Motzen Meckern Jammern - Das theater fensterzurstadt in Hannover zeigt eine hübsch abstruse Bühnenstudie über die Nörgel-Vorliebe einer ganzen Nation
Der Eiter der Anderen
von Stephanie Drees
Hannover, 15. Juni 2014. Der Alltag in einer langjährigen Ehe gleicht einem Garten, in dem die Neurosen blühen. Fragen wie "Du hast doch was?" lassen die zarten Ranken gegenseitiger Schuldzuweisung wachsen und gedeihen. Sätze wie "Ich will nicht immer alles sagen müssen", nähren den Boden des Misstrauens. Dabei geht es in Hannover nur um einen Apfel. Die Frau kaut, der Mann ist beleidigt. Nicht, weil es keinen Apfel für ihn gibt, nein, sie hätte ihm ihren anbieten sollen, den Apfel aus dem Garten der unerfüllten Bedürfnisse, gedüngt mit dem Saft der emotionalen Erpressung.
Vater mit Boxhandschuhen und unterdrückter Aggression, Mutter mit Staubtuch und tragischem Blick, Tochter in ihrem Zimmer, den Starschnitt des live anwesenden Bühnenmusikers anbaggernd. Was nach drei Bildern einer Familientragödie von Ibsen'schem Ausmaß aussieht, gehört zu einer poetischen Bühnenstudie, die das theater fensterzurstadt, eine der etabliertesten Gruppen in Hannovers freier Szene, nun herausbrachte. In der Alten Tankstelle, einer Spielstätte in Hannovers Innenstadt, zeigt die Gruppe viele ihrer Produktionen. Ein wenig ist hier noch vom Geist der Alltagsbühne zu spüren, die eine Tanke oft ist.
Anblaffen und angeblafft werden
Die beiden Theatermacher Ruth Rutkowski und Carsten Hentrich haben "Motzen Meckern Jammern" inszeniert. In gemeinschaftlicher Recherche und Improvisationsarbeit mit dem Ensemble entstanden die Texte für das Stück. Eine Arbeitsweise, die das Wort "Inszenierung" nah an das Wort "Gemeinschaftsprodukt" rücken lässt. Und um Gemeinschaft geht es auch an diesem Abend, quasi um den Superstar der menschlichen Gemeinschaften: die Familie. Und weil Superstars oft Diven sind, herrscht dort, wie sollte es auch anders sein: die Hölle auf Zimmertemperatur.
Die Kleinfamilie dient hier aber vor allem als Versuchsanordnung, als Bühne auf der Bühne. Die verschiedenen Möglichkeiten der Frustrationskommunikation kommen vor: Anblaffen und angeblafft werden, zetern, ein bisschen randalieren, beschuldigen und selbstmitleidig zergehen. Die Theatermacher erschaffen ein Kammerspiel und gleichzeitig eine Collage über kollektive Gemütszustände, vielleicht gar über die Vorliebe einer ganzen Nation zum Mosern.
Da steht ein Bett, in dem die drei Familienmitglieder gemeinsam schlafen. Eng ist es, eng bleibt es – obwohl Heim und Garten noch reichlich Platz zum Ausleben des Horrors bieten. Am Esstisch findet die Kernszene des häuslichen Dramas statt. Dem Vater, gespielt von Carsten Hentrich, scheinen die Boxhandschuhe an die Hände gewachsen zu sein. Mit verkrampften Armen hockt er da, drückt einen Teil der Wut nach innen, den anderen speit er seiner Tochter ins Gesicht. Die Tochter, die Alexandra Faruga mit viel körperlicher Hingabe zum Heulen und Jammern gibt, kontert verbissen. Phrasen werden wie nasse Lappen hin- und hergeschleudert: "Was haben wir nur falsch gemacht!"
Motzen als Ritual
Wer nun glaubt, dass es hier psychologisch weitergeht und sich langsam ein Konflikt auffächert, wird mit wunderschön-abstrusen Momenten bedacht. Zum Beispiel, wenn der Vater sich selbst im Wald der Identitäten begegnet, seine Zweit- und Dritt-Ichs verkörpert durch die anderen Schauspieler. Und dann gibt es da noch Matthias Buss. Über weite Teile dieser wahren und witzigen Nörgel-Orgie spielt er die Familienmutter. Manisch feudelt sie den Tisch sauber, schwitzt tapfer unter der Perücke, diesem blonden Muff.
Buss hat vor nicht allzu langer Zeit in Herbert Fritschs Murmel Murmel viel Erfahrung mit körperlich erzeugter Komik gesammelt, das hat er perfektioniert, es steckt ihm buchstäblich in den Knochen. Wenn er akute Untervögelung durch manisches Putzen vermittelt und dabei vom Eierlikörrausch erzählt, ist das läppisch und böse. Gleichzeitig lauert unter diesem Spiel echte Tragik – die selbst dann noch spürbar ist, wenn Mama den gelben Suchtstoff mit dem Eiter der Anderen vergleicht.
Viele Themen werden in diesem Stück angerissen. Das Motzen als verbindendes Ritual. Das Jammern über Geschlechterbilder, die sich ändern. Doch vor allem geht es der Gruppe um das Phänomen der Selbstbeschränkung durch Worte. Und die sollen an dieser Stelle enden – es gibt einfach nicht viel zu meckern!
Motzen Meckern Jammern
Uraufführung
Inszenierung und Produktionsleitung: Ruth Rutkowski, Carsten Hentrich, Text: Sascha Schmidt und Ensemble, Bühne: Melanie Huke, Musik: Jan Exner, Kostüme: Ruth Rutkowski.
Mit: Matthias Buss, Jan Exner, Alexandra Faruga.
Dauer: 1 Stunde, 15 Minuten, keine Pause
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"70 Minuten sehen die Zuschauer das Abbild einer schmerzlich nahen Welt, die aus gedroschenen Phrasen, Alltagskonflikten und verborgenen Wünschen besteht", schreibt Marleen Gaida in der Neuen Presse (17.6.2014). Dies geschehe durch gängige familiäre Rollen, die von den Schauspielern wunderbar karikiert und trotzdem mit dem nötigen Ernst dargeboten würden. "Man muss über diese Dinge kein Theaterstück machen – man kann es aber, und dann funktioniert es sehr gut."
"Die Musikermonologe sind großartig, denn damit gelingt es,ie Wutrede aus dem Bereich des Privaten herauszulösen. Jedenfalls ein wenig", schreibt Ronald Meyer-Arlt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (17.6.14). Ansonsten stecke die Sache leider
fest. Neu sei die Kleinfamilie als Dramenherd nicht, und es werde auch nicht besser,
wenn die Akteure die Sache in anderer Besetzung wiederholen. "Dieser Rollenwechsel wirkt sehr nach Schauspielworkshop", so Meyer-Arlt. "'Motzen Meckem Jammern' hätte
Missmutigkeit, Beschwerdelust und Jammerfreude auch als deutsche Besonderheit analysieren können." Die Chance habe das Theater Fenster zur Stadt verschenkt.
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