Wir sind die Urzeitechsen

10. Dezember 2022. Fünf unsterbliche Dinosaurierinnen vegetieren in Ariane Kochs Stück vor sich hin – bis eine Zweibeinige auftaucht, wunderschön singt und viele, viele Fragen nach dem Sinn des Existierens aufwirft. Die Uraufführung der heiteren Fabel über das Aussterben besorgt Simone Blattner titelgemäß als Singspiel.

Von Katharina Kovalkov

"Die toten Freunde (Dinosauriermonologe)" von Ariane Koch am Pfalztheater Kaiserslautern © Pfalztheater Kaiserslautern / Thomas Brenner

10. Dezember 2022. Was war zuerst da, der Dinosaurier oder das Ei? Wie lange ist lang genug? Und was kommt danach? Fragen wie diese stellt das post-apokalyptische Schauspiel "Die toten Freunde (Dinosauriermonologe)" der Schweizer Autorin Ariane Koch. Am Freitag wurde das mit dem Else Lasker-Schüler-Stückepreis 2022 prämierte Stück auf der Werkstattbühne des Pfalztheaters uraufgeführt, in der Inszenierung von Simone Blattner. Und plötzlich wirkte die Zukunft näher als gedacht.

Unsterblichkeit auf wüster Erde


Wir befinden uns etwa 200 Millionen Jahre in der Zukunft.  Die Erde ist von Flammen, Gestein und Gelbstaub bedeckt. Das Leben ist ausgelöscht. Alles, bis auf die Birken und eine Horde uralter weiblicher Kreaturen – den Dinosauriern – mit ihren langen roten Krallen und ihrer kreideweißen schuppigen Haut. Fünf von ihnen bevölkern diesen apokalyptischen Schauplatz. Sie kriechen aus ihren steinernen Löchern, bewegen sich wie Zombies durch die Welt, und sie sprechen miteinander – nicht etwa in Dino-Lauten, sondern in einer Sprache, die auch der Zuschauer versteht. Sie klagen über die Langeweile ihrer Unsterblichkeit, wetteifern untereinander darum, wer von der Evolution die besten genetischen Gadgets zum Überdauern mitbekommen hat und sie zanken sich – wie Menschen: "Du schleichst so doof wie eine Eidechse!"

So vegetieren sie vor sich hin – uneins und doch gemeinsam. Schlafen, streiten, singen gelegentlich Volkslieder, tanzen dazu und warten darauf, dass etwas passiert. Bis sich ein unbekanntes, seltsam zweibeiniges und lieblich singendes "Wesen" (Jelena Kunz) in ihre Welt verirrt. Es pfeift schöne Melodien, die jedoch keine der Urzeitechsen versteht. "Es soll gefälligst unsere Sprache lernen, wir waren zuerst da", wettert die Anführerin (Aglaja Stadelmann). "Ich finde, das Wesen wirkt recht ähnlich wie wir", beobachtet die von der Unsterblichkeit frustrierte Rosmarie – herausragend gespielt von Nina Schopka. "Wenn ich es anschaue, dann sehe ich mich in ihm gespiegelt." Und doch erkundet das junge und farbenprächtige Wesen die Umgebung, schießt Fotos auf seinem Smartphone-ähnlichen Gerät, als stamme es aus einer anderen Zeit und hätte nie zuvor einen Dinosaurier gesehen. Und auch sie sahen nie zuvor ein solches Wesen. Wo kommt es her? "Wo komme ich her?" Aus einem Ei? "Und was war vor mir?" Und vor den Eiern? Mit diesen Fragen beginnt Ariane Koch eine kreative Auseinandersetzung mit den Themen Zeit und Sein – die unsterblichen Wesen sinnieren über ihre Ursprünge und ihre Sterblichkeit.

Plagiat von etwas, das einmal schön und echt war

"Findet ihr es nicht auch seltsam, dass wir gar nicht so genau wissen, von wem wir eigentlich abstammen? Dass wir gar nicht so recht wissen, wer unsere Väter, vor allem Väters Väter waren?", sinniert das von Helena Gossmann gespielte Kind. "Warum wir so aussehen, wie wir aussehen, warum wir das träumen, was wir träumen." Und wer hatte eigentlich diese "schreckliche Idee, dass man sich immer weiterentwickeln muss, dass man größer oder kleiner, schneller oder besser werden muss?", fragt die Großmutter (Hannelore Bähr). "Dass es so etwas wie Evolution geben muss..." Das Wesen könnte Antworten liefern und "bringt uns vielleicht endlich das Sterben bei", hofft Rosmarie, fasziniert von dem "Störenfried". Falls sie selbst nicht schon längst "tot sind, ohne es zu merken", wie die Großmutter einwirft.

