Licht unter Tage - Frank Behnke zeigt in Münster Tennessee Williams‘ Erstling als robustes Bergarbeitermelodram
Grubenlampe am roten Stern
von Tim Schomacker
Münster, 16. Januar 2015. Um Namen war er selten verlegen, der Herr Williams. In Frühlingsstürme, das vor knapp zwei Jahren in Münster seine deutschsprachige Premiere feierte, hieß die lieblich-höhere Tochter Heavenly. Diesmal schickt Tennessee Williams dem Bergarbeiter und Arbeiterrechte-Agitator Birmingham Red die Bergarbeiter-Tochter Star in die Arme. Red und Star. Diesen roten Stern zu entziffern, dürfte nicht schwer gefallen sein im amerikanischen Süden der mittleren 1930er Jahre, der Zeit der Großen Depression.
In Birmingham, Alabama, jener Industriestadt, der Red seinen nom-de-guerre verdankt, wurden zu dieser Zeit "Red Squads" gegründet: Polizeisondereinheiten, die Kommunisten und ihre Sympathisanten aufspüren sollten. In "Licht unter Tage" allerdings (das im Original deutlich poetischer und ein bisschen kämpferischer "Candles to the Sun" heißt) sind es die Schergen der Minen-Gesellschaft, die dem kämpferischen Red den Garaus machen. Vermutlich gegen Geld. Woraufhin sich Star nach Birmingham verfrachtet – und fürderhin als Nutte verdingt. Ganz sicher gegen Geld.
Melodramatischer Materialismus
Geld und Gefühl sucht auch Tennessee Williams mit diesem frühen Stück aus dem Jahr 1937 zu verbinden. Man könnte beinahe von einem melodramatischen Materialismus sprechen – oder umgekehrt. Ob er sie denn nicht auch liebe, fragt Star Red. Schon, meint dieser, aber eben nicht jetzt. Es sei ja ein Streik zu organisieren, seien Kämpfe zu fechten. Vielleicht nächstes Frühjahr, sagt Red. Kurz darauf ist er tot (siehe oben). Ohne eine der vielleicht wichtigsten revolutionären Fragen beantwortet zu haben: Wie gehen einzelnes Gefühl und Gemeinschaftsgefühl zugleich in einen einzigen Menschen hinein?
Frank Behnke lässt "Licht unter Tage" tänzeln. Manchmal auch in klobigen Arbeitsschuhen. Konzentriert und reduziert kommen die zehn Szenen um die Bergarbeiterfamilie Pilcher aus Alabamas Red-Hill-Minen-Distrikt daher. In der Mitte von vier Tribünen gibt es eine einzige Spielfläche. Ein Karree aus grobgerasterten Kunststoffplatten wird von unten beleuchtet. Oben drauf liegt ein Haufen schwarzer Schnitze aus schwerem Papier. Dieser wird in einer sehr schönen Choreographie gleich zu Beginn von zehn Bergmännern auf dem Leuchtboden verteilt. So dass Boden übrig bleibt – aber kein Leuchten mehr zu sehen ist. Starker Effekt, vor allem aber Ausgangsmaterial für die kommenden neunzig Minuten.
Die Grube schluckt alles weg
So schieben Mutter Hester Pilcher und ihre (da bereits verwitwete: Grubenunfall!) Schwiegertochter Fern mit Wäsche mühselig eine Schneise ins Geviert: wie ein Teppich, der der arroganten Gruben-Geschäftsführer-Gattin Mrs. Abbey unterwürfigst ausgerollt werden muss. So schieben später die zehn Kumpel den Haufen wieder in seine Ausgangsposition zusammen. Nur dass der dunkle Haufen nun als Grabhügel dient für einen weiteren Pilcher-Sohn, den Hester an die Grube verliert. "Du weißt nicht, was es heißt, frei zu sein", hatte Regine Andratschkes ob fortgesetzter Entmutigung dezent aber präzise ermattete Hester ihrem Mann Bram zu Beginn vorgeworfen. Hatte einen Moment inne gehalten und ergänzt: "– oder wenigstens frei sein zu wollen."
Die im Dunkeln: Bram (Mark Oliver Bögel), Joel (Daniel Rothaug) und Hester (Regine
Andratschke) © Oliver Berg
Alle Kinder hatte Hester zur Schule geschickt. Keines blieb dort. Und Hesters Hoffnungen auf ein besseres Leben – wenigstens bitteschön der nächsten Generation – erweisen sich als unbegründet. Die Grube schluckt ihr alle weg. Zerquetscht und zerbröselt sie. Wörtlich, wie bei zweien ihrer Söhne. Im übertragenen Sinne bei Tochter Star und Ehemann Bram. Als Staffelstab reicht sie ihr letztes Quantum Hoffnung an die ursprünglich ungeliebte Schwiegertochter Fern weiter.
