Terror - Das Deutsche Theater Berlin öffnet mit Ferdinand von Schirachs Mega-Nachspielschlager in der Uraufführungs-Regie von Hasko Weber die "Schuldig"-Tür
Im Namen des Volkes
von Dirk Pilz
Berlin, 3. Oktober 2015. Folgendes ist von der Berliner Verhandlung zu berichten: Der Angeklagte ward freigesprochen, die Sitzung nach zwei Stunden geschlossen, das Publikum "mit Dank" aus seiner "Pflicht entlassen". Und wie ging's drüben in Frankfurt aus, wo derselbe Fall zeitgleich zur Entscheidung vorgelegt wurde?
So oder so, der Witz bleibt sich gleich: Das Publikum darf Richter spielen und das Theater sich darauf freuen, dass die Sach' jedes Mal anders endet, ohne dass hierdurch Stress entstünde – der zum Abspielen vorgelegte Text sieht brav zwei Schlüsse vor. Gleich, ob der Richtspruch also schuldig oder unschuldig lautet: Das Theater hat keine Spiel-, Denk- oder sonstigen Nöte zu befürchten. Es ist mit diesem Text immer auf der sicheren, gefahrlosen Seite.
Auch deshalb ward ihm die Ehre einer Doppel-Uraufführung zuteil, der 14 weitere Inszenierungen an deutschsprachigen Stadtbühnen in dieser Saison folgen. Nach Zahlen gerechnet ein Erfolgsdrama.
Darf man das?
Da hat also der Jurist und Literaturverfasser Ferdinand von Schirach sein erstes Theaterstück erschaffen, es "Terror" genannt und sich was Feines für die schmerz- und folgenlose Zuschauerbeteiligung ausgedacht: Es wird Gericht gespielt. Verteidigerin, Staatsanwältin, die Vorsitzende, zwei Zeugen und der Angeklagte treten auf. Sie reden. Sie hören zu. Plädoyers werden gehalten. Dann ist Pause. Dann Hammelsprung. Man darf entweder zur Tür mit dem "Schuldig"-Schild oder mit dem "Unschuldig"-Schild hindurch. Niedere Bühnenangestellte zählen ordnungsgemäß durch, die Vorsitzende verliest das Urteil. Das war's.
Verhandelt wird ein klassischer Fall aus dem reichen Feld der moralischen Dilemmata. Ein Major der Luftwaffe hat entgegen dem ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten eine Passagiermaschine abgeschossen, die von Terroristen entführt und offenbar in ein vollbesetztes Fußballstadion gesteuert werden sollte. Er hat 164 Menschen ermordet, um das Leben von 70.000 zu retten. Durfte er das? Soll man Leben gegen Leben aufrechnen?
Bei Ferdinand von Schirach wird daraus ein ungemein aufgeräumtes, beflissenes Rechenschieberdrama, Abteilung Häkelkunst. In keimfreier Ordnungshaftigkeit werden die konkurrierenden Prinzipien (hier das Gewissen, dort die Verfassung) herausgearbeitet, als wär's eine Proseminararbeit. Es wird ausgiebig aus den Bescheiden des Bundesverfassungsgerichts zitiert, ein bisschen Kant beigesteuert, ein bisschen ausgeschmückt. Viel wird umständlich erklärt, viel hölzern referiert. Statt Literatur eine Lehrmaterialsammlung. Statt die philosophische, historische, metaphysische, psychologische Dimensionen des verhandelten Dilemmas aus- oder wenigstens anzuspielen, nichts als steriles Lehrsatztum.
Interessant dabei, dass fortwährend von Würde die Rede ist, vom Willen der Verfassung, Menschen nie zu Objekten herabzustufen, die Figuren aber durchweg wie Fall-Beispiele behandelt werden. Menschen sieht dieses Drama nicht vor, allenfalls Rechtssubjekte.
Die Kunst des Achselzuckens
Was soll da eine Regie? Hasko Weber und sein Dramaturg Ulrich Beck haben dankenswerterweise gekürzt. Es ist auch so noch genug Aufsagestoff. Wenn Almut Zilcher vom Rang herab als Vorsitzende Timo Weisschnur als Angeklagten vernimmt, hockt er an einem nackten Tischlein und knetet die Hände. An der hohen Wand dahinter thront rechts Franziska Machens als Staatsanwältin, die Hand stützt den Kopf. Links Aylin Esener als Verteidigerin, die Augen wandern hinauf zur Vorsitzenden und hinunter zum Angeklagten. Warten auf den nächsten Wortbeitrag.
