Children of Tomorrow - Tina Müller und Corinne Maier zeigen im Münchner Volkstheater ein klug pointiertes Stück über den Stressbetrieb Familie
Bock auf Eltern-Feeling
von Philipp Bovermann
München, 13. Dezember 2017. Man kann nicht alles haben im Leben. Aber man kann Kinder haben. Was zwar nicht das Gleiche ist, aber das Thema zumindest erst einmal vertagt – bis man alt genug ist und sich auch mit weniger zufrieden gibt. Am Münchner Volkstheater hingegen, wo das Jungsein an und für sich gewissermaßen Teil der Marke ist, geht das naturgemäß nicht.
Richtig in Stimmung zum Kinderkriegen
Dort haben die Autorin Tina Müller und die Regisseurin Corinne Maier ein Stück entwickelt, das diese großangelegte Verschiebung des Lebensglücks, die Elternschaft, ihrerseits verschiebt und hinauszögert. Es gibt heutzutage schließlich noch so viel zu bereden, bevor es losgeht: Maier schickt vier Schauspieler, zwei Frauen (Pola Jane O'Mara, Julia Richter) und zwei Männer (Mehmet Sözer, Oleg Tikhomirov), geboren zwischen 1989 und 1992, auf die kleine Bühne des Hauses, in "Happy Socks" zur lässigen Normalokluft, denn sie sind "richtig in Stimmung zum Kinderkriegen". Sie hüpfen auf roten Springbällen (diese Gymnastikbälle mit den Festhalte-Zitzen dran) herum und freuen sich auf ein "Leben voller Liebe". Nur "gemeinsam" soll es sein, mit anderen Worten postkonventionell, aber auf ein bisschen Eltern-Feeling haben sie trotzdem total Bock. Irgendwas Meditatives, Beruhigendes plätschert aus den Lautsprechern, während die vier in Purzelbäumen rückwärts über die Bühne und durch die Rollenkonventionen kugeln.
Die Kindheit ist ja oft eine Art in die Vergangenheit verlegte Utopie, hier entpuppt sich die Elternschaft nach und nach als Realdystopie, als "gemeinsamer Familien-Stressbetrieb", der nicht nur, aber auch durch die ständigen Zweifel an ihm entsteht. Die Erzählung, wie es sein könnte, ein Kind zu haben, was alles passieren könnte, wer zuhause bleiben und wer sich selbst verwirklichen dürfen könnte, tragen die Schauspieler als fortlaufende Hypothese im Futur vor – von einem Kind ist während des ganzen Abends keine Spur.
Stressbetrieb Familie
Stattdessen analysiert das Stück, sehr klug und pointiert, die gesellschaftlichen Strukturen, die diesen Stressbetrieb zusammenhalten. So erwartbar und doch so (immer noch) treffend: Der Mann bzw. die Männer argumentieren, es wäre, mal rein pragmatisch gedacht, leider leider eben doch schlauer, wenn er statt ihr arbeiten ginge, schließlich kriege er, Penis sei Dank, ja ein höheres Gehalt.
Die vier Schauspieler bewältigen das allesamt mit einer angenehmen, gewissermaßen kindlichen Spielfreude, auch die nochmalige Zweiteilung der Paarbeziehung macht dramaturgisch eine Menge Sinn: Wann verkumpeln sich die beiden männlichen Ichs zum Männerbund, wann wird zur Abwechslung mal er zur Prinzessin, wann macht eines der Frauen-Ichs einen Sologang aufs Klo, um dort, in Gestalt von Julia Richter, einen wunderschönen Wutanfall ("Fuck! Shit! Ende!") zu bekommen?
Diese Rollen- und Spieldynamik zu viert hält den Abend durchgehend frisch. Ziemlich cool frühstückt man schwierige Themen wie "Regretting Motherhood" (die lange tabuisierte Reue von Müttern, zu ebensolchen geworden zu sein) ab und spielt verschiedene Szenarien durch: Ein sanfter Entzug von alter Mami-und-Papi-Pflichtzuteilung führt zum Rückfall, ein kalter Entzug – er übernimmt die klassische Mutter-Rolle mit allem, was an der so scheiße war – mündet in seinem Zusammenbruch. Schließlich lässt man das Kind in einem "phänomenalen Zustand" "sich selbst aufziehen", denn man will "weiterhin sinnlich unterwegs" sein, während allerlei Plunder den Bühnenboden bedeckt... und so weiter.
Eine Lösung gibt's keine, vor allem ist das Theater keine Lösung, sondern Teil des Problems: Die vier Schauspieler spielen Schauspieler, die gern Kinder kriegen würden. Aber das geht am Theater nur sehr schwierig. Schließlich fordert es hundertprozentige Leistung, Aufopferung, aber bitte keine Götter und keine Kinder neben ihm, lange aufbleiben, verrückt sein, statt zuhause Gute-Nacht-Geschichten vorzulesen. Theater sind selbst schon familienähnliche Stressbetriebe, wer braucht da noch Kinder? Und wer könnte sich eine Quasi-Rundumbetreuung durch ein Kindermädchen (pardon: eine*n Kinderbetreuer*in) in der Proben-Hochphase leisten? Wer außer den Intendanten, die dann doch wieder Männer sind und sich um solche Probleme nicht kümmern müssen, falls sie denn überhaupt Kinder haben.
Es ist ein bescheidener, leider auch ein sprichwörtlich frommer Wunsch, der von diesem schwungvollen Abend zurückbleibt – er passt in die Familien und die Kunstbetriebe gleichermaßen: "Warum geht das nicht ein bisschen gemeinsamer?"
Children of Tomorrow
von Tina Müller und Corinne Maier
Regie: Corinne Meier, Dramaturgie: Caroline Schlockwerder, Bühne und Kostüme: Nicole Henning, Sounddesign: Rupert Jaud.
Mit: Pola Jane O'Mara, Julia Richter, Mehmet Sözer, Oleg Tikhomirov.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.muenchner-volkstheater.de
Kritikenrundschau
Tina Müller karikiere die Generation der Mittzwanziger so gnadenlos wie liebevoll in ihrer Fortpflanzungs-Groteske, schreibt Alexander Altmann im Oberbayerischen Volksblatt (15.12.17). Wunderbar pointiert sei dieser "tragikomische Kindergeburtstag".
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War das nicht ein bißchen gemeinsamer?
#genialitätsmüde
(Liebe Prinzessin,
inwieweit die Dramaturgie in die Stückentwicklung einbezogen war, wissen wir nicht. Sie finden die Dramaturgin Caroline Schlockwerder aber selbstverständlich im Besetzungskasten unter der Kritik neben den anderen Beteiligten aufgeführt.
Mit besten Grüßen, Anne Peter / Redaktion)
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/01/02/children-of-tomorrow-vier-mittzwanziger-denken-am-muenchner-volkstheater-ueber-kinder-und-karriere-nach/