Schuld und Sühne - Staatsschauspiel Dresden
Schuld-und-Sühne-Maschine
von Matthias Schmidt
Dresden, 31. Mai 2019. Ungefähr nach 45 Minuten haben endgültig alle verstanden, dass das hier so bleiben wird. Dass Sebastian Hartmann und sein Team hier etwas erarbeitet haben, was kein Sprechtheater mehr ist, kein Schau-Spiel mit irgendwie stimmungsvoller musikalischer Begleitung, keine Roman-Nacherzählung versehen mit ein paar Andeutungen oder Provokationen oder hashtag-tauglichen Spitzfindigkeiten, angerichtet in origineller Kulisse und bunten Farben, aufgehübscht durch Videos und ein echtes Kamerateam auf der Bühne. Erst recht ist es keine Erzählung aus dem Sankt Petersburg des 19. Jahrhunderts. Das hier verzichtet auf lineare Abläufe, auf Akte, Szenen, Dialoge. Das hier findet in Schwarz-Weiß statt. Das hier ist alles in einem: Text und Musik und Film und Performance. Das hier ist Theater von einem anderen Stern. Ein paar Leute verlassen das Unerwartete in den ersten 45 Minuten entnervt. Viele der anderen sind da längst in eine Art Trance gefallen und schauen und hören so gebannt zu, als lande soeben ein UFO auf der Bühne. Wobei Faszination und Fassungslosigkeit nah beieinander liegen dürften.
Geschichte der Grausamkeiten
Es geht um Schuld und Sühne. Wer mag, kann hier und da Dostojewskis Raskolnikow heraushören, wie er sich anmasst, eine "Laus" von Mitmensch ermorden zu dürfen, weil er ein außergewöhnlicher Mensch sei. Im Grunde spielt das aber keine Rolle, denn der Kontext, den Hartmann setzt, ist weitaus größer und genügt sich selbst. Es ist nicht weniger als die Geschichte der Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts, die auf der Hinterbühne und diversen anderen Projektionsflächen zu sehen ist und diesen Kontext herstellt. Man könnte das dem Abend natürlich vorwerfen, einen Mangel an Dostojewski, sozusagen. Die den Saal verlassen haben, werden es sicher tun. Man kann ihn aber auch dafür preisen, den Dostojewski einmal eben gerade nicht für Regie-Ideen zu verwursten, mit Einsprengseln aus anderen Texten zu verblenden, ihn in eine andere Zeit zu setzen, zu spielen mit ihm, in und neben den Rollen, changierend zwischen Ironie und tieferer Bedeutung. Was Hartmann von Dostojewski nimmt und einbettet in sein totales, gänzlich unironisches Theater aus Bildern und Tönen und Körpern, ist ein Kondensat: eine Schuld-und-Sühne-Maschine, in der es nicht ein einzelner ist, der schuldig wird, sondern der Mensch an sich. Nur, scheint es, hat er es im Gegensatz zu Raskolnikow noch nicht erkannt.
Das wird verstärkt dadurch, dass Hartmann die Übersetzung "Verbrechen und Strafe" von Swetlana Geier verwendet. Und einige Sätze daraus, oft nur Stichworte, den übermächtigen Filmbildern zur Seite stellt. Unmöglich, all die Bilder zu nennen oder gar zu analysieren, die über die Bühnenwände und die Kulisse flimmern. Brutale Bilder aus einem brutalen Jahrhundert. So viele Kriege, Morde, Hinrichtungen. Attentate und Attentäter, Mörder und Diktatoren und solche, denen wir es zutrauen. So viel Schuld und so viel Sühne. Bis ins Heute. Ein Time-Code läuft in allen Bildern mit, rechts die Spieldauer, am linken Rand die Jahreszahlen: von 0 bis 2019, immer wieder. Eine Endlosschleife, knapp anderthalb Stunden lang.
Elend der Bilder
Die Musik von Samuel Wiese treibt technoid, dröhnt industriell, klagt melodiös, wird von Kampfgeräuschen unterbrochen. Und sie lässt Pausen. Stille, beklemmende Stille. Das 20. Jahrhundert als Leidensgeschichte. Selten hat man das so komprimiert und in solcher Penetranz gesehen. Zugegeben, das hier muss man aushalten können. Die SchauspielerInnen werfen ihre Textfragmente ein, atemlos, mal dieser, mal jene von Kamera und Ton-Anglerin in den Mittelpunkt geholt, dabei ständig die Monitore und die Kulissen verschiebend. Doch was sie auch versuchen – das Elend der Bilder bleibt.
