#MeToo, das Theaterstück

von Martin Krumbholz

Düsseldorf, 8. November 2018. Türen scheint es nicht zu geben in der graumelierten Box, in der Dorfrichter Adam tagt, nachdem eine böse Nacht hinter ihm liegt: Auf- und Abtritte der Parteien erfolgen auf allen Vieren durch die Unterbühne. Lediglich für den Supervisor, den Gerichtsrat Walter, öffnet sich eine Tapetentür samt Lichtschneise rechter Hand (Bühne: Valentin Baumeister). Adam steht da gerade halbnackt auf einer Leiter am Sicherungskasten, der weit oben angebracht ist; das Licht fällt hin und wieder aus, anders als "der Licht", der Schreiber nämlich, der, picobello gewandet und frisiert, stets zur Stelle ist und am Schluss, nach Adams Fall, folgerichtig dessen Nachfolge antreten wird.

An den Beginn ihrer Kleist-Inszenierung hat Laura Linnenbaum indes eine andere Szene gestellt, einen Traum vielleicht: Der Richter steht in Robe und Perücke in der Bühnenmitte, als sich plötzlich das junge Evchen, aufreizend in Dessous gekleidet, von ihm löst und verschwindet. Eine Männerfantasie? Was genau am Abend zuvor in Evchens Kammer geschehen ist, bevor der Krug zerbrach, erfährt man ja nicht explizit, aber man kann es sich so halbwegs denken. Die Andenken, die Adam davongetragen hat, böse Wunden am kahlen Kopf, sind immerhin sichtbar, sie stammen von der Türklinke, mit der Ruprecht, der zu Unrecht Beschuldigte, den Entfliehenden malträtiert hat.

ZerbrochneKrug4 560 Sandra Then uStefan Gorski als Bräutigam Ruprecht, Florian Lange als Walter, und ganz rechts als Dorfrichter Adam: Andreas Grothgar © Sandra Then

Linnenbaum bleibt dicht am Text, auch wenn sie das Pittoresk-Gemütliche der Vorlage eliminiert und beispielsweise den Ofen durch einen Kühlschrank ersetzt. Kalt und heiß, darauf kommt es im Stück durchaus an, aber die Reihenfolge ist gewissermaßen austauschbar. Im Kühlschrank befinden sich die Würste und der Käse, mit denen der auf einem Fernseher thronende Gerichtsrat bei Laune gehalten wird, ansonsten ist die Bühne kahl wie Adams Haupt. Das Corpus delicti tritt nicht analog in Erscheinung, vielmehr hat Frau Marthe Rull den "schönsten aller Krüge" auf ihrem iPhone mitgebracht. Da können ihn alle recht gut sehen, und zwar vor so gut wie nach dem Zwischenfall.

Paradoxe Parodie

Heinrich von Kleists "Zerbrochner Krug" ist ein überkomplexes Stück. Sündenfall im Paradies, Anti-Ödipus, Inversion der Tragödie ins Komische: Der Chiffren ist kein Ende, und kein Publikum der Welt wird das alles auf Anhieb entschlüsseln können. Daran ist schon der Regisseur der Uraufführung, ein gewisser Herr von Goethe, schier verzweifelt. Er hatte auf mehr Lacher gehofft. Dabei ist das Stück nicht nur sehr komisch, es ist saukomisch, auch wenn die Sau nicht durchs Dorf, sondern nur durch einen Gerichtssaal getrieben wird – der zugleich Krankenstation, Dorfschänke und einiges mehr ist. Im Wesentlichen also: Parodie eines Gerichtssaals; alles ist hier Parodie.

ZerbrochneKrug2 560 Sandra Then uRainer Philippi, Markus Danzeisen, Cennet Rüya Voß, Andreas Grothgar, Florian Lange, Michaela
Steiger © Sandra Then

Wenn das Publikum gewöhnlich nicht so viel lacht, wie es könnte, liegt das an einer latenten Überforderung und wohl auch an der Umständlichkeit eines Verfahrens, dem auch der Gerichtsrat Walter nicht auf die Beine hilft. Wenn Adam ihn mit Limburger Käse und Rheinwein besticht, hat Walter kapituliert. Ohnehin kommt er gegen Adams Witz (der Kleists Witz ist) nicht an. Es bedarf der alten, an den Teufel glaubenden Frau Brigitte (Markus Danzeisen), um das Licht der Aufklärung in die verfahrene Sache zu bringen. Paradox wie so vieles an dieser Komödie.

Das Patriarchat kann es nicht lassen

Laura Linnenbaum aber lässt sich durch nichts schrecken, und für den Gerichtsrat, der seines Amtes mehr schlecht als recht waltet, hat sie eine besondere Volte in petto. Zunächst aber sind die anderen Figuren zu würdigen, der Richter Adam des Andreas Grothgar, dessen gelegentlich überschüssige Performer-Energien gezügelt sind; Michaela Steiger, die der Marthe Rull einen erstaunlich nüchternen Ton schenkt; Rainer Philippi, wunderbar spillerig als Licht; Stefan Gorski glaubhaft empört als Bräutigam Ruprecht; nicht zuletzt aber Cennet Rüya Voß, als Eve zunächst nur eine Randfigur, dann aber mit ihrem großen Monolog plötzlich beeindruckend im Mittelpunkt stehend.

