Heimat Reloaded - Im HAU Berlin lässt Hans-Werner Kroesinger das Postfaktische weg
Identität ist die neue Heimat
von Sophie Diesselhorst
Berlin, 10. Dezember 2016. Gerade als es langweilig wird, wird es interessant. Gerade als man begriffen zu haben meint, dass dieser Abend ein weiterer dieser ehrenwerten Kroesingers ist, die einen "nur" mit Argumentationsstoff versorgen; die man durchleiden muss, um anschließend das behandelte Thema in eigenen Diskussionen über die neue Karriere von "Volk" und "Heimat" (wieder) zu einem spannenden zu machen. Gerade als die zig-te Spielidee nur auflockernd anskizziert wird, das Theater schon wieder absäuft, passiert etwas Bemerkenswertes.
Und zwar betreten wir sozusagen den blinden Fleck der Diskussion über den "Schutzraum Theater", die auch auf nachtkritik.de in den letzten Wochen hitzig geführt worden ist, und sitzen auf einmal in "vertrauter Runde" mit vier Vertreter*innen der Identitären Bewegung. Sie klären uns ganz herzlich zugewandt über ihre Weltanschauung auf, als wären wir bei ... vielleicht bei einem "Kamingespräch" einer politischen Stiftung (plant die AfD eigentlich schon eine? Wer wäre da Namenspatron?). Hoppla.
Patriotisches Greenpeace
Da geht es zunächst um das Negative, von dem man sich abstoßen wolle speziell in Deutschland und Österreich, und zwar die "Ideologische Verstrickung", die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von einem Rassen- in einen Schuldwahn habe kippen lassen und den "Ethnomasochismus", der sich daraus entwickelt habe. Mit Rassismus habe das allerdings nichts zu tun, im Gegenteil, die "Vielfalt der Kulturen" halte man doch hoch: "Ich fahre ja in den Urlaub woandershin, um mir mal einen anderen Wind um die Nase wehen zu lassen." Immer zielgerichteter wird das Gedankengut der Identitären nach potentiell Anschlussfähigem durchforstet für die, die sich für Hasskommentare im Internet noch zu fein sind – bis hin zur untypisch anbiedernden Selbstbeschreibung als "patriotisches Greenpeace".
Being Identitär
In seiner Inszenierung von Michel Houellebecqs Unterwerfung am DT Berlin hat Stephan Kimmig im Frühjahr etwas scheinbar Ähnliches gemacht wie Hans-Werner Kroesinger hier – als er minutenlang Werbevideos der französischen "Génération Identitaire" einfach laufen ließ. Dieses "Guck mal, der Feind!" funktionierte durchaus als Provokation, aber Kroesingers "Kenne den Feind" ist im Unterschied dazu keine billige. Das liegt einerseits daran, dass "Heimat Reloaded" es sich natürlich nicht versagt, eine eigene politische Haltung zu artikulieren – am deutlichsten im Rahmen eines kleinen Exkurses über die Abschottungspolitik der EU. Aber auch daran, wie geschickt Kroesinger die "Identitären"-Szene als Schlüsselszene anlegt (Identität ist die neue Heimat!) –, seinen Schauspieler*innen ganz unaufgeregt den Ih-Bah-Rechts!-Automatismus probeweise abtrainiert. Kroesinger arbeitet in dieser Szene ganz ohne distanzierende Überspitzung – im Gegenteil, die Spieler*innen leben in den "identitären" Texten geradezu auf.
Kroesinger schafft es tatsächlich, zu zeigen, dass man den diskursiven Nährboden des president elect Trump auch analysieren kann, ohne das Zauberwort "postfaktisch" zu benutzen. Facebook und die Big Data spielen übrigens auch keine nennenswerte Rolle an diesem Abend.
