Betrunken genug zu sagen ich liebe dich? - Benedict Andrews leitet Caryl Churchill-Erstaufführung an
Ein Land und sein Lover
von Anne Peter
Berlin, 5. Dezember 2007. Wenn sich das Auge wenigstens ans Bühnenbild hängen könnte, während man wartet. Doch da ist alles mit einem Blick erfasst: ein hellgrün gewandetes Hotelzimmer hinter Plexiglas, ein Bett links, ein Schrank, ein Schreibtisch, ein Fernseher rechts, dazwischen zwei Stühle vor nichts sagendem Vorhangmuster. Keine Pappelbaum'sche Edelglanz-Kühle, sondern austauschbarer Aufenthaltsraum ewigreisender Workaholics, wie er fader nicht sein könnte – womit Magda Willi dem Abend sein treffendes Design verpasst.
Darin spielen sie nicht mal eine Stunde. Gefühlt sind es drei. Was streckt die Zeit an der Schaubühne? Das Nichtsvorfallen auf der Bühne, das auch die eingespielte Musik nicht übertönen kann. Und vor allem eine Regie, die wieder mal Realismus verordnet, wo ein starkes Stück eine starke Form bräuchte.
Polit-Business und ungute Liebe
Caryl Churchills "Betrunken genug zu sagen ich liebe dich?", das hier von Regisseur Benedict Andrews zur deutschen Erstaufführung gebracht wird, ist eine glasklare Zwei-Männer-Allegorie in abreißenden Sätzen, sich jagenden Ellipsen, die jeder im Kopf zu Ende denken kann, weil man die Sätze kennt. Weniger ein Dialog, denn ein Lückentext politischer Verbrechen, deren Anhäufung ungebrochenes Grauen auszulösen vermag. Dazwischen die Fetzen einer unguten Beziehungskiste.
Den einen nennt die britische Dramatikerin, deren Stücke das Schaubühnen-Repertoire schon öfter bereicherten, "Sam, ein Land" – und könnte deutlicher nicht sein. Der andere heißt Paul. Ein Land und sein Lover, Amerika und seine Alliierten. Es ist eine Beziehung zwischen Männern, die erzählt vom weltpolitischen Business as usual hinter den Kulissen einer vorgeblich demokratischen Großmacht. Die erzählt von einer (Männer?-)Welt, in der so etwas wie Moral nicht einmal mehr ein Fremdwort ist.
Verkörpert werden die beiden von Rafael Stachowiak (Sam) und Ulrich Hoppe (Paul, ein Mann), denen man wohl zugute halten könnte, dass sie Streicheleinheiten, Kussszenen, Umarmungen in schlichter Selbstverständlichkeit dahinspielen. Und Churchills künstliche Weglass-Sätze – auch das kein Leichtes – sprechen sie, als seien es Teile einer realistischen Unterhaltung.
Realismus mutlos
Entweder wird Paar gespielt oder Politik, das Erotisch-Körperliche vom eiskalten Ränkeschmieden getrennt, obwohl gerade die Verschränkung von Erotik und Macht bei Churchill Zentralgedanke ist.
Wenn dieses Regie-Realismus-Konzept doch zumindest Mut hätte zum Exzess. Doch die Brutalität dieser Beziehung, in der die Machtstrukturen bis ins Intimste greifen, will zwischen den beiden schmalbrüstigen Typen in Unterhosen kaum sinnlich werden.
Alles hält sich brav und unaufgeregt im Rahmen, selbst wenn Stachowiak Hoppes Körper wiederholt gegen die Glasscheibe stößt und dazu die im Laufe einer langen Imperialismus-Karriere bombardierten Länder aufzählt. Hier wird sie immerhin angedeutet, die Lust an der Grausamkeit, das skrupellose Aufgeilen an den Machtvergrößerungsmanövern von Vietnam über Afghanistan bis Guantánamo.
An, aus, raus, rein
Die meiste Zeit jedoch liegt man gemeinsam auf dem Bett, steht auf, geht durch den Raum, setzt sich, steht wieder auf, fasst den andern an, lässt ihn wieder los, hockt sich in die Ecke ...
Sam holt sich eine Fanta aus der Minibar, zerknautscht die Dose, futtert Erdnüsse oder wirft diese auf seinen untergebenen Geliebten. Bei dem regen sich Anflüge von Gewissensbissen – "versuche bloß zu verstehen, was genau", "versuche bloß, die Zahlen zu begreifen, ich" –, weshalb er sich Hemd und Hose anzieht und zur Tür hinausgeht, nach Sams Foltermethodenaufzählung wieder hereinkommt, sich wieder auszieht, auf die Bettkante setzt usw.
Die Aktionen wirken meist beliebig: was man halt in einem Hotelzimmer so macht. Da gibt es kaum Begegnungen mit dem Text, kaum Reibungen. Und anzuschauen ist das halt auch ziemlich langweilig.
So lang und leer
Eine Ausnahme bleibt z.B. die Szene, in der Stachowiak vor dem Glas steht und seelenruhig dagegen spuckt und ebenso seelenruhig zusieht, wie der Sabber an der glatten Oberfläche herunterrinnt. Sam spuckt drauf, auf die zahllosen Opfer, die Menschen hinter den Zahlen: "interessiere mich nicht besonders" – ein sprechendes Bild der Indifferenz, in der der Als-Ob-Gestus wenigstens ein klein wenig über sich hinausweist. Ein paar mehr solcher Bilder hätte der Abend schon gebraucht, um sich nicht ganz so lang und leer anzufühlen.