ZerbrochneKrug3 560 Sandra Then uErst droht ihr nur der Zeigefinger, dann erfährt Evchen noch ganz andere Gewalt: Cennet Rüya Voß
© Sandra Then

Vielleicht zieht Laura Linnenbaum das eine oder andere Register zu viel. Entschiedenheit wird man ihr aber dafür nicht absprechen können. Florian Langes Walter ist nicht allein durch seine beschädigte Hand (die dem Klumpfuß des Adam entspricht) eingeschränkt, er erweist sich auch, bei aller oberflächlichen Sachlichkeit und "Vernunft", als im Denken borniert. Offenbar reizt es sehr, diesem selbstzufriedenen Mann die Maske vom Gesicht zu ziehen. Linnenbaum widmet ihm eine Regie-Zugabe: Er gibt der Eve nicht nur einen patriarchalen Kuss, er vergewaltigt sie vor dem Publikum. Damit diesem das Lachen im Hals steckenbleibt, das sich in den zwei Stunden zuvor, immer wieder mal, befreiend Bahn brach.

Der zerbrochne Krug
von Heinrich von Kleist
Regie: Laura Linnenbaum, Bühne: Valentin Baumeister, Kostüm: Ulrike Obermüller, Musik: Justus Wilcken, Licht: Manuel Migdalek, Dramaturgie: Felicitas Zürcher.
Mit: Florian Lange, Andreas Grothgar, Rainer Philippi, Michaela Steiger, Cennet Rüya Voß, Stefan Gorski, Markus Danzeisen.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

 

Kritikenrundschau

Einen "scharfen und wichtigen Debattenbeitrag im zweiten Jahr der 'Me Too'-Bewegung" erlebte Cornelia Fiedler von der Süddeutschen Zeitung (10.11.2018) in Düsseldorf. Die Regie ziehe "sämtliche Humorregister: von absurden Wortpirouetten über Herrenwitze bis zum Slapstick ist alles dabei". Im Auftritt des Gerichtsrats Walter zeige sich ein "System, in dem die Wahrheit mit Beleidigungen übertönt wird, und die Moral mit Gewalt".

"#MeToo trieft aus allen Ecken", berichtet Dorothea Marcus in der Sendung "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur (8.11.2018). "Eine konzentrierte, auf den Punkt gebrachte Inszenierung. Die Figuren bleiben durch den Bau der Kulisse manchmal etwas statisch. Ansonsten werden sprachliche Funken geschlagen, es gibt große Lacher und ein schockierendes Ende. Männer-Bünde überleben und Dorfrichter Adam kommt in tailliertem Anzug wieder ins Amt."

Über eine Komödie mit "karnevalesken Figuren, gewitzten und geistreichen Dialogen" berichtet Thomas Frank in der Westdeutschen Zeitung (10.11.2018). "Bewegend und unerlässlich!" wiederum sei der Monolog von Eve, ebenso das "Finale, bei dem Eve von Walter vergewaltigt wird und Adam einen anderen Posten im Justizapparat erhält. So mutiert Linnenbaums Kleist-Inszenierung zu einem emanzipatorischen Kommentar auf die #MeToo-Debatte."

Laura Linnenbaum habe aus Kleists "vielschichtigem Lustspiel" ein "bitteres Lehrstück zur MeToo-Debatte gemacht – ohne der Gerichts-Farce die mal deftige, mal hintersinnige Komik zu nehmen", schreibt Dorothea Krings in der Rheinischen Post (9.11.2018). Dabei verweigere sie insbesondere mit dem Schluss "jeden Gedanken an Versöhnung". Dies sei "keine feinsinnige Inszenierung, aber die Regisseurin verfolgt ihre Lesart dieses so anspielungsreichen Lustspiels konsequent."

Kommentare  
Der zerbrochne Krug, Düsseldorf: plump
Eigentlich ein leicht-wenn auch klumpfüßiges Stück, gelingt es der Düsseldorfer Regie, den "zerbrochenen Krug" als zähes Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Überstrapaziert lang dauert die Entlarvung des Dorfrichters Adam, überlang der Schlußmonolog der Eve. Goethe hat ihn nicht aus Dummheit weggelassen. Vielleicht wollte er dem Stück eine gewisse Finesse lassen, die hier völlig fehlt. Vollends schwerfällig ist die Vergewaltigungsszene am Schluß. Hält man das Publikum für blöd, das doch selbst die Botschaft längst empfangen hat: die Männerbünde existieren weiter. Es gilt sich zu wehren, aber bitte nicht so plump!
Der zerbrochne Krug, Düsseldorf: wichtig
Ein wichtiger Abend für unsere Gesellschaft. Am Anfang mit viel Witz und vielleicht ein wenig zu viel Länge spitzt sich die Inszenierung von Laura Linnenbaum auf das Finale zu, das die so oft gestrichene Szene mit Eves Monolog bildet. Ohne diesen Ausbruch am Ende wäre sie vielleicht tatsächlich zu sehr Randfigur geblieben. Auch wenn man als Zuschauer die Botschaft auch vorher in der Regel versteht - es ändert sich im Prinzip nichts, es geht weiter wie bisher - so ist doch dieser Monolog eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste, Szene im Stück. So macht sie nicht nur die Botschaft klar, sondern tut dies auf besonders schmerzhafte Weise. Und genau das ist so wichtig zu zeigen. Auch die Vergewaltigung am Ende ist meiner Meinung nach so einzuordnen - den Zuschauer unwohl machen, ihm, vielleicht mit dem Holzhammer, vor Augen führen, wo es im System hakt. Aber wenn man auf die #MeToo-Debatte blickt, kann es offensichtlich nicht Holzhammer genug sein.
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