Sie tun alle, was ihnen zu tun übrig bleibt, um halbwegs unbeschadet durch die Szenen zu kommen. Da ein kleiner Schrei-Ausraster, dort eine Prise Kenntlichkeit (mit Dank an Helmut Mooshammer, einen der beiden Zeugen), hier ein bisschen pseudoauthentisch weinen, da mal an die Schultern fassen. Und hin und wieder ein paar Videoeinspieler: Flugzeuge, Raketen, Himmel.
Die Regie wirkt, als ließe sich die Vorlage allenfalls achselzuckend abwickeln. Die Schauspieler achselzucken hinterher. Was bleibt ihnen auch anderes übrig. "Terror", das Stück, verbiedert sein Thema zum Frontalunterricht; "Terror", die Inszenierung, klappert ihm gelangweilt hinterher. Was sagt es da noch, wie das Urteil ausfällt? Ich bin durch die "Schuldig"-Tür gegangen.
Terror
von Ferdinand von Schirach
Uraufführung
Regie: Hasko Weber, Bühne: Thilo Reuther, Kostüme: Camilla Daemen, Video: Daniel Hengst, Licht: Heimhart von Bültzingslöwen, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Almut Zilcher, Timo Weisschnur, Aylin Esener, Franziska Machens, Helmut Mooshammer, Lisa Hrdina.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause
www.deutschestheater.de
Mit einer "Direktheit des um postmoderne Trends unbekümmerten Theater-Novizen" habe von Schirach ein altmodisches Drama verfasst, das es erlaubt, "die Bühne als moralische Anstalt zu nutzen, in der die Gesellschaft ihre drängenden, ungelösten und vielleicht nicht lösbaren Fragen von allen Seiten beleuchtet." So lobt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (5.10.2015), kritisiert aber auch: "Die große Kunst des Prosa-Autors von Schirach, die Lakonie und zynismusfreie, sozusagen warmherzige Unsentimentalität seiner Erzählungen, weicht hier einem Rechthabersound: Die Bühnenfiguren neigen zum ausgiebigen Dozieren im Frontalunterrichtsstil und freilaufender Juristen-Rhetorik." Webers Uraufführung verstärke die Schwächen des Textes und setze auf "äußerliche und unnötige Effekt-Huberei".
Unglücklich ist Christian Bommarius in der Berliner Zeitung (5.10.2015) an diesem Abend vor allem mit dem Stück (die Inszenierung spricht er von Schuld frei): "Das ist kein Theaterstück, es ist noch nicht einmal ein Prozess. Procedere bedeutet 'vorwärts gehen', und eben das ist auch das Ziel eines jeden Zivil- oder Strafprozesses – das Voranschreiten auf dem Wege richterlicher Erkenntnis, bis die 'prozessuale Wahrheit' gefunden ist und das letzte Wort, das Urteil, gesprochen werden kann. Aber in von Schirachs 'Terror' gibt es keine Bewegung, von einer Vorwärtsbewegung ganz zu schweigen."
Seine "Genre-Ziele" erfülle Schirachs Stück "tadellos", befindet Christine Wahl im Tagesspiegel (5.10.2015). "Sachkundig wird die spontane Anwaltschaft für den Angeklagten an ihre juristischen wie moralphilosophischen Belastungsgrenzen geführt, Anleihen bei Immanuel Kant inklusive: ein Gedankenexperiment in nüchtern-analytischem Ton – auf welchen Webers Uraufführung allerdings nur bedingt vertraut." Die Inszenierung emotionalisiere und bebildere die Perspektive des Protagonisten in den Videoprojektionen "teilweise arg naiv".
Regisseur Hasko Weber "versucht angestrengt, das Stück aus der Heute-hauen-wir-auf-die-Diskutierpauke-Zone von Schirachs zu holen und fürs Theater zu retten", berichtet Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5.10.2015). Aber das will in den Augen der Kritikerin nicht gelingen. Die "Schauspieler sind aufgedreht, legen sich unheimlich ins Einfühlungszeug, spüren Puls und Zwang des zeitaktuellen Themas. Aber sie haben kein dramatisches Gegenüber und keine Dialogpartner, nur behäbige Amtssprache, populistische Argumente, überkonstruierte Erwägungen, schablonenhafte Chargen."