Verfremdungstechnik
Er fängt damit an, dass den vier Spieler*innen Wörter mit "H" einfallen und sie einzeln und zusammen Assoziationsmuster aus dem Unterbewusstsein auftauchen lassen. Im Folgenden treten sie, immer abwechselnd, auf einen roten Knopf, und ein Zufallsgenerator spuckt Wörter aus dem Themenkomplex "Heimat", die erläutert werden müssen (Heimatschutz, Heimatmusik, Leitkultur, Identität, ...). Als Requisiten haben sie mehrere Tische, auf denen sie unter anderem ein leuchtendes "H", einen Blumenstrauß und kleine Spielzeugtannenbäume illustrativ anordnen. Mit zuverlässigem Schreckschusseffekt platzt die Musik von Daniel Dorsch, Samples aus Heimatmusikfetzen und salvenartigen Beats, in die Ausführungen und "läutet" das nächste Kapitel ein.
Zwischendurch irritiert die Verfremdungs-Taktik des "verunsicherten Sprechens", mit der die Spieler*innen einzelne Phrasen wiederholen wie eine hängengebliebene Platte. Aber klar! Das ist ein Schritt auf ihrem Weg, der klar vorgezeichnet ist, der stellenweise geradezu fasrig offenen Grundstimmung des Abends zum Trotz. Als unterspannte Performer*innen ("Heimat ist für mich erstmal gar keine Kategorie") sind sie anfangs fast nur zweidimensional, irgendwann stehen sie durch ihre Riesenschatten verdoppelt als fast schon vierdimensionale Kunstfiguren vor der weißen Gaze, die das Hintere der Bühne abtrennt, und zum Schluss tanzen und wirbeln sie postfaktisch aneinander vorbei. Auf ihrer Heimatsuche sind sie sich abhanden gekommen.
Heimat Reloaded
von Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura
Regie: Hans-Werner Kroesinger, Dramaturgie: Regine Dura, Sound: Daniel Dorsch, Bühne: Doreen Back und Dominik v. Stillfried, Kostüme: Julia Hartung.
Mit: Bettina Grahs, Lajos Talamonti, Niels Heuser, Sven Walser.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.hebbel-am-ufer.de
"Kroesinger und Dura (…) legen hier einen notwendigen Zwischenruf vor", schreibt Patrick Wildermann im Tagesspiegel (12.12.2016). Mit dem diffusen Versprechen vom Schutze der Heimat lasse sich ja heute auf globaler Ebene Erfolgspolitik betreiben. "Da kann es nicht schaden, mal einen genauen Blick darauf zu werfen, wovon da eigentlich die Rede ist."
"Aus allem Richtigen, das Kroesinger am Heimatbegriff zutage befördert, wuchert sofort das Falsche", schreibt Esther Slevogt in der taz (12.12.2016), denn: "Jede Sehnsucht nach Zugehörigkeit generiert bereits die Ausschlusskriterien, definiert die, die nicht in den Kreis hineindürfen." Wenn der Abend allzu kroesingerhaft ins Pädagogische abklappe, habe er Längen. "Langweilig wird er nie."
"Fleißige Begriffsarbeit, die man sich allein zu Hause vor dem Rechner sicher nicht antun würde – insofern ist es wie immer sehr lobenswert, dass Kroesinger einen öffentlichen Nachdenkraum schafft, vielleicht auch um uns Zuschauer einander vorzuführen, wie schnell wir das Interesse an einem wichtigen Thema verlieren", schreibt Ulrich Seidler in der Frankfurter Rundschau (15.12.2016). Aber die ästhetischen Mittel seien so typisch Kroesinger, dass es fast scheine, "als wäre es wurscht, was man in eine solche Installation zur Inhaltsverbreitung einfüllt".
