Kein Wehe, sondern Wuhaha

8. Oktober 2023. Bondi Beach, das Aussteigerparadies, als Symbolbild fürs Alter? Ist das nicht eher mit Schmerzen und Sorgen verbunden als mit Freuden und Sorglosigkeit? In ihrem neuen Stück kriegt Rebekka Kricheldorf beides unter einen Hut. Schirin Khodadadian hat die Uraufführung inszeniert. 

Von Christian Muggenthaler

Ulrich Kielhorn, Manuela Brugger, Renate Knollmann, Peter Reisser, Sascha Römisch © Ludwig Olah

8. Oktober 2023. Zu den paar Erfahrungen, die wir alle in unserer Gesamtheit machen dürfen, sind die mit der Zeit. Geburt, Tod und alles das Dings dazwischen: Mehr allgemein menschlich geht nicht. Besonders knifflig wird die Frage des Werdens und Vergehens, wenn es Richtung Ende geht. Spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem einem niemand mehr eine Lebensversicherung verkaufen mag, ist das Alt- und Älterwerden nichts für schwache Nerven. Freunde verschwinden, gewohnte Körperfunktionen auch. Lohnt es sich jetzt noch, eine neuen Sprache zu erlernen? Ist der nächste Sex womöglich schon der letzte? Alter: ein Thema für alle.

Der Witz als Akt des Widerstands

Es könnte sich wunderbar einpassen in die glückliche Jammerei über alles und nichts, die derzeit aus vielen Debatten trieft. Nicht so mit Rebekka Kricheldorf. Statt sich gramerfüllt über abnehmende Lebenszeit, zunehmende Alkoholunverträglichkeit, sinnlose Sinnsuche und selbstsüchtige Selbstsuche zu ergehen, sucht sie konsequent sämtlichen Lebenslagen des Seniorinnenseins eine komische Seite abzugewinnen. Was ganz schnell sehr viel mehr Wucht, Kraft und Relevanz bekommt als die Richtung weiter zu bedienen, in die man ohnehin hinzudenken pflegt, wenn man an das Ende denkt. Kein Wehe, sondern Wuhaha: In Kricheldorfs neuem Stück "Bondi Beach" wird der Witz zum Akt des Widerstands. Und der Weisheit.

Bondi Beach 2 Ludwig OlahSchicksalsgemeinschaft in Sofalandschaft: Peter Reisser, Renate Knollmann, Ulrich Kielhorn, Manuela Brugger, Sascha Römisch © Ludwig Olah

Das Auftragswerk für das Stadttheater Ingolstadt, dort jetzt auch uraufgeführt, glänzt mit einer unaufhörlichen Kette komischer Momente, die entstehen, wenn fünf ältere Menschen – ein sehr eingeschworener Freundeskreis – sich unterschiedlichen Situationen des Altwerdens stellen müssen. Neue Liebe, neues Leben und alte Leber: Das alles würde mindestens reichen für eine mehrteilige, sehr unterhaltsame Fernsehserie, und ist hier auf zwei Stunden Bühnenzeit komprimiert, auf den starken Kern des Stücks.

Glaubhafte ältere Figuren

Ernste Fragen des Menschseins werden mit keckem Schwung in den Unernst gestellt. Die fünf Typen, die die Autorin dem Publikum vorstellt, sind sauber ausgearbeitet und mit so viel Biografie ausgestattet, wie diese kecken Schwünge benötigen, um glaubhaft zu sein. Man kennt sie, vom hedonistischen Ex-Punk über die alleinerziehende Mutter, die ihre Karriere drangeben musste, bis zum leicht knöchernen Geisteswissenschaftler. Die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler in Ingolstadt, allesamt erfahrene, souveräne Mitglieder des Ensembles, machen diese Figuren so tragfähig menschlich, wie sie angelegt sind: Nachbarn auf der Bühne. 

