Linda - Schauspielhaus Düsseldorf
Die ewigen Gesetze der Unterdrückung
von Dorothea Marcus
Düsseldorf, 3. November 2019. In schwarzem Jumpsuit und Lackpumps stellt Claudia Hübbeckers Linda die neue Werbekampagne "Visibility" vor: Kosmetik zur Sichtbarmachung von Frauen ihres Alters, über 50-Jährige, die im öffentlichen Leben kaum noch vorkommen (geschweige denn im Theater). Fast eine Revolution also, wenn sich Linda nun der kosmetischen Ermächtigung dieser vergessenen Zielgruppe widmet. Wenn auch für sie selbst das Gesetz der weiblichen Alters-Unsichtbarkeit zunächst keineswegs gilt: Als "Senior Brand Managerin" von "Swan", einem der Marke "Dove" nachempfundenen Kosmetik-Konzern, ist sie die perfekte Verkörperung von Eleganz und Souveränität, eine energetisch-eloquente Über-Performerin. Oder, in ihren eigenen Worten: "preisgekrönte Geschäftsfrau, glücklich verheiratet, zwei hübsche Töchter, und ich passe immer noch in dasselbe Kleid wie vor 15 Jahren."
Rebellentocher im Stinktierkostüm
Lange kann sich Linda der Errungenschaften ihres Lebens nicht erfreuen. Autorin Penelope Skinner lässt sie in ihrem 2016 in London uraufgeführtem Stück nach und nach wegbrechen. Dem Terror der multitaskenden Perfektion, dem sich die erfolgreiche Frau von heute vermeintlich zu unterwerfen hat, ist nicht standzuhalten. Wo es einst reichte, Hausfrau und Mutter zu sein, kommt heute Karrieredruck dazu, aber selbstredend muss auch noch das Kürbis-Risotto in Perfektion beherrscht werden; wenn Frau dem Mann die Küche überlässt, muss sie am Ende sowieso nur länger aufräumen.
Schneidig beherrscht Claudia Hübbecker die Bühne vor dem Foto-Rollo, Projektionsfläche der Träume. Die Szenen laufen ab wie in einer Instagram-Timeline: eine Aneinanderreihung von Äußerlichkeiten. Wechselnde Gegenstände auf einem Podest in der Mitte bezeichnen Ortswechsel: eine Cremedose bei der Firmenpräsentation. Eine Ginflasche bei emotionalen Familienzusammenkünften. Dass das so schön posierte Leben Brüche hat, wird spätestens klar, wenn Lea Ruckpaul als renitente und psychisch beschädigte Rebellentochter Alice, 25 Jahre alt, mit Stinktier-Kostüm und offenem Messer durch den Zuschauerraum läuft. Doch für ihren "Depressionsquatsch" ist in Lindas vergifteter Superwelt kein Platz vorgesehen. Die andere Tochter, angehende Schauspielschülerin, beklagt sich dagegen nur brav, dass es kaum Rollen für Frauen gibt und schafft sich symbolträchtig den "King Lear" herauf – erinnert doch auch "Linda" von Ferne an Shakespeare, wenn hier nach und nach eine dominante Titelrolle entmachtet wird.
Lindas Niedergang
Stück für Stück bricht Lindas Leben zusammen. Erst wird sie von ihrem feist-ignoranten Chef (Wolfgang Michalek) neoliberal abserviert, der die Kampagne der jugendlich-stutenbissigen Konkurrentin Amy (Hanna Werth) bevorzugt, die so schön triumphierend-hämisch gucken kann. Dann läuft Linda zu Hause der jungen Geliebten ihres Mannes in die Arme, der sich in der Midlife-Crisis als Rockstar versucht (schön bieder und mitleidserregend liebend: Thiemo Schwarz). Und auch, wenn er in ihrem Leben ohnehin eher nur "Verzierung" war – schließlich braucht es Ehemann und Familie, um nicht als vertrocknete Karrieristin dazustehen – sitzt Linda bald verzweifelt, verheult, verhärmt und buchstäblich unsichtbar am Bühnenrand, während ihre junge Kollegin in der Firma über sie herzieht.
Als sie sich, vom Besenkammer-Sex mit dem Praktikanten gestärkt, dann doch nochmal zum großen Rache-Auftritt in der Firma aufschwingt, wird sie dabei zur hysterischen und schwer durchgeknallten Furie – bis ihr zur Pause gar das Bühnenlicht abgedreht wird. So weit, so klischeehaft, so 19. Jahrhundert. Darf eine Frau im Jahr 2019 öffentlich ihre Meinung sagen, so dass sie gehört wird? Oder sollte sie auch heute besser sang- und klanglos untertauchen, Platz machen, willfährig verschwinden?
