Lady Medea

von Martin Krumbholz

Essen, 28. Februar 2014. Die knisternde silberne Folie, die die Bühne nach hinten begrenzt, wird gegen Ende herabfallen, die blutbefleckte Medea, Mörderin ihrer eigenen Kinder, wird sich in das riesige, im Scheinwerferlicht nun gülden glitzernde Ding verspinnen wie in eine königliche Brautkleidschleppe: Der Palast von Korinth ist zum Einsturz gebracht, nicht zuletzt durch sie, die "Ausländerin", Medea aber behauptet eine große, geradezu ikonographische Geste – Madonna im goldenen Schutzmantel sozusagen. Es ist ein starkes, sich einprägendes Bild, das den Euripides-Abend in Essen eindrucksvoll beschließt.

Doch leider zeichnet diese Zuspitzung auf ein klares, formstrenges Zeichen nicht die ganze Inszenierung aus. Die Regisseurin Konstanze Lauterbach (die auch die nicht immer geglückten, teils arg biederen Kostüme entworfen hat) füllt ihre Inszenierung bis zum Rand mit optischen und szenischen Einfällen, als habe sie Sorge, ob der Text und seine Sogwirkung allein den Abend füllt bzw. die Leute unterhält. Allerdings tendiert die Übersetzung von Peter Krumme mit ihren aktualisierenden oder deftigen Nuancen – Medea wird hier "ausgewiesen", ihre Heimat Kolchos ist ein "Scheißloch" – dazu, die Fallhöhe zu verringern; man soll hier nicht fremdeln, sondern sich heimisch fühlen im (allzu) Bekannten.

Eine starke Frau, lauter schwache Männer
Die Bühne von Ann Heine zeigt eine Art neugriechischer Bauruine aus weißen Quadern – die in einer Szene zwischen Medea und Jason auch einmal anstelle von Kothurn benutzt werden. (Das grenzt – wie auch der arg treuherzige dreiköpfige Frauenchor mit seinen asynchronen Sprechakten – an unfreiwillige Komik.)

Medea1 560 ThiloBeu uJanina Sachau als Medea © Thilo Beu

Janina Sachaus Medea ist keine klassische Heroine, sondern eine zarte, schöne, stimmgewaltige junge Frau. Diese Besetzung ist ein legitimes Mittel, die Figur heranzuzoomen. Ihr Handeln erscheint angesichts dessen, was auf sie zukommt, psychologisch plausibel – fast allzu sehr. Es schleicht sich das Gefühl ein, dass Konstanze Lauterbach für Medea Partei nehmen möchte, was zwar menschlich nachvollziehbar ist, der Balance dieses superbalancierten Dramentextes aber doch Gewalt antut.

Medeas Gegenspieler sind tendenziell nicht ganz seriöse Figuren. Kreon (Jan Pröhl) hat eine Wampe, die Medea, auf seinen Schultern hockend, ausgiebig beklatschen darf. Jason (Thomas Büchel) ist ein Weichling mit langem Pferdeschwanz, der nicht Hü und nicht Hott sagt; der sich wehmütig in Medeas Mantel hüllt und sich, bevor seine Ex zum großen Schlag ausholt, von ihr lüstern mit Weintrauben füttern (und blenden) lässt.

Hochzeitsmahl mit Prinzessböhnchen
Neben solchen psychologisierenden Einfällen steht dann aber auch wieder eine recht konventionelle Formsprache. Die Amme (Ines Krug) verknotet ihre Hände im Schoß, wenn es sie vor Anspannung fröstelt; Medea verschränkt trotzig die Arme vor der Brust. Das sind, wenn man so will, Zeichen einer sich verweigernden Sexualität, aus dem Unbewussten geschöpft. Der Regisseurin Lauterbach fällt viel ein – in diesem Fall zuviel. Die Hochzeit zwischen Jason und Kreusa muss bebildert werden; der dazu gebetene (ebenfalls treuherzige) Männerchor freut sich "auf die Prinzessböhnchen". Auch das Auspacken der vergifteten "Brautgeschenke" und der Erstickungstod Kreusas (der gleichwohl später vom Boten erzählt wird) bekommen eine eigene Szene auf der Hinterbühne.

Medea2 560 ThiloBeu uBei dieser Hochzeit stimmt etwas nicht. © Thilo Beu

Ein Regie-Coup folgt auf den nächsten, doch Lauterbach findet keine klare Linie zwischen Formstrenge und flotter Psychologisierung. Will sie sich auf jene nicht verlassen, weicht sie auf diese aus, und der Zuschauer gewinnt den Eindruck, die Regie wolle ihm zwar alles mögliche zumuten, nur das eine nicht: dass er auch einmal seine eigene Phantasie benutzt und sich über die Vorgänge im alten Korinth ein eigenes Urteil bildet. Es ist sicher kein ganz verlorener Abend in Essen. Janina Sachau bringt ihre Power und ihren Charme ein, um uns diese ferne stolze "Barbarenfrau" ein wenig verständlich zu machen. Doch unterm Strich ist es zuviel von allem.

Medea
von Euripides
In der Übersetzung von Peter Krumme
Regie und Kostüme: Konstanze Lauterbach, Bühne: Ann Heine, Musik: Achim Gieseler, Dramaturgie: Vera Ring.
Mit: Ines Krug, Dagny Dewath, Lisa Jopt, Irina Wrona, Janina Sachau, Jan Pröhl, Floriane Kleinpaß, Thomas Büchel, Jörg Malchow, Jens Ochlast, Tobias Roth, Sven Seeburg.
Dauer: eine Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-essen.de

 

Mehr zu Konstanze Lauterbach und antiken Stoffen: In Weimar inszenierte Lauterbach im Mai 2012 Die Troerinnen, in Wiesbaden im Oktober 2011 Die Kinder Agamemnons und in Konstanz im November 2009 Tom Lanoyes Atriden-Klagegesang Atropa.

 

Kritikenrundschau

"Der schwere Stoff wirkt in dieser Inszenierung weniger tragisch-dramatisch, oft eher unfreiwillig komisch", schreibt Britta Helmbold in den Ruhrnachrichten (2.3.2014). Das liege zum einen an der saloppen Übersetzung von Peter Krumme, zum anderen habe sich die Regie "viel einfallen lassen". "Psychologisch nachvollziehbar" spiele Janina Sachau Medea, "diese verlassene, verratene Frau" – "nicht als tobende Furie, sondern als eher gelassen-berechnende Gedemütigte".

Janina Sachau mache "diese grausamste Frauenfigur der griechischen Mythologie" "schon von ihrer Statur her" zu einer "Furie mit Anmut, zu einem Muttermonster von höchster Zerbrechlichkeit", schreibt Martina Schürmann in der WAZ (3.3.2014). Konstanze Lauterbach tue viel, "manchmal auch ein bisschen zu viel", um diese Figur nahbar zu machen. Auf Ann Heines karg möblierter Zwei-Welten-Bühne zwischen Königshaus und Armensiedlung zeige Lauterbach nicht nur die Chronik einer ungeheuerlichen Tat. "Sie zeigt auch, dass dieser maßlose Hass nur aus maßloser Liebe entstanden sein kann."

 

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