Einen Unterschied machen
In der variierten Reprise des ersten Dialogs – der kohlestauberblindende Bram beschwert sich, den Helm in den schmutzigen Händen, dass die Lampe nicht an und wo überhaupt sein Kaffee ist – wird Fern an Hesters Planstelle (Kaffee und sich Sorgen machen) eingesetzt. Wie Hester wird auch Fern sagen, sie sei "alt wie die ewigen Hügel da draußen". Auch Fern wird Geld sparen. Für den Collegebesuch ihres Sohnes Luke. Red und Luke werden sie beschwatzen, dies Geld der großen "wahren" Sache zu überantworten. Den vom Streik ausgezehrten Bergarbeiterfamilien Essen zu kaufen. Weil es eben ein Unterschied sei, ob man in eine Kerze schaut – oder in die Sonne.
Frank Behnke übersetzt Williams' schnelle Dialoge, seine Licht-Metaphorik und die sozial-romantische Gratwanderung im Plot in eine Serie von Bildern, die er elegant just zwischen den realistischen Ton (Text) und die abstrahierende Konstellation (Bühne) zwängt. Und die so reichlich Platz lassen für das je eigene gedankliche Andocken an die Frage, was Grubenunglück, Lebensmittelmarken und Bildung vielleicht mit diesem großen Ganzen zu tun haben könnten, das wir Gegenwart nennen.
Licht unter Tage
von Tennessee Williams
Deutsch von Renate und Wolfgang Wiens
Regie: Frank Behnke, Bühne: David Hohmann, Kostüme: David Hohmann, Hannah Krauß, Sound: Malte Preuß, Dramaturgie: Friederike Engel.
Mit: Regine Andratschke, Horst Becker, Mark Oliver Bögel, Jörn Dumann, Mathis Erichsen, Thomas Gelbhardt, David Hamacher, Ilja Harjes, Claudia Hübschmann, Eduard Jäger, Maike Jüttendonk, Nigel Karte, Uwe Klix, Sebastian Krapp, Thomas Löhr, Malte Mühlencord, Daniel Rothaug, René Schacher, Maximilian Scheidt, Florian Steffens, André Steinert, Carola von Seckendorff, Kasimir von Seckendorff, Rüdiger Wölk, Rainer Wübbelt.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-muenster.com
Mehr zu Tennessee Williams? In Münster hat man schon zwei weitere Frühwerke von ihm ausgegraben, I Can't Imagine Tomorrow und Frühlingsstürme. In Kassel entdeckte man Eine Hotelbar in Tokyo. Und immer wieder gibt's den Klassiker "Endstation Sehnsucht", zuletzt in Frankfurt, Magdeburg und Karlsruhe.
Regisseur Frank Behnke finde in seiner Inszenierung "eine Balance zwischen Naturalismus und geradezu poetischen Bildern", schreibt Ralf Stiftel im Westfälischen Anzeiger (19.1.2015). Behnke setzt auf eine klare Symbolik. Mit Statisten choreografiere er unter anderem auch "wuchtige Tableaus zum Beispiel in der Begräbnisszene". So gelingt es ihm aus Sicht des Kritikers, "die gelegentlich arge Schwarz-Weiß-Zeichnung bei Williams mit Grautönen anzureichern, das Pathos auszunüchtern".
Wie ein packender Spielfilm rollt die Inszenierung aus Sicht von Harald Suerland von der Westfälischen Allgemeinen (19.1.2015) ab, den die geschilderten Schicksale sehr berührten. "Regisseur Frank Behnke nutze den fabelhaften Bühnenraum von David Hohmann, "um die Figuren rasant durch die Zeitverläufe zu führen". Insgesamt ein guter Griff, so dieser Kritiker.
Frank Behnke nehme das Angebot der Bühne von David Hohmann nur halbherzig an, schreibt Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20.1.2015): "Von unten beleuchtet, wird auf dem mit einer Glasplatte belegten Podest durch das Verteilen der Kohle das Licht variiert". Das Stück löse sich in neunzig Minuten aus den historischen Koordinaten, doch die Boxring-Metapher komme nicht recht zum Tragen. "Die Inszenierung führt die Stilisierung nicht fort, sondern setzt auf Gummistiefel-Naturalismus." Die Schauspieler bedienen die Typen, Bram als knurriger Sturkopf, Hester als sorgenbeladenes Muttertier, Birmingham Red als proletarischer James Dean. Allein Maike Jüttendonk sei "unbedingt in ihrer Sehnsucht, verletzlich in ihrer Geradlinigkeit, eine existentielle Zerrissenheit". Fazit: "Von den Meisterdramen des Tennessee Williams, ihrer poetischen Wucht und analytischen Schärfe ist 'Licht unter Tage' noch weit entfernt."
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Wo ist die Kritik an den Schauspielern, an der Regie? Wie lässt Frank Behnke seine Schauspieler agieren? Kommt das Drama, die Not und Ängste dieser Bergarbeiter zu jener Zeit hinüber?
All dies sind Fragen auf die ich gerne eine Antwort gehabt hätte.
