Bambi & Die Themen - Düsseldorfer Schauspielhaus
Der schönste Weltuntergang
von Sascha Westphal
Düsseldorf, 11. September 2021. In einem im Programmheft zur Uraufführung von "Bambi & Die Themen" veröffentlichten Interview spricht Bonn Park, der Autor und Regisseur der Inszenierung, auch kurz über den berühmten Disney-Zeichentrickfilm. Seine Anmerkungen schließt er mit der erst einmal irritierenden Beobachtung, "dass das, was hängenbleibt, die Katastrophe ist." Es stimmt schon. Kaum etwas brennt sich derart eindringlich in die (kindlichen) Erinnerungen ein wie die Szene, in der Bambi seine Mutter verliert und der Wald in Flammen aufgeht.
Falsche Blumen
Der Untergang einer Welt hinterlässt anscheinend einen bleibenden und auch viel größeren Eindruck als Bilder der Unschuld und des Glücks. Dabei schwelgt der 1942 entstandene Disney-Film durchaus auch in ihnen. Einen dieser idyllischen Momente beschwört Bonn Park auch herauf. Als Bambi noch nicht weiß, wie die Dinge und die Tiere heißen, taucht aus einer Art von Blumenmeer ein Stinktier auf. Also benennt das junge Reh es mit dem Wort, das es gerade von seinem Freund Klopfer gelernt hat: "Blume". Eine wundersame Verdrehung der Wirklichkeit, in der sich eine Utopie andeutet. Doch die liegt in Bonn Parks Stück weit hinter Bambi, Blume und Klopfer.
Dinosaurier haben den abgebrannten Wald, in dem Bambi einst das Licht der Welt erblickt hat, in eine mittlerweile wieder zerfallende, von Krieg und Zerstörung gezeichnete Stadt verwandelt. Dort leben Bambi und seine beiden Freunde in einem kleinen Appartement und wissen nichts mit sich anzufangen. Wenn sie sich an das erinnern, was einmal war, etwa der Moment, in dem Bambi Blume seinen Namen gegeben hat, schwingen unterschwellige Aggressionen mit. Klopfer erzählt die Geschichte als Beispiel für die Unwissenheit und damit letztlich für die Dummheit des jungen Rehs.
Waldtierchen in Lebenskrisen
Blume freut sich zwar immer noch über Bambis Irrtum. Aber in seinem Innersten weiß das von Felicia Chin-Malenski gespielte Stinktier, dass es seinem Namen nie gerecht werden kann, dass es strotz seiner Freundschaft mit Bambi und Klopfer immer ein Außenseiter bleiben wird, ausgegrenzt und verachtet. Ein Wissen, das schließlich in eine zutiefst anrührende Szene mündet, in der sich Blume im Badezimmer einschließt und sich das ungeliebte Leben nehmen will, während Bambi und Klopfer versuchen, sie davonabzuhalten.
Wie es der Titel "Bambi & Die Themen", was nebenbei auch ein grandioser Bandname wäre, schon andeutet, wird in der Inszenierung konkret. Bonn Park verweigert sich einer durchgehenden, stringenten Handlung. Er reiht Szenen aneinander, durch die noch eine rätselhafte, nicht aus dem Disney-Film stammende Figur namens "???" geistert. Dieses zottelige, in einem Fantasiekostüm steckende und von Eva Maria Schindele gespielte Wesen ist eine Art Agent Provacateur gewordener Weltgeist. Klopfer stellt sich Schindele als die vor, die allen Wesen Zufriedenheit schenken will, während sie später in Bambi bewusst den Samen der Unzufriedenheit sät.
Spielzeugspiegel der Welt
So ist die Welt, die Bonn Park zeichnet, eine gezielte Karikatur unserer Wirklichkeit, in der all die Unsicherheiten und Frustrationen, mit denen wir tagtäglich leben, so weit verzerrt sind, dass man sich ihnen stellen muss. Aus der kollektiven Erinnerung an die Weltuntergangsszene in "Bambi" erwächst ein Szenario aus imaginierten oder auch realen Weltuntergängen, in denen sich Bambi und seine Freunde von allem befreien, was das Leben so schwer erträglich macht.
"Bambi & Die Themen" firmiert als Jugendstück und weist zugleich daraufhin, dass diese Art von Unterscheidungen längst obsolet geworden sind. Es ist einfach ein Stück für Menschen. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Davon zeugen auch die den Zeichnungen des Disney-Films nachempfundenen Kostüme und das Bühnenbild, für die Paula Wellmann verantwortlich ist.
Sie hat eine bühnengroße Spielzeugeisenbahnlandschaft mit zahlreichen schiefen Häusern und Fassaden, Stromleitungen, schwelenden Feuern und einem magisch funkelnden Wasserfall geschaffen, die mit ganz simplen Mitteln den Zustand der Welt umreißt. Szenen, die hinter den großen Häuserfassaden an den Seiten der Bühne gespielt werden, kann das Publikum als Live-Videos auf zwei Leinwänden rechts und links auf der Bühne verfolgen. In ihnen kommen meist von den Spielerinnen geführte Marionetten zum Einsatz, mit denen Bonn Park klassische Puppenspiel-Techniken zitiert.
Ende gut, alles schlimm
Das Bühnenbild und die Inszenierung schwelgen gezielt in Reminiszenzen an Puppentheater und Zeichentrickfilme. Schließlich ist auch die Erinnerung an den Disney-Film bei den meisten Menschen mit der Kindheit verbunden. Aber aus diesen Versatzstücken vermeintlich kindlicher Ästhetiken schaffen Bonn Park und sein Ensemble eine ebenso simple wie komplexe Kunstwelt, die uns mit unserem seltsamen, wahrscheinlich auch recht ungesunden Verhältnis zu Tod und Zerstörung konfrontiert. Wir erinnern (fiktive) Weltuntergänge und finden keine Utopien. So ist es auch in "Bambi & Die Themen". Ganz am Ende des Stücks heißt es: "Zum Glück ist alles schlimm." Ein bitterer Befund, in dem aber auch eine Frage steckt, die wir statt Bambi stellen müssen: Ist das wirklich das Glück, das wir uns ersehnen?
Bambi & Die Themen
von Bonn Park
Uraufführung
Regie: Bonn Park; Bühne, Kostüm, Marionetten: Paula Wellmann; Musik: Moritz Löwe; Licht: Thomas Krammer; Puppenbau: Katja Schümann-Forsen, Silvia Riehm-Dombek; Maskenbau: Silke Adams; Marionettenspielberatung: Anna Zamolska, Anton Bachleitner; Dramaturgie: Kirstin Hess; Theaterpädagogik: Thiemo Hackel.
mit: Ali Aykar, Felicia Chin-Malenski, Eduard Lind, Eva Maria Schindele.
Premiere am 11. Septmeber 2021
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.dhaus.de
"Bonn Park legt Bambi all das in den Mund, was junge Menschen heute beschäftigt", schreibt Claudia Hötzendorfer in der Rheinischen Post (13.9.2021). Park lege dem starken Ensemble Dialoge in den Mund, ohne zu werten. "Das Stück schöpft die Facetten der Darstellung aus." "Bambi & Die Themen" sei "kein einfaches Stück für eine Zielgruppe ab 15 Jahren", hole sein Publikum aber genau da ab, wo es in einer "modernen, digitalen und medial überfluteten Welt" stehe.
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