Drei Farben Weiß

von Kai Bremer

Osnabrück, 29. Oktober 2016. Bei der Uraufführung von Stefan Hornbachs "Über meine Leiche" in Osnabrück erinnert man sich schon nach wenigen Momenten unweigerlich an Rimbauds Sentenz "Ich ist ein Anderer". Spätestens nämlich, wenn klar wird, dass Regisseurin Marlene Anna Schäfer dem schlaksigen, in einem weinroten Pullover steckenden Janosch Schulte als krebskranken Friedrich eine Figur als Alter Ego, gespielt von Thomas Halle, zur Seite stellt. Immer wieder spricht auch Halle Passagen von Friedrich, bevorzugt die selbstreflexiven über die Menschen und das Leben an sich. Optisch unterstützt wird das, wenn Halle sein graues Hemd zeitweilig gegen ein T-Shirt in der Farbe von Friedrichs Pulli eintauscht.

Barocke Doppelungen

Ihr Spiel und das der drei anderen Darsteller, Marie Bauer als Jana, Christina Dom als Mutter und Oliver Meskendahl als Arzt, findet in fünf rechteckigen, weißen Rahmen statt. Sie sind fluchtpunktmäßig auf ein mattweiß leuchtendes Quadrat konzentriert (Bühne und Kostüme Christin Treunert). Das wirkt, als habe man eine Barockbühne von allem Zierrat und Prunk für eine Inszenierung von Rezas "Kunst" befreit, weiß getüncht und just so ausgeleuchtet, dass das Weiß der Rahmen in wohldosierten Schattierungen zur Geltung kommt. Das Spiel der fünf Darsteller in dieser Anordnung wird regelmäßig gedoppelt oder gar vervielfältigt: Wenn etwa der Arzt dem jungen Friedrich wie ein Clown vorkommt, trägt der Mediziner eine rote Kugelnase oder schreitet wie Otto Waalkes über die Bühne.

leiche4 560 Uwe Lewandowski uLeben lernen, Sterben lernen: Marie Bauer als Jana, Janosch Schulte als Friedrich in "Über
meine Leiche" © Uwe Lewandowski

Schäfers selbstbewusster Umgang mit Hornbachs Drama über die Krebserkrankung eines jungen Mannes, mag überrascht haben. Der Schlussapplaus dieses nicht nur mit dem 2. Osnabrücker Theaterpreis ausgezeichneten, sondern auch bei den Autorentheatertagen am DT Berlin prämierten Stücks fiel zwar wohlwollend lang, aber nicht gerade frenetisch aus. Das lag sicherlich nicht an einigen Texthängern, sondern eher daran, dass Schäfer empathisches Spiel nur begrenzt zugelassen hat.

Spiel des Lebens

Es gibt Momente in dieser Uraufführung, die anrühren. Etwa, wenn die Mutter versucht, die Verzweiflung über die Erkrankung des Sohns zu begreifen und daran doch scheitert. Christina Dom, über deren Rückkehr ans Osnabrücker Theater sich die Zuschauer, die sie von früheren Engagements kennen, merklich freuen, schildert als Friedrichs Mutter seine Kindheit, seine immer schon schwächliche Konstitution und seine Eigentümlichkeiten. Schließlich steht sie mit hochrotem Kopf und Tränen erfüllten Augen vor dem Publikum, ehe sie sich verzweifelt abwendet.

Leiche1 560 Uwe Lewandowski uWelt steht Kopf: "Über meine Leiche" © Uwe Lewandowski

Doch solchen Szenen lässt Schäfer nur bedingt Raum. Immer wieder durchbricht sie die in Hornbachs Text vorhandenen empfindsamen Momente, indem sie eine Bildsprache entwickelt, die den vermeintlichen Fluchtpunkt der Handlung (erliegt Friedrich seiner Erkrankung oder nicht?) wie des Bühnenbilds durchbricht. So friert sie in einer Szene Bauer und Meskendahl, beide quer auf dem Boden liegend, in einer Haltung ein, als würde sie sitzen und er stehen, drehte man die Bühne um 90 Grad. Auf diese Weise ufert die Bildsprache der Inszenierung immer weiter aus und findet so eine Ästhetik, die die Krebserkrankung in Friedrichs Innerem versinnbildlicht. Das ist durchdacht, aber auch artifiziell schwulstig.

Allegorie auf Krankheit

Dadurch kompensiert die Aufführung einige Schwächen des Stücks. Die Mutter und der Arzt etwa sind viel zu stereotyp, um der Hauptfigur Friedrich Reibungsfläche zu bieten. Der überraschend glückliche Ausgang der Krankengeschichte ereignet sich dermaßen undramatisch, dass zukünftige Inszenierungen vielleicht sogar versucht sein werden, ihn zu streichen. Angesichts dessen ist Schäfers Entscheidung für diese so abstrakt-barocke (so es denn sowas geben kann) Inszenierung nur plausibel.

Das Problem ist, dass in Hornbachs Text die gesunde, aber todessehnsüchtige Jana nicht ist, was sie zu sein scheint. In Schäfers Inszenierung ist Jana eine konkrete Figur, eine ehemalige Mitschülerin, die Friedrich früher verachtet hat, ihn im Verlauf der Erkrankung aber umgarnt und ihn manchmal sogar zu lieben scheint. Hornbach aber hat sie nicht nur als das, sondern als Allegorie der Krankheit angelegt, als etwas Verrückt-Anderes, das immer mehr in Friedrichs Leben eingreift. Das wird bei Hornbach erst zuletzt deutlich und macht den Text stark. Die so bildreiche Inszenierung findet genau dafür keinen Ausdruck. In ihr ist Er ein Anderer, während in Hornbachs Text Sie eine Andere ist. So bescheuert heteronormativ das klingt: Das geht schlicht nicht zusammen.

Über meine Leiche
Uraufführung
von Stefan Hornbach
Regie: Marlene Anna Schäfer, Bühne, Kostüme: Christin Treunert, Dramaturgie: Marie Senf.
Mit: Marie Bauer, Christina Dom, Thomas Halle, Oliver Meskendahl, Janosch Schulte.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.theater-osnabrueck.de


Mehr zu Stefan Hornbach auf dem nachtkritik-Festivalportal des Heidelberger Stückemarkts 2016, zu dem das Stück eingeladen war. Hornbach spricht im Video auch selbst über seinen Text.


Kritikenrundschau

Schäfer habe eine luzide Bebilderung mit wechselnden Erzählhaltungen und Textformen für den komplexen Text gefunden, schreibt Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (31.10.2016). Die Schauspieler treffen ziemlich genau Hornbachs liebevoll-mokanten Erzählton. "Im Witzigen und Galgenhumorigen blitzen jederzeit Wut, Aufbegehren und Angst vor dem Unbekannten auf". Man gehe mit einer Frische zu Werke, die das schwere Thema staunenswert leicht macht. Fazit: "Stück und Inszenierung gelingt es, Tragisch-Schweres leicht und plausibel zu erzählen – großartig."

 

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