Noch ein Element, das schon für sich genommen ein großer Wurf wäre: die Kulisse. Eine die halbe Bühne ausfüllende Kirche, die sie in der Mitte teilen, sie öffnen (wobei eine Riesenzeichnung von Tilo Baumgärtel sichtbar wird, noch mehr Futter für die Augen), die sie zum Skelett zurückbauen und wieder zusammensetzen, der sie sich unterwerfen, die sie anbeten, gegen die sie sich auflehnen. Allein, die grausamen Bilder laufen weiter. Roman-Fragmente sind zu hören – es gibt kein Entkommen aus dem Kaleidoskop des Schreckens. Am Ende filmt die Kamera das Publikum: Diese schuldigen Menschen, sind das etwa – wir?
Wirklichkeit und Fiktion verlieren die Fassung
Das hätte es gewesen sein können mit diesem transzendenten Theaterabend, doch Sebastian Hartmann mag neuerdings offenbar auch gerne erklären. In diesem Fall lässt er erklären, und zwar mit Wolfram Lotz' keck-unterhaltsamem Theater-Manifest "Rede zum unmöglichen Theater": "Das Theater ist der Ort, wo Wirklichkeit und Fiktion aufeinandertreffen, und es ist also der Ort, wo beides seine Fassung verliert in einer heiligen Kollision", heißt es darin unter anderem. Und was für eine Kollision das hier war, Chapeau! Das hier ist ein – wenn auch finsteres – Fest für Augen und Ohren.
Schuld und Sühne
Nach dem Roman von Fjodor M. Dostojewski in der Übersetzung "Verbrechen und Strafe" von Swetlana Geier, unter Verwendung der "Rede zum unmöglichen Theater" von Wolfram Lotz
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Musik: Samuel Wiese, Lichtdesign: Lothar Baumgarte, Live-Schnitt: Thomas Schenkel, Diana Stelzer, Wandzeichnung: Tilo Baumgärtel, Dramaturgie: Jörg Bochow.
Mit: Luise Aschenbrenner, Moritz Kienemann, Philipp Lux, Linda Pöppel, Torsten Ranft, Lukas Rüppel, Fanny Staffa, Nadja Stübiger, Yassin Trabelsi, Musiker: Samuel Wiese.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.staatsschauspiel-dresden.de
Kritikenrundschau
"Kurz nachdem Hartmann Dostojewskigebrüll 'Erniedrigte und Beleidigte' beim Theatertreffen gastierte, liefert er nun den subtil gebauten, berauschend ritualhaften Konterpunkt ab. Man müsste die Uhren zurückdrehen und beide Aufführungen vertauschen. 'Schuld und Sühne' gehört in die Auswahl", so Eberhard Spreng von Deutschlandfunk Kultur (31.5.2019). Hartmann entwerfe in einem suggestiven Bilderrausch die kollektive Dimension von Raskolnikows krudem Überlegenheitsgefühl. "Ein radikal auf Rhythmus, Bild und Klang und wenig auf Narration setzendes Theater."
"Hartmann beschränkt sich im Prinzip auf ein Stichwort: Schuld." Der penetrant christliche Sünderbegriff stehe dabei im Widerspruch zur postulierten Assoziationsfreiheit. Letztlich komme dadurch der Bilderreigen, auf den man sich durchaus einlassen könne, ziemlich eindimensional daher. Die selbst ernannt unkonventionelle Art, Theater zu machen, werde zum Wert an sich, schreibt Christina Schmidt von der Freien Presse (2.6.2019). Zu Hartmann als Regisseur: "Der Stolz darauf, das Enfant terrible zu sein, das auf anstrengende Weise ein abgestumpftes Publikum aufrütteln muss, um das Theater am Leben zu erhalten, hat etwas Naives, vielleicht sogar Lächerliches. Die meisten Tabus sind schon gebrochen worden. Ist damit die Relevanz gerettet?"
"Mit Schauspiel oder Schauspielertheater hat das wenig zu tun. Freilich ist es eine in Klang und Bild eindrucksvolle, aber auch erdrückende Performance", schreibt Thomas Petzold von den Dresdner Neuesten Nachrichten (3.6.2019). Aber: "Dabei wird hier gar nichts behauptet oder verhandelt, sondern nur projiziert." Die anhaltende Bilderflut lasse fast alles schlicht geschmacklos erscheinen, was sich darunter an Banalem rege.