Die toten Freunde1 805 Ariane Koch uVeränderung kündigt sich an, in Gestalt eines "Wesens" (Jelena Kunz) © Pfalztheater Kaiserslautern / Thomas Brenner

Doch am Ende wird nur das Wesen tot aufgefunden. Und mit ihm stirbt die Hoffnung auf Antworten und Rosmaries Hoffnung auf Erlösung. Wodurch es starb, ist nicht klar. Doch Rosmarie verdächtigt ihre hab- und blutgierigen Schwestern. Was von dem einst so lebendigen Wesen übrig geblieben ist, wird auseinander gesägt, ausgestopft, künstlich animiert und ausgestellt in einem eigens gebauten Museum. Der Zuschauer sieht nur noch die leere Hülle eines einst lebendigen Wesens, seelenlos wie eine Maschine umher wandernd. "Es ist schon wieder nur ein schlechtes Plagiat von etwas, was einmal so schön und echt war. Das Lebendige kann man nicht animieren", trauert Rosmarie. "Lieber ein seziertes Wesen als gar kein Wesen", rechtfertigt die Historikerin (Ulrike Knobloch).

Wir überleben doch schon viel zu lange

Aber ist das wirklich so? Ariane Koch schafft es mit "Die toten Freunde (Dinosauriermonologe)", unsere Existenz kritisch und doch mit einer augenzwinkernden Leichtigkeit zu hinterfragen, in einem Kosmos aus faktischer Evolutionsgeschichte und ironischer Zukunftsdystopie. Sie denkt die Dinosaurier-Spezies neu, als menschenähnliche Echsen, mit zerlumpten Kleidern, struppigen Haaren und Colliers um den Hals, die sich wie alte Damen bei einem Kaffeeklatsch über alles Neue und „Störende" echauffieren – verkörpert durch das neugierige "andersartige" Wesen. Es wirkt wie eine spiegelverkehrte Realitä. Wie die Dinosaurier-Damen im Stück könnten in der Zukunft wir sein: ein verstaubtes Relikt aus einer vergangenen Ära, die ihre Weltherrschaft an eine neue Lebensform übergeben müssen.

Die toten Freunde4 805 Ariane Koch uAlles beim Alten oder Aufbruch in Neues? Hannelore Bähr (Grossmutter), Nina Schopka (Rosmarie) © Pfalztheater Kaiserslautern / Thomas Brenner

"Wir überleben doch schon viel zu lange", heißt es im Text. "Irgendwann ist doch auch mal gut. Irgendwann dürfen dann doch auch mal die nächsten." Aber ist das ein Grund zum Fürchten und Verzweifeln? Nicht für Ariane Koch, die mit Regisseurin Simone Blattner ein Singspiel aus der Dystopie machte. Immer wieder lässt Blattner die Dinos bedeutungsschwere Volkslieder singen – heiter, melancholisch, nachdenklich, zu der gleichermaßen launenhaft konzipierten Musik von Christopher Brandt, mit feingliedrigen Piano-Melodien von Sophie Miyo Kersting. Das alles wirkt zeitweise wie eine karikierte Operette, eingeschlossen in einem abstrakten Schauspiel, und verleiht damit den statischen Dialogen in Kochs Vorlage eine ungeheure Vitalität.


Der Zwist zwischen Alt und Neu findet sich auch im Bühnenbild von Martin Miotk mit seiner Kulisse aus brodelnden Vulkanen und weißen Stoffwänden, die optisch doch stark an die gängigen Messenger-App-Bildschirme erinnerten. Vielleicht erleben ja auch wir Kochs Zukunftsszenario via Smartphone? Eine neuzeitliche Perspektive auf urzeitliche Zustände, sozusagen. In vielerlei Hinsicht aber auch eine Linse auf die Jetztzeit, in der "Andersartige" zu Eindringlingen herabgestuft werden. Dass die Natur in Form der Birken diese Zustände mit Gelbstaub bedeckt, sich die Welt am Ende zurückerobert und das im wahrsten Sinne finale Wort spricht, scheint eine späte Gerechtigkeit für das ungerechte Schicksal des Wesens zu sein. Was am Ende bleibt, ist ein regungsloses Ei, als hoffnungsvoller Vorbote einer neuen Zukunft – und als Rätsel, das wohl niemals vollständig gelöst werden kann und soll.

 

Die toten Freunde (Dinosauriermonologe)
von Ariane Koch

Inszenierung: Simone Blattner, Bühne: Martin Miotk, Kostüme: Andy Besuch, Musik_ Christopher Brandt, Dramaturgie: Carola von Gradulewski.
Mit: Nina Schopka, Helena Gossmann, Hannelore Bähr, Ulrike Knobloch, Aglaja Stadelmann, Jelena Kunz, Piano: Sophie Miyo Kersting.


Uraufführung am 9. Dezember 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.pfalztheater.de

 

Kritikenrundschau

"Mit Humor" begegnet Ariane Koch den "großen Menschheitsthemen", schreibt Fabian R. Lovisa in der Rheinpfalz (12.12.2022). "Wortwitz" wird dem Stück attestiert, aber ebenso ein "gewisser Eklektizismus, ein gewisses Themenhopping". Mit Situationskomik und Slapstick mache die Regie aus dem Text "mehr, als er eigentlich ist". Für "Freunde des skurrilen Humors" sei der Abend "empfehlenswert".

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