Automatenbüffet - Burgtheater Wien
Zurück aus dem Wasser
von Andrea Heinz
Wien, 30. Oktober 2020. Ein großes Verdienst der neuen Burgtheater-Direktion ist es ganz sicher, selten bis gar nicht gespielte (Exil-)Autorinnen auf die Bühne zu bringen. Vergangenes Jahr war es Maria Lazars Stück Der Henker, das am Akademietheater aufgeführt wurde, heuer ist es Anna Gmeyners "Automatenbüffet". Das Stück ist nicht unbedingt eine Entdeckung, eher eine Wieder-Entdeckung: 1932 geschrieben, hatte es zu seiner Zeit durchaus einigen Erfolg, wurde in Hamburg, Berlin und Zürich gespielt, dort mit Therese Giehse in der Hauptrolle. Wie für Stücke dieser Zeit durchaus nicht unüblich, beginnt es mit einer jungen Frau, die ins Wasser geht.
Die Unbekannte aus der Seine, schöne Wasserleiche und so, man kennt das ja nicht zuletzt von Horváth. Hier geht die Frau, Eva heißt sie, nicht aus ökonomischer, sondern aus Liebes-Not in Wasser, wenn auch nicht ganz wie zu erwarten: Gekriegt hat sie den Angebeteten wohl, behandelt hat er sie aber schlecht. Es geht dann durchaus in Horváthscher Volksstück-Manier weiter, Kälte und Armut wohin das Auge blickt, emotional wie materiell.
Volksstück-Tradition
Im Wiener Akademietheater haben Regisseurin Barbara Frey und Bühnenbildner Martin Zehetgruber dafür ein geniales Bühnenbild gefunden: Das titelgebende Automatenbüffet, in dem das gesamte Stück spielt, besteht aus einer Rückwand aus lauter kleinen, beleuchteten Kästchen, in denen Bierkrügerl mit immersteifem Plastikschaum stehen und deren Türen sich mit einem futuristischen Star-Trek-"Swoosh" öffnen und schließen.
Auch der Klavierspieler (Thomas Hojsa), eine lebende Juke-Box, sitzt in einem solchen, natürlich etwas größeren Kästchen, das er nur verlassen darf, wenn jemand Münzen einwirft – zum Beispiel die Besitzerin des Automatenbuffets, Clementine Adam (Maria Happel). Über dem Buffet befindet sich eine zweite Ebene, ein Steg, hinter dem die Schatten an der Wand eine spiegelnde Wasseroberfläche suggerieren.
Frau mit Handlungsmacht
Aus diesem Weidenteich nun zieht Herr Adam (Michael Maertens) die Selbstmörderin (Katharina Lorenz). Und erzählt ihr sogleich von seinem großen Plan: Er will aus selbigem Teich Zuchtteiche machen, zur Versorgung der Bevölkerung mit gesunder Süßwasserkost und ebenso nahrhaften Jobs in der künftigen Konservenfabrik. Hier wird der jungen Frau bei Gmeyner nun, im Vergleich zu einschlägigen Horváth-Stücken, minimale Handlungsmacht zugestanden: Zwar ist sie auch hier in erster Linie Projektionsfläche, glotzen und laufen die Männer (Daniel Jesch, Hans Dieter Knebel, Robert Reinagl) in Freys Inszenierung ihr auf bis ins Lächerliche überspitzte Weise nach. Aber genau das will Adam sich zu nutze machen. Eva soll bei den Honoratioren des Amateur-Fischer-Verbandes Lobby-Arbeit für die Zuchtteiche machen.
In Freys Inszenierung wird das, mit klug gekürzter Fassung, zu einer kalten, bisweilen ungemein komischen, aber auch sehr verspielten Groteske: Der Automaten-Musiker intoniert in einer Szene auch live den tropfenden Wasserhahn, Annamária Láng schimpft als Angestellte Cäcilie laut auf ungarisch (dass sie wütend ist, versteht man auch ohne Untertitel). Und Dörte Lyssewski, die wunderbar ist als Obdachloser Puttgam, trägt ihren etwas zu kleinen Stuhl auf den Rücken geschnallt immer bei sich.