Betrunken genug zu sagen ich liebe dich?
von Caryl Churchill
Aus dem Englischen von Maja Zade
Regie: Benedict Andrews, Bühne und Kostüme: Magda Willi,
Musik: Malte Beckenbach.
Mit: Ulrich Hoppe, Rafael Stachowiak.
www.schaubuehne.de
Kritikenrundschau
Im Tagesspiegel (7.12.2007) berichtet Christine Wahl: Caryl Churchills "Betrunken genug zu sagen ich liebe dich?", "erzählt das Verhältnis Amerikas und seiner Verbündeten als logischerweise nicht spannungsfreie libidinöse Liaison, wobei im Originaltext Tony Blair neben George W. Bush auf der Bettkante hockt". Von "Vietnam über Irak bis Guantánamo, von Wahlmanipulationen bis zur Destabilisierung anderer politischer Systeme" habe Churchill alles minutiös recherchiert und in "ihre 30-seitige Beziehungskiste gesteckt". Für diese "eingeschränkte Sicht auf Amerika und Westeuropa" fahre Regisseur Benedict Andrews "ein begrenztes und zudem plakatives stilistisches Repertoire" auf, "maximal drei Gesichtsausdrücke und Tonlagen" fordere er den Schauspielern ab.
Von "globalisierungskritischem Gestammel", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (7.12.2007), das klinge wie eine "mit jeder Menge Hysterie aufpolierte Comicfassung des "Schock-Strategie"-Wälzers von Naomi Klein". Wobei "sämtliche Kurzschlüsse Kleins noch einmal eine Drehung weiter getrieben" würden. "Vollends bizarr" erscheine das Ganze durch die "lustigen Versuche" der szenischen Auflösung. "Wäre dieses peinliche Theaterstück nicht von Caryl Churchill, man müsste es für eine bösartige Parodie halten." Diese "Schrumpfform des modischen Genres einer diffus globalisierungskritischen Dramatik" sei "ein zutiefst affirmatives Theater, das sich damit begnügt, das stets schon im Voraus Gewusste immer neu zu bestätigen".
"Platt" sei Churchills Stück, schreibt Irene Bazinger in der FAZ (7.12.2007). Churchill schreibe abgerissene "Satzfetzen voller aufgeblasener Andeutungen, die wie an einer Wäscheleine des Guten flattern und auf der nur die dünnsten, bekanntesten und abgegriffensten Fakten Platz haben". Für eine "Provokation sei Churchills eigentlich komödiantische Idee, politische Konstellationen in sexuelle Beziehungen zu übersetzen, viel zu verquast ausgearbeitet". Auch die Schauspieler schienen "nicht recht zu wissen, wozu sie hier eigentlich gebeten sind, … die knappe Stunde, die es dauert ist eine traurige Verschwendung".
Ein "neues überflüssiges Sittenstück" nennt Ulrich Seidler Churchills Novität in der Berliner Zeitung (7.12.2007). Die Idee die Beziehung zwischen Großbritannien und den USA "als Szenen einer glücklosen außerehelichen Liebesbeziehung darzustellen" würde vielleicht funktionieren, "wenn man die Anwürfe, Zweifelfetzen, Vertrauensfragen, Bekenntnisfloskeln, Liebesschwüre … auf den Zuschauer niederprasseln lassen würde". Doch dann wäre nach 25 Minuten Schluss. Nur dank einer "ausgeruhten Ansagetechnik" der Schauspieler und ihren "schwer auszuhaltenden Kunstpausen" käme der Abend auf 50 Minuten. Die wirklichen imperialistischen Verbrechen, die mit Churchills Halbsätzen angerissen würden, dienten allerdings nur als Ornament für eine taube Allegorie: Schwule, die sich auf Kosten der Welt sexuell ausleben.
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 29. März 2023 Die Auswahl für das 10. Schweizer Theatertreffen
- 29. März 2023 Schauspieler Robert Gallinowski verstorben
- 28. März 2023 Wolfgang Schivelbusch gestorben
- 23. März 2023 NRW: Studie über Wünsche und Erwartungen an Theater
- 23. März 2023 Preis der Leipziger Buchmesse: die Nominierten 2023
- 23. März 2023 Dieter Hallervorden erhält Preis des Berliner Theaterclubs
- 21. März 2023 Die Auswahl der Mülheimer Theatertage 2023
Vielleicht könnten Sie auch Ihre Verschwörungstheorie von den systemstabilisierenden Kritikern, die allesamt einen Pakt mit dem Teufel unterschrieben haben, noch mal erläutern? Wo wird in der Kritik denn etwas neutralisiert oder vernebelt? Ästhetik ist doch in sich schon dialektisch, nie nur Form, ebenso Inhalt, eben die Durchdringung beider. Deshalb kann das Reden über Ästhetik auch nicht irgendwelche Inhalte ‚vernebeln’.
Wobei ich Ihnen zustimme: es geht um eine Analyse von Machtstrukturen, genauer wohl: um Funktionsmechanismen eines imperialistisch ausgerichteten Systems; die USA dienen dabei als Beispiel. Das hat, lieber Melville, mit Antiamerikanismus wenig zu tun.
oft geht es in liebesbeziehungen um unterwerfung und herrschaft. obwohl natürlich herrschaft als begriff klassenkämpferisch angestaubt ist.