Bondi Beach 4 Ludwig OlahAm Ende wird alles gut? vorne: Peter Reisser, Ulrich Kielhorn, Renate Knollmann, Sascha Römisch © Ludwig Olah

Szene für Szene geht es durch die düsteren bis drolligen Denkwürdigkeiten des Lebensherbsts. Ein Kaleidoskop von Fragen nach bleibender Attraktivität bis zur trotzigen Glückssuche. Die Inszenierung von Schirin Khodadadian nimmt dieses Kaleidoskopartige auf. Szene für Szene, Thema für Thema wird die Bühne (Ausstattung: Carolin Mittler) ein bisschen mehr auf links gedreht, aus einer tristen Bretter-Arena als Guckkasten mit einem Bild von Jesus nach der Kreuzabnahme wird allmählich ein Paradies-Gemälde mit Blumen und Obst, Äffchen und Papagei. Schließlich ist auch die australische "Bondi Beach" ein Paradies für Aussteiger – aber auch mit denen geht es mal dahin. 

Glück im Alter?

Die Umbauten zwischen den Szenen geraten regelrecht zirkushaft. Mit ihnen kann die Regie die beständigen neuen Umdrehungen des Textes unterstützen. Diese gemeinsamen Kaleidoskop-Drehungen von Text und Regie sind eine Gewürz-Mühle der Inhalte. Durch die Zäsuren bekommen ihre Aromen Zeit, sich zu entfalten. Das Licht macht die Drehungen subtil mit, die Musik auch: "O Fortuna" aus Carl Orffs "Carmina Burana" wird mehrmals eingesetzt, um Zäsuren zu schaffen. Schließlich geht es ums Glück als potenziellen Trittstein des Lebens eben auch: Lässt sich irgendwo im Prozess des Alterns auch Glück finden? Weisheit wenigstens? In Ingolstadt kann man sich jetzt solche Fragen zurecht lachen.

Bondi Beach
von Rebekka Kricheldorf
Uraufführung
Regie: Schirin Khodadadian, Bühne und Kostüme: Carolin Mittler, Musik: Katrin Vellrath, Lichtdesign: Ernst Schießl, Dramaturgie: Katrin Breschke.
Mit: Renate Knollmann, Peter Reisser, Manuela Brugger, Sascha Römisch, Ulrich Kielhorn.
Premiere am 7. Oktober 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

theater.ingolstadt.de


Kritikenrundschau

"Rebekka Kricheldorf ist eine Meisterin darin, das Existenzielle mit Humor zu unterwandern. In ihren pointierten Dialogen wird Abgründiges federleicht und Tiefsinniges mit Wortwitz ausgefochten. Vielschichtig ist der Text", schreibt Anja Witzke im Donaukurier (9.10.2023). "Und dass auch die Figuren tragisch und komisch zugleich sind, führt Regisseurin Schirin Khodadadian eindrucksvoll und stets aufs Neue überraschend vor. Jede der fünf ist ideenreich, sehr präzise und mit großer Sorgfalt erarbeitet: Renate Knollmann als Zoe, Peter Reisser als Nico, Manuela Brugger als Fiffy, Ulrich Kielhorn als Tristan und Sascha Römisch als Dennis (...) führen ihre Figuren mit überbordender Spiellust an die Grenzen der Lächerlichkeit. Und agieren als Ensemble mit kolossaler Energie."

Eine "sitcomfähige Best-Ager-Komödie" mit "Bitterhumor und Expertise" hat Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung (17.10.23) in Ingolstadt gesehen: "Die Dialoge sind rasant und knallen manchmal wie Ohrfeigen. Oder einfach wie eine gute Pointe", schreibt die Kritikerin zu Rebekka Kricheldorfs Text. Die Regisseurin Schirin Khodadadian bringe "das Geschehen langsam, aber sicher in Schwung", sodass man mit den Figuren warm werde. "Wie hier jede, jeder einzelne aus der Clique mit wenigen biografischen Details eine Persönlichkeit gewinnt", sei "gut hinskizziert".

 

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