So wie sich diese Kritik liest, kommt es rüber, als ob es auch reichen würde, sich das Stück einfach als Reclam-Ausgabe zu Gemüte zu führen, da im Theater eh nichts passiert.
Dies scheint mir jedoch, wo ich doch schon einige Stücke von Behnke in Münster gesehen habe, eher unwahrscheinlich. Denn in Münster, wo gerade frische und junge Schauspieler mit viel Leidenschaft und Energie am Werke sind (Scheidt, Jüttendonk, Steffens) muss (!) einfach mehr in diesem Theaterstück, in dieser Inszenierung, drin stecken, als hier zu lesen ist.
Da gibt sich aber jemand schlauer, als er offensichtlich ist. Herrlich.
Nebenbei waren die Schauspieler toll (schade, dass Florian Steffens geht) und das intensive Spiel hat von Anfang bis Ende gefesselt.
Ich fand die (Nacht)Kritik auch sehr sachlich...auch die Beifallstürme des Publikums vielleicht erwähnenswert.
Auf jeden Fall reicht die Sache mit dem Reclam-Heft nicht! Denn die Inszenierung, die Schauspieler, die Authentizität, die Intensität, auch Musik, Licht und Kostüme sind großartig!
Auf jeden Fall ansehen!!!!!!
Mit dem Stück ist wirklich ein verborgener Schatz ausgegraben worden! Es verbindet überzeugend gesellschaftspolitische Relevanz mit psychologisch differenziert ausgearbeiteten Figuren in Konfliktkonstellationen, die überindividuell gültig sind und uns auch im Heute noch befragen. Vor dem Hintergrund der Geschehnisse der letzten Wochen wirken die "Ausländer raus"-Rufe der hungernden Bergarbeiter in dem Moment, als ihre Lage immer prekärer wird, erschreckend aktuell.
Aber mehr noch berührt hat mich etwas, was mir erst durch genaueres Nachdenken im Abstand von der emotionalen Wucht, die das Stück am Abend hinterließ, sichtbar wurde an aktuellem Bezug: Die Figur des Birmingham Red ist eine, die als einziger die Systemfrage stellt, also die Frage nach den Verhältnissen, nach der Berechtigung dieser Verhältnisse und nach der Legitimation dieser Form der Machtausübung. Alle anderen Figuren träumen lediglich von einem besseren Leben, arrangieren sich dann doch in den Umständen wie z.B. Maximilian Scheidts berührender Luke. Und dieser eine, Red, muss getötet, ausgelöscht werden. Red nimmt diese Aufgabe, die Systemfrage zu stellen, an. Dabei stellt er sich auch seiner Angst vor der Größe der Aufgabe - und das zeigt Florian Steffens auch mit starker körperlicher Präsenz überzeugend. Vielleicht ist es ja gar nicht so wichtig, lieber Herr Schomacker, diese zentrale revolutionäre Frage zu beantworten, wie einzelnes Gefühl und Gemeinschaftsgefühl in einen einzigen Menschen hineingehen. Der Prozess der Auseinandersetzung ist an sich bedeutsam.
Erwähnt sei noch Maike Jüttendonk als Star, eine Rolle, die ihr wieder einmal Gelegenheit gibt, die Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten überzeugend zum Klingen zu bringen.
Stars Flucht aus der Armut und ausweglosen Enge der häuslichen Verhältnisse mündet in neuer Ausbeutung in der Prostitution. Ein kurzer Moment des Glücks an der Seite Reds ist ihr gegönnt, beschwörend will sie ihn festhalten. Das Glück jedoch zerbröselt im Schwarz der Kohle. Jüttendonk verkörpert großartig alles in einer Person: Selbstbewusstsein, Hoffnung, Schmerz, Verzweiflung... Eine kräftige Frau, die wie die beiden Mütter (Regine Andratschke und Carola von Seckenddorff) an den gesellschaftlichen Bedingungen zerschellt.
Wenn dieser Posten einen Sinn macht, dann doch denn, dass ich als Außenstehender, der nicht da sein konnte, erfahre, ob es sich um relevantes, lebendiges Theater handelt. Da wir im deutschen Stadttheater kein System des Autorentheaters haben wie in den USA, ist es maßgeblich, was Regisseur, Bühnenbildner und vor allem die Schauspieler aus dem Text machen. Das hätte mich interessiert und ich denke, es ist der Job des angereisten Herr Schomacker, davon wendigstens einen Hauch zu vermitteln.
Ich werde es mir auf jeden Fall anschauen, bin bisher selten in Münster enttäuscht worden. Schon alleine wegen der Thematik, die mich persönlich angeht. Das Schauspielhaus Bochum, im Herzen des deutschen Bergbaus gelegen, kriegt es ja nicht hin, solche Themen und Stücke auf den Spielplan zu stellen.
Und genau das passiert in der Arbeit von Frank Behnke.Intensiv und spannend.