Was wir wollen - Am Tiroler Landestheater Innsbruck inszeniert Verena Schopper die Uraufführung des Stücks von Teresa Dopler
Der Ausweg aus dem Ausstieg
von Martin Jost
Innsbruck, 19. November 2017. "Was wir wollen" hat Teresa Dopler ihr Stück genannt, dabei ist das letzte, was ihre Figuren wissen, was sie wollen. Sie sind Aussteiger, zum Teil in zweiter Generation, serielle Neuanfänger, hoffnungslose Selbstsucher, Flüchtlinge. Sie wissen bloß, was sie nicht wollen, nicht mehr aushalten. Ihre Fantasie vom Ankommen ist eine Utopie, denn sobald das Neue zum Status quo wird, möchten sie nur noch weg.
Die einzige, die ihren Ausstieg ausgehalten hat, ist die namenlose Mutter der drei zentralen Figuren in "Was wir wollen". Sie war knapp 40, als sie mit dem spanischen Yogalehrer durchbrannte, ihre drei Kinder noch ganz klein. Ihr Tod bei einem Motorradunfall steht am Anfang des Stücks. Die Geschwister Helene, Wolf und Sofia, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, kommen im andalusischen Hinterland zusammen, um das Häuschen zu verkaufen, das sie geerbt haben.
Angst vorm Ernst (des Lebens)
Das Häuschen ist auf der Bühne ein kleines Podest mit einem Geländer, darüber eine stockfleckige Markise: eine Veranda oder ein Balkon. Wenn die Darsteller*innen hinter dem Geländer auf zwei Barhockern sitzen, wird es zur Theke in der örtlichen Bar. Den ganzen Abend zirpen aus Lautsprechern Grillen. Die übrige Ausstattung lässt sich an einer Hand abzählen. Veronika Stembergers Bühne und Kostüme könnten kaum sparsamer sein – oder wirkungsvoller.
Helene (Marion Fuhs), die angehende Herzchirurgin, hat als nächsten Termin ihre erste Operation am offenen Herzen im Kalender stehen. Sie hat große Angst. Die Freundin von Wolf (Matthias Tuzar) erwartet ein Kind von ihm, dabei hatte er gar nicht vor, sich fest zu binden. Und Sofia (Ulrike Lasta) sucht noch nach einem Leben, das zu ihr passt. Vor allem authentisch soll es sein.
Alle anderen Rollen übernimmt Raphael Kübler: Ein reiches Ehepaar aus Dänemark, das Ferienhäuser rund ums Mittelmeer sammelt und in keinem davon zur Ruhe kommt, weil es schon wieder im nächsten nach dem Rechten sehen muss; einen Hippie, der so gern aus seiner Aussteiger-Kommune türmen will, weil ihn die Gemeinschaft einengt; den Chor der Feldarbeiter, die in unvorstellbar großen Gewächshaus-Plantagen das billige Gemüse für ganz Europa anbauen; Juan, einen 17-jährigen Feldarbeiter und Sofias große Liebe; sowie Ina, die schwangere Freundin, mit der Wolf am Handy telefoniert.
Unterschiedlich komisch
Raphael Kübler, man kann es nicht anders sagen, stiehlt seinen Kolleg*innen die Show. Er hechtet von Rolle zu Rolle, indem er sein Hemd aufreißt, es sich umbindet, sich über die Schulter wirft und dann wieder hinein schlüpft. Er verstellt die Stimme und rutscht in den nächsten Habitus. Er hüpft von einer Sandale auf die andere, wenn er die Dialoge des dänischen Ehepaars im Wohnmobil als schnelle Wortwechsel wiedergibt. Sein Timing ist zum Niederknien, mit jeder Figur trifft er ins Schwarze wie der frühe Hape Kerkeling. Auf Küblers Konto gehen praktisch alle Lacher.