Kein Fortschritt, nirgends
Durchaus sympathisch und spritzig treibt Penelope Skinners 110-seitiges Dampfplauder-Stück weibliche Verhaltens-Klischees auf die Spitze. Doch die Themen des aktuellen Feminismus-Diskurs' werden im Endeffekt doch eher wikipedia-mäßig abgehandelt: die permanente Ver- und Bewertung des weiblichen Körpers, feminine Selbstbeschuldigung, Ängste beim Verlust von Attraktivität, der Selbstoptimierungswahn, der bei Frauen besonders brutal zuschlägt, Ausbildungsmiseren, Alleinerziehende, MeToo, Männergewalt, Cyber-Mobbing, der "Körper-Ideal-Maß-Faschismus". Zugleich weist der komödiantisch überkonstruierte Plot derbe Glaubwürdigkeits-Fehler auf: Warum fällt eine erfolgreiche PR-Managerin auf ein Selfie herein? Wieso entscheidet sich der Chef auf einmal gegen seine eigene Firmen-Strategie? So großartig und sensibel Claudia Hübbecker die Verwandlung von Lindas glanzvoller Außenhülle in ein zitterndes, zeterndes Nichts auch gelingt, gegen die fehlende psychologische Tiefe ihrer Figur kann sie nicht anspielen.
Am Ende – bleibt es düster. Ein Rückblick auf Lindas hoffnungsvolle Anfänge bei der Firma unterstreicht noch einmal: Nichts hat sich geändert in den Jahrzehnten der Frauenbewegung, Frauen werden immer noch auf die äußeren Bilder reduziert – und reduzieren sich selbst darauf. Das Frauenbild, das Skinners Stück in der Regie von Marius von Mayenburg vermittelt, ist ziemlich ärgerlich: Larmoyant bestätigt es die Missstände, die es beklagt. Hätte eine weibliche Regie-Handschrift da nicht vielleicht noch ein paar positiv feministische Gedanken einfügen können?
Linda
von Penelope Skinner
Deutsch von Katharina Pütter
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Marius von Mayenburg, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Almut Eppinger, Musik: Nils Ostendorf.
Mit: Claudia Hübbecker, Lea Ruckpaul, Caroline Adam Bay, Thiemo Schwarz, Hanna Werth, Sophia Schiller, Chris Eckert, Wolfgang Michalek.
Premiere am 3. November
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.dhaus.de
Kritikenrundschau
"Die Tragödie vollzieht sich in melodramatischer Überdeterminiertheit, aber dank den Schauspielern ist man gepackt", schreibt Patrick Bahners in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5.11.2019). Linda bewahre auch in der Katastrophe Haltung: "Das Opfer, das sie auf dem Altar ihres Ich-Ideals darbringt, ist sie selbst." Neben Claudia Hübbecker rage auch Lea Ruckpaul heraus.
Claudia Hübbecker spiele die Rolle der Linda "deswegen so fantastisch, weil sie jeden einzelnen emotionalen Befund, den sie auf der Bühne durchlebt, aus der Tiefe psychologischer Verflechtungen hervorholt", so Sema Kouschkerian in der RP Online (5.11.2019). Den anderen Figuren allerdings fehle es an Spannkraft.
"Ein hochinteressantes Thema mit grandiosen Frauenfiguren", so Stefan Keim im Deutschlandfunk Kultur (3.11.2019). Hauptdarstellerin Claudia Hübbecker sei die perfekte Besetzung für Linda in diesem psychologischen Drama, "in dem es durchaus ein paar Pointen und ein paar Momente gebe, in denen man einen Schlag in den Magen verspüre und lachen müsse". Regisseur von Mayenburg habe das Stück sehr geschickt inszeniert und das Geschehen abstrahiert in eine Messe-Ästhetik verpackt.
Martin Krumbholz schreibt in der Süddeutschen Zeitung (online 5.11.2019, 18:43 Uhr): Wieder habe die Düsseldorfer Dramaturgie einen Text "aufgespürt", der den "Nerv der Zeit" treffe. "Bravourös, wie Claudia Hübbecker diese Linda spielt, in einer atemberaubenden Tour de Force aus Leidenschaft, Stolz, Empörung und Zorn." Marius von Mayenburgs Inszenierung riskiere viel. Auf klinisch weißer Bühne blieben die Spieler "quasi mit der Wucht der Emotionen allein". Das funktioniere am besten in jenen Szenen, "in denen diese Wucht ungefiltert aus ihnen hervorbricht".
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