Die kunst- und literarisch ambitionslose "brave juristische Sachlichkeit" hält André Mumot dem Stück im Deutschlandradio (3.10.2015) zugute. "Zuhören muss man, Diskurse aushalten, Komplexitäten, die man dröge, auch durchaus dann und wann banal finden kann, die es sich aber lohnt zu durchdenken." Die Inszenierung fällt dem Kritiker als "effekthascherisch", insbesondere durch "überlaute und unnötige suggestive Videosequenzen" negativ auf.
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http://www.berliner-zeitung.de/kultur/-terror--von-ferdinand-von-schirach-am-deutschen-theater-das-ist-kein-theaterstueck--es-ist-noch-nicht-mal-ein-prozess,10809150,32079478.html
Ich glaube hier gilt der Vorsatz. Koch hat das Flugzeug vorsätzlich abgeschossen. Er hat sich außerdem einem Befehl widersetzt. Das wäre dann sogar noch anders zu verhandeln, nämlich vor einem Militärgericht. In Amerika wäre das mit Sicherheit der Fall, wo doch auch US-amerikanisches Recht hier von der Verteidigung ins Feld geführt wurde. Aber das ist in meinen Augen nur Kosmetik. Es geht, und das negieren fast alle Kritiken, um die verfassungsmäßig garantierten Rechte eines jeden Bürgers. Die hat er nicht verwirkt, wenn er in einem Flugzeug zur Waffe eines Terroristen gemacht wird. Der Freispruch ist außerdem nur einer zweiter Klasse. Und daran erkennt man die Rechtsauffassung von Ferdinand von Schirach, der in seinem Essay "Die Würde des Menschen ist antastbar" (im Programmheft zu lesen) auf die Unterhöhlung dieser Rechte durch die USA und auch der Bundesregierung hinweist. In der Hinsicht hat Christian Bommarius von der Berliner Zeitung auch Unrecht. In dem Essay ist vom Fall Gäfgen (angedrohte Folter) indirekt die Rede.
Hier nochmal ein Auszug: "Die Anhänger des Feindstrafrechts, der Polizist, der Folter androht, Barack Obama mit seinem Tötungsbefehl und Angela Merkel in ihrer Freude - sie alle irren sich. Mit den Rechten des Menschen ist es nämlich in Wirklichkeit wie mit der Freundschaft. Sie taugt nichts, wenn sie sich nicht auch und gerade in den dunklen, in den schwierigen Tagen bewährt. Unser Konsens, dass unsere Regierungen niemals bewusst einen Rechtsbruch begehen dürfen, die Grundlage unserer Verfassungen also, wird jetzt dauernd verletzt: Kriegsdrohnen töten Zivilisten, Terroristen werden gefoltert und rechtlos gestellt, unsere E-Mails und SMS werden von den Geheimdiensten gelesen, weil wir unter Generalverdacht stehen. Das alles geht zwar nicht von unserer Regierung aus, und das Recht verlangt von niemanden etwas, was er nicht leisten kann. Natürlich kann die Kanzlerin Guantanamo nicht auflösen oder die NSA abschaffen - ihren Eid hat sie also nicht gebrochen. Aber das allein reicht nicht, die Aufgabe der Regierung geht viel weiter. Wenn Politiker nicht mehr alles tun, um die Verfassung zu schützen, wenn sie den fremden Rechtsbruch mittragen und wenn er manchmal sogar Freude in ihnen auslöst, stellt das uns selbst in Frage. Die westliche Welt, ihre Freiheit und ihr Selbstverständnis, wird nicht an Autobahnmaut, Steuererhöhung oder Pflegeversicherung entschieden - sie entscheidet sich am Umgang mit dem Recht."
Hier ist der Text in Gänze nachzulesen: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-112638562.html
Dazu muss man sich nun als Bürger eines sich demokratisch nennenden Staates verhalten, und deshalb wäre dieses Gerichtsspiel, wenn auch nicht wirklich ausgereift, und nun wahrscheinlich auch noch zum Event verkommen und bald verfilmt, doch eigentlich ganz wichtig.