Doplers Buch gibt es her, dass man ernst auf die Figuren blickt, ihre Egozentrik, ihr Selbstmitleid, ihre Verantwortungsallergie bis über die Ekelgrenze zeichnet. Regisseurin Verena Schopper hat sich zum Glück entschieden, die ganze Komik aus dem Text zu holen, die die Autorin zweifellos mitgedacht hat. Bloß passt Küblers Komik eben nicht zum Spiel der anderen. Seine Karikaturen gehören zu einem anderen Genre als die Figuren der drei Geschwister. Fuhs, Lasta und Tuzar sind sich des Humors ihrer jeweiligen Rolle sehr wohl bewusst, aber sie spielen Helene, Sofia und Wolf als Menschen, die sich ernst nehmen.
Am meisten interagiert Kübler als Juan mit den anderen. Der 17-jährige Einheimische malocht in den Paprika- und Tomatenbergwerken. Er ist lebensklug und die erwachsenste Figur im Stück. Ironischerweise hat Juan keinen Text. Allein, wie Kübler sich das Hemd aufreißt, um zu Juan zu werden, gibt einen großen Lacher. Sofia setzt Juan auseinander, dass sie füreinander bestimmt sind. Ulrike Lasta muss eine verwöhnte Göre spielen, die keine Selbstzweifel kennt. Der ganze Witz von Sofias Monolog liegt in dem naiven Ernst, mit dem sie ohne jedes Einfühlungsvermögen an Juans Bedürfnissen vorbeiredet.
Tempranillo statt Verantwortung
Alle drei Geschwister überzeugen sich in Monologen und Ich-Exposition, dass ihnen ihr Leben im Weg ist auf der Suche nach sich selbst. Sie wollen mal Pause machen und beschließen, das Haus nicht zu verkaufen. Sie stehlen sich aus ihrer jeweiligen Verantwortung und trinken Tempranillo.
In der intimen Spielstätte (das "K2" ist tagsüber die Schreinerei des Landestheaters) mit gerade mal drei sehr breiten Sitzreihen sehen wir, wie es in den Figuren arbeitet. Die Wochen vergehen wie im Flug, und sie ertragen sich bald selbst nicht mehr. Der Ausstieg wird zur Zumutung, und sie suchen den Ausweg aus dem Ausstieg, jeder in eine andere Richtung. Wenn schon die örtlichen Hippies ihren Neuanfang auf Dauer nicht aushalten!
Die Dänen kaufen also doch noch das Haus und machen es für ein schöneres platt. Keine drei Sekunden entspannen sie auf der Veranda, da müssen sie weiter mit dem Wohnmobil. Zurück bleiben die Einheimischen, an die die Privilegierten aus der Mitte Europas die Knochenarbeit outgesourct haben. Als Chor der Feldarbeiter fragt Raphael Kübler: "Eine Auszeit? Was ist das?" Wäre die Karikatur in der Innsbrucker Uraufführung nur ein bisschen zurückgenommen, wäre die Kritik von "Was wir wollen" noch ein gutes Stück ätzender geraten.
Was wir wollen
von Teresa Dopler
Uraufführung
Regie: Verena Schopper, Bühne und Kostüme: Veronika Stemberger, Licht und Ton: Michael Reinisch, Lukas Atzl, Dramaturgie: Axel Gade.
Mit: Marion Fuhs, Ulrike Lasta, Matthias Tuzar, Raphael Kübler.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.landestheater.at
Eine kritische Stimme unter dem Kürzel – jole – fühlt sich in der Tiroler Tageszeitung (21.11.2017) bei Teresa Doplers Stück an "Textpartituren von Händl Klaus" erinnert. "Was wir wollen" sei "ein leichter, von bisweilen bitterer Ironie gesättigter Theatertext". Verena Schopper habe dafür eine "hochkonzentrierte, darstellerisch überzeugende und gerade in ihren beinahe beiläufigen Details – etwa einem leisen, herzschlaggetaktetem Klopfen – ungemein dichte Inszenierung" geschaffen.
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