"Alles hier ist in Bewegung. Alles arbeitet für die Aussage: Nicht Raskolnikow als Einzelner ist schuld. Uns alle betrifft die Schuld", schreibt Sebastian Thiele in der Sächsischen Zeitung (3.6.2019). "Ein radikaler Glücksfall" sei der künstlerisch anspruchsvolle Abend und: "durch und durch ein humanes Statement im Gewand progressiver Theaterkunst".
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Die meisten inszenatorischen Mittel lassen sich bereits in früheren Inszenierungen von Sebastian Hartmann erkennen.Für mich und nicht vollständig: das Stammeln von Wörtern, die Umsetzung von Sprachlosigkeit, aus In Stanniolpapier. Das Rennen um die Kulissen als Ausdruck von Getriebensein aus Erniedrigte und Beleidigte. Die Auflösung von Rollenzuschreibungen aus Hunger.Peer Gynt. Die Soundlandschaft, der Einsatz von Videoprojektionen, von Livekameras und Tonangeln, der Auftritt unbekleideter Menschen ... alles nichts Neues.
Offene Fragen: Die Übertragung von Swetlana Geier heißt Verbrechen und Strafe. Hartmann nutzt aber Schuld und Sühne als Titel der Inszenierung. Diese Inkonsequenz könnte an seiner Betonung des moralischen Aspekts der Frage nach Laus oder bedeutsamer Mensch liegen.
Ich habe in der Inszenierung drei unbekleidete Männer und eine unbekleidete Frau gesehen und frage mich, ob die Debatte um #MeToo die sexuelle Ausnutzung von Schauspieler*innen in Richtung der Männer verschoben hat. Es ist aber auch denkbar, dass der Blick auf die unbekleideten Schauspieler*innen vom Auge des Betrachters abhängt. (Die Frisuren des Oberlippenbarts und Schamhaars von Yassin Trabelsi erinnerten mich ziemlich verstörend an A.H.)
Wie kann Hartmann seinen Inszenierungsstil noch weiter entwickeln oder hat er dessen Potenzial bereits weitgehend erschöpft?
Neben all dem Beunruhigenden: Es gibt unglaublich poetische Tableaus auf der Bühne zu sehen, die freilich auch von der Sound-Landschaft getragen werden. Sehr verführerisch! Die dekonstruierbare Kirche mit dem Kulissengemälde von Tilo Baumgärtel - grandios!
(Ich habe die Aufführung noch nicht sehen können.)
In allen Texten ist keine Rede von den schauspielerischen Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler - waren keine dabei? Ich bin altmodisch und halte Schauspielerinnen und Schauspieler immer noch für die wichtigsten Personen am Theater.
Präsentiert werden die Greuel und Brutalitäten des zwanzigsten Jahrhunderts - so lese ich - wo bleibt das 21. Jahrhundert?
Und wird versucht auch über die Ursachen des Grauens zu berichten, und warum sich Menschen darein verwickeln lassen?
Die Zuschauer, die das Theater nicht in den ersten 45 Minuten verlasen haben, sollen zum größten Teil geblieben sein, weil sie in Trance gefallen sind. Ist ein Theater, das dem Zuschauer seine Denk- und Urteilskraft nimmt, in diesem Jahrhundert wünschenswert?
Welches Recht glaubt ein Regisseur zu haben, wenn er eine große Gruppe von Menschen, die im Saal verbliebenen Zuschauer, einer imaginären Mitschuld bezichtigt und in Sippenhaft nimmt?
Fragen!
Peter Ibrik
Berlin-Pankow
Interessierten Theaterbesuchern möchte ich empfehlen, das Geschehen so zu betrachten, wie Sie ein modernes Kunstwerk ansähen. Schenken Sie der Performance zu Beginn (30 min.) einen Vertrauensvorschuss, denn es lohnt sich, bis zum letzten Wort zu bleiben.
Zu einigen Ihrer Fragen möchte ich eine Antwort versuchen:
1. Die Schauspieler: ...wirken vor allem als szenische Darsteller - im Wortsinn als Projektionsfläche - , welche illustrativ eingesetzt werden. Interaktionen beschränken sich auf das Abarbeiten bühnentechnischer Vorgänge oder das Darstellen von Emotionen wie Mitgefühl. Text wird durchweg monologisch vorgetragen.
