Die Welt von Batman ist schwarzweiß

18. April 2024. Es ist ein Thema, an das man kaum rühren möchte: Branko Šimić beschreibt im Rahmen des Hamburger "Krass"-Festivals, wie ein kleines Kind im Krieg schwer verletzt wird und versucht, den Erinnerungen zu entkommen: Eine tastende Annäherung an eine brutale Welt ohne Zwischentöne. 

Von Falk Schreiber

Branko Šimićs Produktion "Traum(a): Synchronisierung der Kriege" auf Kampnagel Hamburg © Armin Smailovic

18. April 2024. Alltagssituationen. Ein Mann steht auf dem Balkon, schnippt eine Zigarette weg, der glühende Stummel fliegt im hohen Bogen durch die Nacht. "Und wie eine Fliegerbombe drehend landet sie im Matsch." Der Krieg, die Gewalt hat sich eingeschrieben, in jede denkbare Situation. Der Kneipenwirt ruft zur letzten Runde, schon am frühen Abend. Ab 21 Uhr ist Ausgangssperre in Charkiw.

Branko Šimić gräbt im Hamburger Produktionshaus Kampnagel tief in den Erfahrungen des Krieges. "Traum(a): Synchronisierung der Kriege" heißt die Collage, die der im bosnischen Tuzla geborene Regisseur im Rahmen des "Krass"-Festivals entwickelt hat: eine atemlose Kindheitserinnerung, in der beschrieben wird, wie der Protagonist mit vier Jahren bei einem Granatenbeschuss schwer verletzt wird, während seine Eltern ums Leben kommen. Zur Behandlung wird er nach Süddeutschland evakuiert, lebt mit seiner Großmutter bei Gastfamilien, macht eine Reha und kehrt nach ein paar Jahren in seine Heimat zurück, hat allerdings die Sprache verlernt. Das ist alles sehr konkret, Freudenstadt wird erwähnt, die Klinik in Heidelberg, die Vorliebe des Jungen für Batman, man erfährt vom Bosnienkrieg, auch wenn theoretisch jeder Krieg denkbar wäre – die Alltagsbeschreibungen zu Beginn weisen auch auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hin. Mit vier Jahren ist das alles gleichermaßen schlimm.

Zerstörte Wohnblöcke, zerschossene Bücherregale

Šimić inszeniert das zurückhaltend, minimalistisch, mit sparsamen, aber dafür umso wirkungsvolleren theatralen Mitteln. Auf den ersten Blick ist "Traum(a)" ein Erzählen, das aus der behaupteten Authentizität schöpft: Drazen Pavlović steht an der Rampe und spricht per Mikro ins Publikum, was man hört, ist seine Geschichte. Aber ist das tatsächlich Pavlovićs Geschichte? Parallel zum Text des Performers spricht auch Alen Šimić (der nicht mit dem Regisseur verwandt ist) auf Bosnisch, er doppelt das Beschriebene, vielleicht kontrastiert er es auch. Und auf einer Leinwand derweil werden Aufnahmen des Fotografen Armin Smailović projiziert, Fotos von der ukrainischen Front, journalistisch nüchtern und gleichzeitig von berührender Schärfe, zerstörte Wohnblöcke, zerschossene Bücherregale. Die Erzählebenen verschwimmen, die Kriege gehen ineinander über, ein andauerndes Schlachten, eine ununterbrochene Abfolge von Grausamkeiten.

Trauma 01 1200 Armin Smailovic uMinimalistisch, aber umso wirkungsvoller: Branko Šimićs Annäherung an den Krieg © Armin Smailovic   

Vor neun Jahren hat Šimić gemeinsam mit Smailović am Thalia Theater Hamburg das Stück "Srebrenica – I counted my remaining life in seconds" entwickelt, und "Traum(a)" ist nicht nur wegen der beteiligten Künstler eine Art Weiterdenken dieses Abends: Kunst, die auf Recherchen basiert, und die mittels Fotografien und eines zaghaften Tastens versucht, eine Sprache für das Grauen zu finden. Theater im engeren Sinne ist diese Sprache allerdings nicht – es gibt zwar Schauspieler, aber die spielen nicht wirklich, es gibt eine Bühne, aber die stellt nicht im eigentlichen Sinn eine Bühnensituation her, es gibt Figuren, aber die sind entkoppelt von dem, was sie sagen. Selbst der Aufbau der Bühne, Lichter, Leinwand, ein Schreibtisch, ist näher an einer Installation, an Bildender Kunst, als an Schauspiel.

Lautstarke Destruktionsperformance

Seit 2014 kuratiert Šimić das "Krass"-Festival auf Kampnagel, zunächst als Plattform für postmigrantisches Theater, mittlerweile als politisches Festival, das bestimmte Aspekte der multikulturellen Großstadt in den Blick nimmt. Die aktuelle Ausgabe steht unter der Überschrift "Ost" und behandelt das Verhältnis des postkommunistischen Osteuropas zum Westen. Dass Festivalleiter Šimić jedes Jahr eine eigene Arbeit im Programm unterbringt, ist nicht besonders elegant, es ist aber sympathisch, dass er sich nicht als Platzhirsch in den Vordergrund spielt – fürs Spektakuläre sind andere Akteur:innen zuständig, die Starkünstlerin Selma Selman etwa, die bei der Festivaleröffnung mit "The 600 Years of Migrating Mothers / Part 1" eine lautstarke Destruktionsperformance abliefert, oder Nicoleta Esinencus "Playing on Nerves".

Die Guten und die Bösen

Und Šimić setzt gegen solch großformatige Bühnenkunst dann eben ein kleines Stück, ein Umkreisen des Traumas, eine Annäherung an etwas, an das man kaum rühren möchte. "Die Welt von Batman ist schwarzweiß", heißt es an einer Stelle – man weiß immer gleich, wer die Guten sind und wer die Bösen. Und das Unerträgliche des Krieges liegt darin, dass der Krieg behauptet, solch eine Gewissheit auch in der realen Welt herstellen zu können.

 

Traum(a): Synchronisierung der Kriege
von Branko Šimić
Uraufführung
Regie: Branko Šimić, Text/Co-Regie: Alen Šimić, Text/Bildregie: Armin Smailović, Kostüme: Inesca Barić, Musik: Mirzina Rahmanović-Indigo, Übersetzung/Regieassistenz: Kristina Nadj, Dramaturgie: Nicola Djurić
Mit: Drazen Pavlović
Premiere am 17. April 2024
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.kampnagel.de

 

Kritikenrundschau

Nur wenige Zuschauer:innen seien zur Vorstellung erschienen, bemerkt Annette Stiekele im Hamburger Abendblatt (18.4.2024): das Thema müsse man sich "zumuten wollen, wenn die Gegenwart selbst an so vielen Stellen der Welt derzeit so schmerzvoll ist". Branko Šimić und seine Mitstreiter näherten sich in einer zurückhaltenden, minimalistischen Text-Bild-Collage den lebenslangen Erinnerungen und Traumata, die der Krieg verursache. Die Schwarz-Weiß-Bilder von Armin Smailović strahlten eine beklemmende Stille aus. "Die Ebenen der Erzählungen – hier die Bosnien-Erfahrungen, dort der laufende russische Angriffskrieg auf die Ukraine – überlagern einander, werden unscharf. Und so lässt die Erzählung die Zuschauer an mancher Stelle etwas ratlos zurück", so Stiekele.

 

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