekt der Evolution sein zu wollen, sie zur Vollendung zu treiben – mit dem Ziel, das Altern und damit den Tod abzuschaffen.

Golem 04 560 Stephan Walzl uZwiegespräch: Pirmin Sedlmeir und seine neue Beziehung in "Der Golem" ©  Stephan Walzl

Es gilt des Menschen Körperhardware als humanoide Roboter nachzubauen und die Identität als Download auf integrierte Festplatten zu transferieren. Der Geist könnte so als Software ohne Verfallsdatum weiterleben. So geht Immortalisierung übermorgen. Christen denken da an vorgestern, an die Auferstehung Christi.

Wie die Zeit bis zur Realisierung dieser schönen neuen Welt zu versüßen ist, wird nach der Theaterpause hörbar. Gegen den Trend, Ehepartner in Deutschland, Asien oder gar im Hunde-/Katzentierheim zu casten – wird geraten, einen Golem 2.0 zu kaufen. Als Arbeitssklaven für daheim. Vorführmodell ist eines mit Bonus-Programm für Beischlafmechanik. Es kann sogar Orgasmen vortäuschen und Liebe bekunden. "Wenn der Roboter einen Aus-Knopf hat, kann man mit ihm auch eine Beziehung eingehen." So eine Nutzerin. Andere bevorzugen Modelle, denen kleine Fehler einprogrammiert sind, die also mal Widerworte geben oder ein Tablett fallen lassen können, um menschlich zu wirken. Beseelt?

Menschliche Makel

So kommt der Abend mühsam zur Moral von der Geschicht'. Menschlichkeit sei die Abwesenheit von Perfektion, schreibt Dramaturgin Daphne Ebner. Das Ensemblequartett versammelt sich zum finalen Chorgesang – mit Geschichten darüber, einmal nicht Herr im eigenen Haus gewesen zu sein, sprich: unvorhersehbar gehandelt, beispielsweise gelogen, verführt zu haben. Zum Schaden anderer. Einerseits beschämende Momente der Unkontrollierbarkeit, anderseits der beschworene Unterschied zum Maschinendasein. Das jämmerlich vorgestellt wird: Ein ferngesteuertes Metallskelett ruckelt und zuckelt knarzend eine Sitztanzshow. Keine Gefahr, dass sich dort Bewusstsein entwickelt.

Ja, die Produktion reißt einige Aspekte an, reizt sie aber nicht aus. Hinterfragt nie was nahe Zukunft sein könnte, was wissenschaftlicher Forschungsstand und was Science-Fiction-Fantasie ist. Statt diskursiver Theatralisierungen lässt Voigt höchst virtuos Sprachoberflächen feiern, sitzt sozusagen dem inhaltlich verweigerten Perfektionismus ästhetisch auf, inszeniert Robotertheater wider die Golemisierung des Lebens. Im Vergleich zu ihrer furios vitalen Radio-Performance "Krieg der Welten" ist das eine Enttäuschung.

Der Golem
von Luise Voigt, Tobias Ginsburg, Daphne Ebner und Matthias Mohr
Uraufführung
Regie & Konzept: Luise Voigt, Raum, Musik & Lichtkonzept: Matthias Mohr, Kostüme: Clara Kaiser, Dramaturgie: Daphne Ebner, Licht & Beleuchtung: Arne Waldl.
Mit: Klaas Schramm, Franziska Werner, Rajko Geith und Pirmin Sedlmeir.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause

www.staatstheater.de


Mehr zu Luise Voigt: eine Kritik zu "Krieg der Welten" auf den Festivalportal des Heidelberger Stückemarkts 2016, wo ihre Arbeit im Uraufführungs-Programm lief.  

 

Kritikenrundschau

Von einem "Diskurstheater der sinnlichen Art" spricht Sven Garbade in der Oldenburger Nordwest-Zeitung (29.8.2016), der dieser Produktion einen höchst kunstvollen Umgang mit dem Thema Tod bescheinigt, in der darüber hinaus "für Auge und Hirn" einiges geboten werde. "In spannenden Licht-Arrangements stehen die Vier an Stehpulten, später folgen atmosphärisch dichte Monologe. Man spricht Texte, die sich um die erste Begegnung mit dem Tod drehen: Kindheitserinnerungen beispielsweise, als die Eltern vor giftigen Beeren gewarnt haben.Dabei tragen die Spieler Mikrofone, und häufig geraten ihre Worte in einen mystischen Strudel von Verdoppelungen und Verfremdungen."

 

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