2. Der Schrecken des 21. Jh.: ...findet der aufmerksame Betrachter auch in aktuellen Bildfragmenten. Das Grauen soll aber nicht als (!) konkrete historische Ereignisse gezeigt werden, sondern ganz allgemein anhand (!) von Bildern. Die über die Szenerie geblendete Videoinstallation ist technisch so verfremdet, dass in schemenhaftem Schwarz-Weiß eine "Überzeitlichkeit" als Effekt erreicht wird.
3. Die Ursachen des Grauens: ...werden in der künstlerischen Performance dargestellt. Bühnenbild und Darsteller verschmelzen. (Kommen Sie nach Dresden und schauen Sie selbst, wie das Hartmann gelingt.)
4. Trance: ... ist mit Blick auf die Kollektivverblendungen des 20. Jh. doch ein passender Zustand, oder nicht?
5. Theater, das die Denk- und Urteilskraft nimmt: ...wäre tatsächlich diametral zu dem, was Hartmann will und in "Schuld und Sühne" macht. Sehen Sie, das Ganze ist eine Performance, die AUF und IN den Zuschauer hineinwirkt, und mit den Mitteln der Gegenwart gewissermaßen zurückkehrt zum Ursprung des Theaters (Eleos, Phobos, Katharsis... was wir mal in der Schule gelernt haben, kommt hier alles vor). Aber anders als bei den antiken Tragödien bricht auch die Langeweile als Grundstimmung der Moderne (Martin Heidegger) vermittels unerträglich gedehnter Aktionen und in Endlosschleifen durchlaufender Schreckensbildern herein. Die Leute sind meiner Wahrnehmung nach aus dem Theater gegangen, weil eben "nichts passierte". Die Unerträglichkeit emotionaler Indifferenz angesichts des permanenten Schreckens habe ich an mir selbst noch nie so verspürt, wie an diesem Abend.
5. Mitschuld und Sippenhaft: ...wären die falschen Begriffe sowohl für den Roman als auch für diese Inszenierung. Bei Dostojewski - in Bezug auf Hegels "Weltgeist", der das eine oder andere Blümchen zertritt - will Raskolnikow ein Napoleon sein, ein GROSSER Mensch, der sich über alle anderen "Laus"-Existenzen erheben darf. Man denkt dabei heute natürlich sofort an Nietzsches Übermensch, an die nationalsozialistische Rassenideologie und die kommunistischen Genozide an "Klassenschädlingen". Aber Dostojewski und Hartmann geht es nicht um eine einseitige Religions- oder Ideologiekritik, sondern um Freilegung einer conditio humana: Wir Menschen tragen das Grauen in uns genauso wie die utopische Hoffnung, anders sein zu können.
Wenn der medial vermittelte und ubiquitär präsente Schrecken uns faktengesättigt, aber moralisch gleichgültig gemacht hat, dann vermag es vielleicht das Theater als umhegter Ort, eine fiktive Zukunft dagegenzustellen, welche motiviert, dass eine andere Wirklichkeit möglich ist. Oder um Adorno zu zitieren: "Kunst heißt nicht: Alternativen pointieren, sondern, durch nichts anderes als ihre Gestalt, dem Weltlauf widerstehen, der den Menschen immerzu die Pistole auf die Brust setzt. [Band 11: Noten zur Literatur: Engagement.]"
dostojewski wird in bester cut-up tradition fragmentiert. kein 6 stunden epos mehr, implosionen, fragmente, was ist der mensch, dass du seiner... schuld und sühne. am ende verschwinden die bilder, nur noch der lärm der schlacht ist zu hören, wir sitzen im licht. danke für diesen gewaltigen abend, der mich zum ende hin tief erschüttert hat, aufgewühlt hat.
Ein Synkretist ist - laut Fremdwörterbuch - ein Anhänger des Synkretismus, der ist - wie oben - die Verschmelzung verschiedener Glaubensformen. Wenn ich Glauben als eine Form der Religion begreife, so ist Synkretismus also ein Gemenge aus verschiedenen ideologischen Ausrichtungen.
Das sei dem Schreiber unbenommen. Aber warum schreibt er anonym und nennt seinen Namen nicht?