Hier meine weiteren Ausführungen: http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/urauffuehrung_ferdinandvonschirach_terror.php
Ich habe übrigens wie Dirk Pilz auch mit schuldig gestimmt, allerdings nicht aus Gnatz unterfordert worden zu sein, sondern aus meiner Einstellung zum Grundgesetz.
Militärgerichte gibt es hierzulande keine mehr. Gott sei Dank. Auch der deutsche Soldat unterliegt seit inzwischen sieben Jahrzehnten der zivilen Gerichtsbarkeit. Und bei der Frage Mord/Totschlag spielt der Vorsatz keine Rolle - auch der Totschläger kann vorsätzlich handeln. Was er hier getan hat: Lars Koch wäre wegen Totschlags zu belangen, weil die in § 211 StGB genannten Mordmerkmale (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, sonstige niedrige Beweggründe, Verdeckung bzw. Ermöglichung einer Straftat) nicht gegeben sind. Schirach liegt schlicht falsch. So er denn nicht aus dramaturgischen Gründen das "größere Kaliber" gewählt hat.
Gut, da war ich wohl nicht ausreichend informiert. Den Tatbestand des Vorsatzes gibt es allerdings schon, sonst wäre es nicht mal Totschlag. Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen, wobei Wollen hier wohl ebenfalls strittig ist. Letztendlich hat da der Richter das letzte Wort. Es scheint tatsächlich etwas konstruiert, hängt aber wohl auch mit der Debatte über die staatlich angeordnete Tötung von Menschen im Falle einer Flugzeugentführung zusammen. Übrigens greift von Schirach auch das Problem auf, dass der damalige Verteidigungsminister Jung im Fall X nur Piloten einzusetzen wolle, die auch ohne klare gesetzliche Grundlage den Abschussbefehl befolgen würden. Das alles ist im Zusammenhang mit der Debatte über das Luftsicherheitsgesetzes sogar im Bundestag diskutiert worden. Die Opposition sprach in diesem Fall eben auch von gezieltem Mord. Tötung von wehr- und arglosen Menschen, auch das fällt unter den Heimtückebegriff. Das könnte hier die Grundlage für die Mordanklage sein, obwohl der Fall doch noch etwas anders liegt. Die Vernehmung des Luftraumsicherungsoffiziers im Stück seitens der Richterin zielt ja in diese Richtung, ob der Pilot einen Befehl zum Abschuss hatte. Hatte er nicht, also würde der Mordvorwurf vermutlich nicht haltbar sein. Das bekommen wir aber nur raus, wenn der Pilot in einer der Vorstellungen mal schuldig gesprochen wird, oder ist die zweite Urteilsbegründung irgendwo nachlesbar? Allerdings dürfte in jedem Fall die Freispruch-Begründung des „übergesetzlichen Notstands“ spätestens wieder vom Verfassungsgericht kassiert werden.
@8
Es geht nicht um Freundschaft oder um einen friedvollen Umgang miteinander unter Strafandrohung. Ich muss niemandes Freund sein um dessen Menschenwürde zu achten. Wenn ich es aber aus bestimmten Gründen, die mir logisch erscheinen, nicht tue, muss ich zumindest mit der rechtlichen Konsequenz rechnen und kann mich nicht in jedem Fall auf übergesetzlichen Notstand berufen.
(Lieber Herr Stefan,
dann verstund ich Sie miss. Ich ändere das.
jnm)
DAS ist für mich nach wie vor der Stand der Dinge in der Frage der Behandlung des GG Art usw. . Und da hat Herr von Schirach dem absolut nichts hinzugefügt. Literarisch besser, also vor allem kürzer und prägnanter!, ausgedrückt hat er es sehr vermutlich auch nicht. Ich würde also zunächst erst einmal über meine damaligen - wenn man vom privaten Umlauf absieht - unveröffentlicht gebliebenen Sätze sprechen wollen. Das betreffende Stück enthält auch eine Art Paragrafenanordnung. Da heißt es unter "2 Logischer Vermerk" an erster Stelle: "DAS DRAMA ist die Summe der Möglichkeiten seiner realisierten oder ausgebliebenen Inszenierung." Und mehr gibt es zur Gattung des Dramas als literarturwissenschaftliche Definition für mich bis auf den heutigen Tag immer noch nicht zu sagen.
