Mädchen in Uniform - Mareike Mikat holt Christa Winsloes Stück auf die Bühne
Männer braucht es nicht
von Juliane Streich
Leipzig, 23. September 2009. Es ist lächerlich. Alles ist lächerlich. Frauen, Männer, Sex, Wagner, Philosophie, die Evolution, die Nazis und ihr Gehabe, Rotkäppchen. Zumindest kann man alles ins Lächerliche ziehen, so wie es Mareike Mikat in ihrer Inszenierung von "Mädchen in Uniform" getan hat. Ein Drama von Christa Winsloes, das 1930 in Leipzig aufgeführt, ein Jahr später von Leontine Sagan und Carl Froelich und 1958 durch Géza von Radványi nochmals verfilmt wurde, damals mit Romy Schneider. Und nun ist es also wieder auf der Theaterbühne in Leipzig.
Großes Drama ist die Geschichte der in ihre Lehrerin verliebten Internatsschülerin jetzt allerdings nicht mehr, eher unterhaltsam auf die leicht bekloppt-witzige Art. Im Gleichschritt marschieren sechs Mädels auf die Bühne, wo sie eine fauchende Tante in Empfang nimmt. Alle sind übertrieben geschminkt, machen große Augen und Münder und zitieren synchron, wie das Bühnenbild laut Vorlage aussehen müsste.
Eine Orgie, angedeutet
Man ahnt Böses. Zu sehr sieht das nach Klamauk aus, alle Darsteller scheinen das Talent zu besitzen, bereits nach wenigen Minuten auf die Nerven zu gehen. Aber nein. Nach dem ersten Szenenwechsel – wir befinden uns jetzt im Internat – wird es wirklich witzig.
Die Schülerinnen spielen sich selbst, mit cartoonähnlichen, mehr oder weniger menschengroßen gelben Puppen. Manuela, die Hauptfigur, verwandelt sich in eine andere; sie wird sich noch mehrfach ändern. Es geht zu wie bei Hanni und Nanni, nur wilder. Die Frauen küssen sich, eine Sexorgie wird angedeutet, in dem alle kreischend umher hüpfen, Puppenmünder sich auf Menschenärsche pressen und Körperteile zucken.
Dass das nicht total albern und auch nicht geschmacklos wirkt, liegt an der Selbstironie, die sowohl die Inszenierung als auch die Darsteller aufbringen. Liebeskummer ist tragisch und man ist auch kurzzeitig ergriffen, wenn die Puppen fallen gelassen werden und sich echte Augen ineinander verwirren, aber mein Gott, dann schreiben sich halt alle "Träum weiter" auf die Unterhosen – und man träumt weiter. Oder fängt an zu philosophieren.
Filmszenenreif sitzen alle am Tisch und reden. Rauchschwaden ziehen auf, eine E-Gitarre ersetzt kurz das angenehm begleitende Klavierspiel, die Menschheitsgeschichte wird aufs Wesentliche reduziert und schon wird eine neue Evolution erfunden.
Das Leben ist gemein
Irgendwo zwischen intelligent und naiv sind die Charaktere aufgebaut, auf so sympathische Weise, dass man sich gerne zu ihnen setzen und als beste Freundinnen haben würde. Weil sie verrückt sind. Weil das Leben gemein ist, und sie trotzdem lachen. Weil sie sich nicht zu schade sind, Songs von "Fettes Brot" zu singen. "Lass die Finger von Manuela. Was weißt du schon von Liebe? Von Liebe weißt du nichts."
Fräulein von Bernburg, die angebetete Lehrerin, die im ursprünglichen Stück den Mädchen Wärme und Menschlichkeit gibt, schaut sich hier gern selbst im Spiegel an und ist ein einfaches Kleid mit Kopf drauf. Die anderen sind Mädchen in Uniform. Ist das Bühnenbild recht einfach gehalten – ein Schrank, durch den man gehen kann, ist das Beeindruckenste – wechseln die Kostüme ständig und zeigen die Entwicklung des ganzen Stückes. Von traditionell spießigen Röcken und Kniestrümpfen über weiße Nachthemden, kurze Hosen und Krawatten, Sixtiespullis bis hin zu Armeeuniformen. Fast immer tragen alle das Gleiche, um sich am Ende bauchfrei und mit Silberirokesenschnitt zu verabschieden.
Eine Verabschiedung, nachdem auf einer Videoleinwand ein Gremium strenger Frauen die Eigenheiten der weiblichen Masturbation ausdiskutiert hat. So kann man dann auch zu dem Schluss kommen, dass Männer nun wirklich unnötig sind. Fortpflanzen will sich doch eh keiner mehr. Schließlich ist es egal, was nach uns passiert.
Manchmal muss man offenbar das, was kritisiert werden soll, einfach der Lächerlichkeit preisgeben.
Mädchen in Uniform
von Christa Winsloe
Regie: Mareike Mikat, Raum: Susanne Münzner, Ausstattung: Maike Storf, Musik: Friederike Bernhardt, Dramaturgie: Johannes Kirsten. Mit Rosalind Baffoe, Natalia Belitski, Artemis Chalkidou, Ellen Hellwig, Lisa Jopt, Emma Rönnebeck, Birgit Unterweger.
www.centraltheater-leipzig.de
Mehr zu Mareike Mikat? In Heidelberg hat sie 2007 Antigone und 2008 Ein Teil der Gans von Martin Heckmanns inszeniert, und im Juni 2009 brachte sie am Berliner Maxim Gorki Theater, in Koproduktion mit der Leipziger Skala, Cosmic Fear von Christian Lollike zur Uraufführung.
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Hier schreibt eine Zuschauerin, die ins Theater geht, um berührt zu werden, Geschichten zu sehen und diese weiter zu denken. Und das haben die Mädchen geschafft.
Wer Romy Schneider sehen möchte, soll sich den Film anschauen. Wer mehr über das Mädchen Manuela erfahren möchte, soll die Bücher lesen.
Übertreibungen sind zu sehen, es wird Kritik geübt, das Stück spielt mit/ in Situationen des Hier und Jetzt. Und ja, es soll gelacht werden. Aber nicht nur. Es ist Theater. Ganz nebenbei oder etwas deutlicher, die Schauspielerinnen zeigen großes Können sowohl im Umgang mit den Puppen als auch dem eigenen Körper und die Ausstattung, die Puppen selbst, sind bemerkenswert.
Punkt.