Halb sentimental, halb bitter
Überhaupt ist der Abend nicht zuletzt schauspielerisch ziemlich große Klasse: Katharina Lorenz spielt die Eva als anfangs sehr verhuschtes, immer etwas zusammengekrümmtes, sich selbst umarmendes und ständig an irgendeinem Heizkörper klebendes Mädchen – das sich aber, das wird zunehmend deutlich, von niemandem vereinnahmen oder korrumpieren lässt und aufdringliche Verehrer auch mal mit einem gezielten Fußtritt aus dem Bett kickt. Michael Maertens ist als stocksteifer, grundanständiger Adam enorm gut: lakonisch und auf den Punkt genau.
Genauso toll daneben Happel als halb sentimentale, halb bittere Geschäftsfrau, die sich geizig, frustriert und neidisch gearbeitet hat, oder es vielleicht auch immer schon war. Christoph Luser spielt den Zimmerherrn Pankraz als bis in den kleinen Zeh aalglatten, windigen Schmarotzer – und legt als Evas Ex-Geliebter Boxer (so sein Name, er ist Dichter und außerdem Staubsaugervertreter) eine bezaubernde Tanzeinlage mit Zuhälterbart und Staubsauger (Modell: Don Juan) hin.
Highlight der Saison
Es gibt ein paar kleine Schwachpunkte, einige tolle, zynische Passagen werden so weggesprochen, dass sie kaum noch verfangen – aber das sind Details, die kaum ins Gewicht fallen bei einem kompakten, stimmigen Abend, der mit Sicherheit zum Besten zählt (wenn nicht sogar das Beste ist!), was es in dieser noch jungen, bisher eher schwachen Wiener Saison zu sehen gab. Nur schade, dass es wohl auch das vorerst letzte ist, was es zu sehen gibt.
Automatenbüffet
von Anna Gmeyner
Regie: Barbara Frey, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Esther Geremus, Musik: Thomas Hojsa, Barbara Frey, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Andreas Karlaganis.
Mit: Michael Maertens, Maria Happel, Katharina Lorenz, Christoph Luser, Dörte Lyssewski, Annamária Láng, Hans Dieter Knebel, Robert Reinagl, Daniel Jesch, Thomas Hojsa.
Premiere am 30. Oktober 2020
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.burgtheater.at
"Geschlechterrollenverteilung war für Anna Gmeyner zwar erkennbar ein Anliegen, aber so witzig-verdreht hätte man das damals wohl dem Publikum noch nicht vorführen können", findet Martin Lhotzky in der FAZ (2.11.2020). Die kräftige Zurechtstutzung der Inszenierung auf ein verkleinertes Ensemble und unter zwei Stunden Aufführungsdauer sei aber nicht nur den Anti-Pandemie-Maßnahmen, sondern auch ein bisschen dem Entstauben des Textes geschuldet. "Während aber nicht wirklich klar wird, warum Regisseurin Frey das Ensemble großteils angewiesen hat, sich wie in einem Pantomimenspiel zu bewegen, möchte man den langsamen Walzer keinesfalls missen, den Daniel Jesch und Hans Dieter Knebel als zwei Mitglieder des spießigen Amateur Fischer Verbandes zur Klavierbegleitung des 'Musikautomaten' vortanzen – welch bezaubernder Einfall."
Jede Minute ist voller Spannung, so Margarete Affenzeller im Standard (2.11.2020). "Barbara Frey findet in ihrer Akademietheater-Inszenierung einen überzeugenden zeitgenössischen Zugriff, der einerseits der Reproduktion immer gleicher Opferbilder ausweicht und der andererseits dem Soziotop einer abgewirtschafteten Kleinstadt einen faszinierenden Kunstmärchenboden mit Nordlichtern und puppenhafter Personnage bereitet." Gmeyners Sprache beherberge alles Wissen um die mehr oder weniger randständigen Figuren, von denen jede für sich allein kämpft. "Frey hebt den Abend auf eine Ebene subtiler Performance", die Inszenierung ist, wie das Stück selbst auch, durchgehend sehr komisch. "Wie bedauerlich, dass die nächsten Vorstellungen nun auf sich warten lassen."