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Es wird etwas, aber doch wirklich nur geringsfügig, schwieriger, wenn eigene Heimat eine andere ist, als die Heimat der Eltern, die das eigene Zuhause der Kindheit und Jugend bilden. Und nochmal etwas schwieriger, wenn die ästhetische Prägung nicht nur durch Landschaft
erfolgt, sondern sich ästhetisch gebildete erzieherisch in diese Einflüsse der Natur einmischen... Man kann insofern niemals eine zweite Heimat haben, sondern nur diese eine, in der man geboren wurde als wahrnehmendes und aufwuchs. Das ist auch noch eiinmal ein bisschen komplizierter: wenn man woanders geboren wurde als da, wo man dann aufwuchs. Aber nicht unlösbar, denkend und sich erinnernd nachzuvollziehen! Das alles besagt: Heimat und Zuhause KÖNNEN durchaus dasselbe sein. Aber in den allermeisten Fällen bei den allermeisten Menschen, sind es nicht. Sondern zwei unterschiedliche Sachen, die gleich gute Gefühle wecken. Leider werden die nur überaus gern miteinander verwechselt. Es nutzt aber nichts, damit die seltener miteinander verwechselt werden, wenn man Identitäts-Süchtige, die auch nur Sehnsucht nach guten Gefühlen haben wie alle anderen Menschen auch, dafür tadelt oder sie verspottet oder kriminalisiert, wenn sie versuchen, sich durch die Verwirrungen der auch sie beeinflusst habenden Weltwanderungen als Person, die sich selber spüren möchte, durchzufitzeln... (Ariadne wird wirklich zu selten thematisiert im Theater!)
(...)
Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura machten sich bei ihrem neuen Dokutheater-Abend einen Spaß daraus, Statements der Identitären Bewegung darunter zu mischen. Diese Gruppierung tritt sehr smart auf und bezeichnet sich im Stück als „patriotisches Greenpeace“. Die Gespräche der Zuschauer drehten sich anschließend vor allem um diese kurzen Szenen.
Die Idee, Statements der Identitären in eine Inszenierung einzubauen, wird anscheinend langsam zum Trend: Nuran David Calis spielte in seinem Kölner Stück „Glaubenskämpfer“ Videoaufnahmen von zwei jungen Frauen ein, die das Abendland im Krieg mit dem Islam sehen. Auch Stefan Kimmigs „Unterwerfung“-Adaption am Deutschen Theater Berlin spielte mit der Bildsprache und den Slogans der Identitären.
Ansonsten plätschert der Abend gefällig dahin und endet genauso abrupt wie „Space Oddity“ von David Bowie, das mittendrin abbricht. Zurück bleibt nur eine leere, schwarze Bühne.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2016/12/15/heimat-reloaded-hans-werner-kroesinger-und-regine-dura-erkunden-im-hau-3-einen-umstrittenen-begriff/
Zur Frage von Sophie Diesselhorst: Die AfD hat in einer Pressemitteilung im März 2015 angekündigt, dass sie eine parteinahe Stiftung gründen und nach Erasmus von Rotterdam benennen will.
Aber leider hört der Abend auch genau an dieser Stelle auf zu denken und weiter zu fragen. Da kann Daniel Dorsch noch so pseudo-disruptiv Heimat-Liedfetzen mit explosiven Stör-Rhythmen mixen: Am Ende stellt sich ein sanft ermüdender Gedankenfluss ein, der all die disparaten Ausgangspunkte auf das gleiche Ziel zufließen lässt. Die Gewissheiten, das Schwarz und Weiß, die etwa bei den “Identitären” kritisiert werden, kennt der Abend auch. Dass Heimat für jeden etwas anderes bedeutet, dass Heimatbegriffe vielfältig, gegensätzlich, sich selbst und den überkommenen Konzepten gegenüber widerspenstig sind und oft selbst in einem Menschen alles andere sind als homogen, ahnt der Abend auch, es tangiert ihn nur kaum. Und so wird das freundliche Lächeln irgendwann zum selbstgefälligen Grinsen, der wissende Blick zur wohlfeilen Denkverweigerung. Der Heimat-Schmu ist entlarvt, die Arbeit getan. Wenn es doch nur so einfach wäre.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2016/12/18/das-h-in-der-suppe/