Was nun die Gattung der Gerichtsdramen betrifft, ist es, wenn sie sehr gut sind!, nahezu typisch, dass sie viel und häufig innerhalb kurzer Zeit gespielt werden und sich dann in der Regel schnell erschöpfen. Weil die - allein die räumlichen! schon, Spielmöglichkeiten in ihnen naturgemäß begrenzt sind. Große Gerichtsdramen, die man nicht müde wird zu schauen, selbst wenn sie zwischenzeitlich zum Film geworden, sind jedoch sehr selten. Und das muss sich also erweisen, ob "Terror" von von Schirach dazugehört. Und er hat ja alle Sicherheit der Welt, dem gelassen entgegen zu warten.
(das ist inzwischen geschehen - jnm).
Gut in einem Nebensatz kann man darüber diskutieren und auch über die Verfassung, die Demokratie und das Verfassungsgericht.
Will ich das gerade jetzt, wo sich rechte Gesinnung und Angst paaren? Soll das Bild des terroristischen Islam anhand eines möglichen, aber extrem konstruierten Beispiels nun auch noch die Bühnen des Landes füllen? Warum nicht 16 Mal "Fear" an diesen Bühne?
Das wäre mutig.
Und da gibt es ja auch noch einen wunderbaren Kriminalfall, der kunst- und bühnenwirksam ist... Karamasow an der Volksbühne. Das hat auch etwas mit inneren Werten zu tun. Aber da muss man sich gewaltig anstrengen und muss am Ende nicht auch noch einen Hammelsprung vollziehen.
Aber wir haben es an unseren Theatern ja lieber einfacher und direkt.
Am Ende ist "Fear" von Falk Richter aufrichtiger, aktueller und politisch korrekter als dieses Mitmachstück von Schirrach.
Das ist vielleicht unwahrscheinlich, aber darum geht es ja nicht...
Der weitere Theaterabend besteht aus der fiktiven Gerichtsverhandlung. Der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm lobte im Nachgespräch, dass das Stück aus juristischer Sicht insgesamt recht sorgfältig argumentiere, in einem realen Strafprozess die verfassungsrechtlichen Exkurse aber stärker in den Hintergrund treten würden. Grimm legte den Finger in eine Wunde dieses Abends: die Schlussplädoyers von Staatsanwältin (Franziska Machens) und Verteidigerin (Aylin Esener) sind bei Schirach zu lehrbuchhaft geraten, er habe all die Fußnoten zu Kant, etc. regelrecht mitgehört.
Unter den Hauptrollen gibt es in diesem Stück nur eine facettenreichere Figur, die mehr als Thesenträger ist: den Angeklagten Lars Koch. Timo Weisschnur spielt den Kampfpiloten, der oft militärisch-zackig antwortet, aber kein Rambo-Typ ist. Er fühlt sich einer Elite zugehörig (in Deutschland gebe es weniger Kampfpiloten als Vorstandsvorsitzende) und zeigt sich in den längeren Rechtfertigungspassagen als reflektierter Soldat, der vor dem Entschluss zum Abschuss lange mit sich gerungen hat.
(...)
Im Gegensatz zur Mehrheit der Zuschauer, die auf Freispruch entschied, plädierte Grimm für „Schuldig“, dem Angeklagten müsste jedoch ein strafmildernder Rabatt gewährt werden. Vorbild könnte hier das Urteil des Frankfurter Landgerichts im Fall des Frankfurter Polizeipräsidenten Daschner sein, das der ehemalige Verfassungsrichter als „weise“ lobte.
Ausführlich befasste sich Grimm mit der Kriegsrhetorik: Ebenso wie der französische Staatspräsident Francois Hollande argumentiert auch die fiktive Verteidigerin im Stück „Terror“, dass wir uns im Krieg gegen den internationalen Terrorismus befinden. Grimm warnte davor, den IS und andere Gruppen dadurch aufzuwerten. „Das Wort von den „asymmetrischen Kriegen“, eine These des deutschen Clausewitz-Experten und Politik-Professors Herfried Münkler, insinuiert, dass Verbrecherbanden, die wie Krieg führende Parteien auftreten, auch auf der Seite des Angegriffenen, des Rechtsstaates, alle Regeln außer Kraft setzen. Das dürfe man nicht zulassen,“ warnte Grimm bereits vor einem Jahrzehnt, nachdem George W. Bush den „war on terror“ ausgerufen hatte.