"Das Ensemble ist hervorragend, es fügt sich sehr homogen in eine von der Regie vorgegebene Trägheit, in eine verzerrte Körperlichkeit", so Martin Thomas Pesl auf Deutschlandfunk Kultur (30.10.2020). "Sie sind Freaks alle miteinander, aber im interessantesten Sinne." Frey bürste das Volksstück gegen den Strich und werde ihm damit gerecht.
"Der Besuch von 'Automatenbuffet' lohnt sich (nach hoffentlich kurzem Lockdown) allein schon wegen Martin Zehetgrubers Bühnenbild", schreibt Norbert Mayer in Die Presse (31.10.2020). "Regisseurin Barbara Frey hätte vielleicht etwas mehr Mut zur Straffung haben sollen, die zwei pausenlosen Stunden ein wenig mehr kürzen können. Aber das ist beinahe nebensächlich, wenn man die Raffinesse der Choreografie und die schauspielerischen Leistungen bedenkt. Reanimation gelungen!" Das Ensemble sei "tänzerisch fit, es zeigt fein abgestimmte Einlagen", so Mayer. "Die subtilste Momente des Abends schaffen Lorenz und Maertens. Sie fasziniert als eine geheimnisvolle Art von Nixe, er brilliert als wunderlicher Träumer. Jede Geste, jedes Wort perfekt gesetzt."
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Nein, nichts ist gut, aber hier stehen zwei zittrige Menschen, resigniert, desillusioniert, jenseits allen Hoffens. Doch eben keine Automaten, organische Kompilation von Zellklumpen, atmend, herzschlagen. Und er, jener neue Adam, sagt: „Da wird sich ja wohl noch ein Platz für uns beide finden.“ Und in desem Moment, bevor es dunkel wird, öffnen sich eine welt. Eine entbehrungsreiche, graue, lichtscheue. Aber eine bewohnbare. Eine zu erobernde. Und da ist sie wieder, die Emanzipationsgeschichte, da ist sie, die wisend, selbstbewusst lächelnde, aufrechte Frau, die diesem Mann leben, widerstehen lehren wird, vielleicht. Ein moderner Twist, der in diese Zwischenwelt passt, weil sie aus der zeit gefallen ist. Nicht unzitgemäß, sondern zeitlos, ein ewiges Dazwischen, ein Alternativuniversum, in dem diese Frau möglich ist und vielleicht auch dieser Mann. Nach vol subtilem, bitterem, absurdem Humor an diesem stillen Abend ein Atemzug. Berührend, bewegend, flüchtig. Wie das Leben. Ohne Automaten.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2021/05/17/jenseits-der-automatenwelt/
Gmeyners Figuren erinnern stark an das Personal ihres ungleich bekannteren Kollegen Ödon von Horváth: Adam und Eva sind Menschen, die das Herz am rechten Fleck haben, sich durchs Leben kämpfen, immer wieder enttäuscht und verraten werden, aber doch nicht aufgeben. Frey inszeniert das Stück mit einem stargespickten Burgtheater-Ensemble mit Publikumslieblingen wie Maria Happel, die im Automatenbüfett (Bühne: Martin Zehetgruber) das strenge Regiment führt.
In der 10er-Auswahl des digitalen Theatertreffens ist „Automatenbüfett“ wohl die konservativste Position: klassisches, entschleunigtes Schauspielertheater, das von 3sat ohne viel Schnickschnack abgefilmt wurde und in Wien wieder ab dem 29. Mai auf dem Spielplan steht.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/05/18/automatenbufett-akademietheater-wien-kritik/