Ich wiederhole mich: Ich bin altmodisch: Ich erwarte vom Theater, dass mir von professionellen Spielern "Geschichten" erzählt werden, aus denen ich etwas erfahre über das Zusammenleben von Menschen und - im besten Falle - meine Weltsicht erschüttert wird. Die künstlerischen Mittel können dabei
sehr unterschiedlich sein.
Ich habe alle Berliner Inszenierungen von Herr Hartmann gesehen, die meisten davon mehrfach. Ich habe also eine Vorstellung von den inszenatorischen Mitteln, mit denen er arbeitet. Ich habe auch die Aufführung "Erniedrigte und Beleidigte" in Dresden gesehen und mich im Zusammenhang mit "Hunger.Peer" bei nachtkritik.de dazu geäußert.
"Die Schauspieler wirken vor allem als szenische Darsteller" und "als Projektionsfläche" - wer aber projiziert was? - und sie verschmelzen mit dem Bühnenbild - sind sie dann noch als Individuen erkennbar ? -, das sie auch zu bewegen haben, um dabei Emotionen wie Mitgefühl zu erzeugen.
Die Welt, in der wir leben, animiert uns ständig zu Mitgefühlen, zu Betroffenheit, und zu wenig darüber, was angesichts der Gefühlsaufwallungen möglicherweise zu handeln wäre.
Theater - wünsche ich mir, und manchmal findet das auch statt - könnte doch ein vorzügliches und vergnügliches Mittel sein, dem Menschen das Denken als "größtes Vergnügen" des Menschen wieder erfahrbar zu machen. Das ist eine Angelegenheit, bei der eine gefühlsmäßige Beteiligung durchaus stattfinden kann.
Ich bin dagegen, dass Zuschauer im Theater in Trance ("Entrücktheit, schlafähnlicher Zustand") versetzt werden (wenngleich die Greueltaten der vergangenen Jahrhunderte vielleicht nur möglich waren dadurch, dass Menschengruppen in einen Rauschzustand gerieten).
Ich bin dagegen, dass die Verbrechen an den Menschen als "überzeitlicher Effekt" dargestellt werden, dem ich als Zuschauer ausgeliefert werde. Ich bin überzeugt davon, dass die Verbrechen des 21. Jahrhunderts sich von denen des 20. Jahrhunderts deutlich unterscheiden, und dass es darauf ankäme, die Unterschiede kenntlich zu machen und die Ursachen der Taten erkennbar.
Es nutzt mir nichts und keinem anderen, aufgewühlt zu sein und erschüttert, wenn ich nicht weiß warum und nicht weiß, wie ich damit umgehen kann.
Als Leser des Romans werde ich nicht von Dostojewski zum Mitschuldigen gemacht und nicht in Sippenhaft genommen.
Der Romanautor und der Regisseur sind nicht identisch.
Es ist unverständlich, dass die Aufführung diesen Titel tragen darf.
Ich bin sehr dafür, dass Theater dem Zuschauer den utopischen Entwurf einer anderen Welt zeigt - oder auch, wieviel davon schon verspielt worden ist.
Ich danke dafür, dass ich zum Disput angeregt worden bin.
Mit Grüßen
Peter Ibrik
Berlin-Pankow
Sie haben recht, all das, was sie anführen KANN theater, aber eben auch anderes. es ist doch ein UNGEHEURER RAUM, um mal e.e.cummings zu zitieren, in dem sowohl der hartmann mit seinen verdichtungen als auch so viele anderes (und auch ihre erwartungen ans theater) kreisen können.
ich finde die trance ist ja immer nur ein element, hartmanns schuld und sühne lebt doch von einem cut-up, sowohl wahn als auch meditation, trance und explosion. long live the möglichkeit!
Mein Kommentar: grauenhaft!!
Wir sind nach 40 Minuten gegangen
Dafür ist und unsere Lebenszeit zu schade
Mein empfinden war, dass vollkommen weltfremde Akteure (keine Schauspieler) eine Darbietung ohne jegliche Handlungen mit Hilfe von YouTube Filmchen und natürlich viel Technik [Beamer, Kameras...] sich verwirklichen wollten. Das Stück war so voll mit gleichzeitig laufenden Aktionen, dass wir sicher nicht alles wahrnehmen konnten (Ich habe z. B. nackten Mann nicht gesehen-ist aber nicht schlimm)
Zusammenfassend kann ich diesen "Versuch" was darbieten zu wollen nur als "grauenvoll" das bewerten.