Kompletter Text: http://kulturblog.e-politik.de/archives/26881-theater-in-zeiten-von-terror-und-buergerkrieg-ferdinand-von-schirachs-terror-im-deutschen-theater-der-kluegste-mensch-im-facebook-im-ballhaus-naunynstrasse.html
Auf der Bühne aber: RICHTERIN BARBARA SALESCH. Die Richterin mit ernster Stimme, sie ermahnt manchmal, stellt dumme Fragen. Die Staatsanwältin Franziska Machens im Minirock (ihre Beine spielten in dieser Inszenierung eine tragende Rolle) auf High-Heels lieferte sich mit der Verteidigerin Aylin Esener einen heftigen Zickenkrieg – eben wie auf RTL. Grenzenlose Fremdscham von der ersten bis zur letzten Minute. Ein Höhepunkt: Franziska Machens "rastet aus" weil sie in ihrem Plädoyer unterbrochen wird: Ihre Stimme überschlägt sich Mickey-Mouse-like und sie heult "Oh menno, nu lass mich doch mal ausreden" oder so ähnlich. Das Publikum um mich herum ist begeistert! Hihi :-) Das war fast schon einen Szenenapplaus wert. "klatsch"
In dem "Stück" verwurstet der Verfasser einen Spiegel Artikel aus dem Jahr 2013 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-112638562.html), in dem alle auf der Bühne präsentierten Ticking-Bomb-Szenarios bereits beschrieben wurden. Es gibt etwa 10 verschiedene Dilemma-Situationen, die Berliner aus Ethik-Lehrbüchern für die 8. Klasse ("Fair Play") kennen. "Würden Sie einen dicken Mann von einer Brücke schubsen, um einen Zug zu stoppen, in dem 160 Fahrgäste sitzen, die andernfalls gegen eine dicken Steinklotz bumsen?!" Was denken Sie dazu, hm? Der Utilitarismus-Porno geht mit einem ekelhaften Soldateska-Kitsch einher, an dem sich auch der Großvater des Autors von "Terror" aufgeilte. (...) Schauen sie es sich einfach nochmal unter diesem Aspekt an.
Das Stück endet (siehe oben) in jeder Aufführung in allen Städten damit, dass die Mehrheit des Publikums einen offensichtlich kriminellen Draufgänger, der 160 Leute abballert, angeblich um seinem Eid aufs Vaterland treu zu bleiben von aller Schuld freispricht. Ganz klar für alle: Das Verfassungsgericht hat sich geirrt, Schäuble soll den Terror-Vogel abschießen! Das Publikum bekam, was es verdiente.
Eine ganz dummdreiste kulturindustrielle Produktion neuen Stils, nüchtern kalkuliert von Juristen und anderen geistlosen Funktionären, die immer ausverkauft ist, trotz all der schlechten Kritik! Wegen all der Kritik? Dieses Stück trotzt der Lügenpresse.
Ansonsten frage ich mich, ob in Berlin ein anderes "Terror"-Stück als in Frankfurt läuft. Reese hat dort auf alle Video-Kniffe, Hysterien von RTL und so weiter verzichtet - und ich hatte seit Längerem mal wieder einen Zwei-Stunden-Abend, bei dem ich definitiv gar nicht auf die Uhr geguckt habe.
Das an den Theater-Abenden niemanden "Für" oder "Gegen" den Soldaten entscheidet, sondern nur eine Aussage über die eigene Bereitschaft trifft zu töten ist wohl den Wenigsten bewusst.
Schade auch, dass sich ein erfahrender Regisseur, wie Hasko Weber für eine solche Inszenierung hergibt. Von den Ressourcen ganz zu schweigen, die da verbraten werden, wenn mir dieser Einwand noch erlaubt ist.
Avantgarde ist ja nun alle male nicht....
Aber vielleicht macht Terror ein neues Genre auf, das unterhaltende Lehrstück. Gerne auch auf Pro Sieben oder Sat 1, oder auf ARD....