Von Memmen und Mondanbetern

23. März 2024. Die Memminger haben einen eigenen Mond: den Mau. Einer Legende nach soll ein Memminger eines Nachts versucht haben, den Trabanten aus einem Wasserzuber, in dem er sich spiegelte, zu fischen. Von solchen Mythen des Mondes erzählt Sergej Gößner in seiner "lokalkolorierten Komödie" im Auftrag des Landestheaters Schwaben.

Von Susanne Greiner

"Schau der Mau!" von Sergej Gößner am Landestheater Schwaben © Jürgen Bartenschlager

23. März 2024. Der Mond ist Mystik. Er schwankt zwischen Sichel und Kugel, grell weiß bis schattig rot, und wer nicht oft zum Friseur will, sollte sich die Haare bei abnehmendem Mond schneiden lassen. Der Mond bewegt Wassermassen, hält die Erde in Schieflage, bremst ihr Kreisen um die Sonne – und ermöglicht so Leben. Kein Wunder, dass sich der Mensch den Mond, diesen machtvollen, kalten Stein, belebt vorstellt. Ist das dort nicht "Der Mann im Mond"? In Ostasien ist der Mond ein weißes Kaninchen. In Teilen Afrikas ein Krokodilsmaul.

Platons Kugelmenschen

In "Schau, der Mau!" hat Autor und Regisseur Sergej Gößner Mond-Geschichten zusammengetragen und sie als Collage in skurrilen, zauberhaften Bildern auf die Bühne gebracht. Er startet in der Antike bei Platons dreigeschlechtlichen Kugelmenschen, mit vier Armen, Beinen und Augen, die Zeus in seiner Rage trennt "wie man Äpfel zum Einkochen zerschneidet“ – und die seither danach streben, sich mit ihrer verlorenen Hälfte wiederzuvereinigen.

Platons Kugelmenschen-Mythos ist der Rahmen des Stückes. Darin eingebettet sind andere Geschichten: Der Mond wird vom Sektkorken einer unglücklich Verliebten abgeschossen, das riesenohrige weiße Kaninchen hüpft samt Jadekaiser über die Bühne, der Memminger Mau wird gefischt und schließlich die Riesenforelle am Memminger Fischertag gefangen. Es darf gelacht werden. Aber es geht auch ums große Ganze, um Liebe und Angst.

Kugelmenschen suchen Vervollkommnung: Almut Kohnle, Flurina C. Schlegel, Levi Roberta Kuhr und Tobias Loth auf der Bühne von Lukas Fries © Jürgen Bartenschlager

Die vier Schauspieler*innen, die sich als rasantes Erzählkollektiv präsentieren, stecken in Astronauten-ähnlichen Kostümen mit Ventil, aufblasbar: Kugelmenschen eben. Was ein äußerst amüsantes Bild ergibt, wenn sich die Vier brabbelnd bewegen, begegnen, umeinander drehen. Eine Ulkigkeit, die Lukas Fries' Bühnenbild mit Schönheit auffängt: der Mond als weißer Riesenlampion schwebt per Handkurbelbetrieb über den Bühnenhorizont, die Bühne selbst ist eine drehbare, schräg stehende Scheibe. Und die glitzert auch noch als konstanter Moon River, dazu das romantische Klavier von Julia Panzilius, das um die Mondscheinsonate wabert.

Angst vor dem Fremden

Ernsthaftigkeit bringt Gößners Text, wenn er die Erzähler über Homosexualität reden lässt, über Diversität, über die unendliche Gier des Menschen oder über die Illusion, der andere sei nicht fremd, sondern die zweite Hälfte, ein Spiegelbild des Ichs. Denn vor allem geht es Gößner um die Angst vor dem Fremden – und um die Unfähigkeit des Menschen, dieses Fremde zu akzeptieren.

In Gößners Weitererzählung der Memminger Mond-Legende fällt der Mau, ein nicht in Kategorien fassbares Ding, durch die "Hexenprobe", und der Fischer wird erschossen. Nebenbei schwingt auch der "Memminger Prozess" Ende der 1980er gegen den Arzt Horst Theissen wegen illegalem Schwangerschaftsabbruch mit. Und schließlich nimmt Gößner den juristischen Kampf einer Memmingerin in seinen Erzählkanon auf, die sich 2021 offiziell zur Teilnahme am Fischertag einklagte – bis dahin durften nur Männer den Stadtbach für die Säuberung ausfischen – und führt ihn zum skurrilen Finale: Die Fischerin, nach immer Größerem verlangend, fängt eine bühnenbreite Riesenforelle, aus deren aufgeschlitztem Bauch mondförmiger Kaviar kullert.

Überfülle an Schildbürgerei

An epische Breiten wagt sich Gößner. Der Auftragsrahmen sei locker gewesen, erzählt er. Letztendlich habe ihn das Schildbürgerhafte der Mau-Legende dazu gebracht, sich die lokalen Mondgeschichten anzueignen. Und es gebe noch so viel mehr, unter anderem, dass zwei Memminger Bürgermeister bei der NASA angefragt hätten, ob sie ein Stück ihres Maus haben könnten.

Diese Fülle an Inhalt, Optik und Bedeutung ist aber auch die Crux des Stückes. Ganze Passagen versinken in der ästhetischen Bilderwelt und hinter den verulkten Kugelmenschen. Der rote Faden wird weggelacht. Und der Zauber des Stückes, des Mondes, des Fremden – geht teilweise verloren.

Gößner betitelt seine Mau-Version mit "Die Memmen von Memmingen". Dass aus denen am Ende "Memminger" werden (mit aktuellem bayerischen Bezug von einer Schauspielerin zu "Memminger*innen" korrigiert), ist ein Funken Hoffnung. Oder zumindest ein Aufruf, dem Fremden offen zu begegnen. Letztendlich wirkt diese Themen-Klammer aber wie ein übergestülpter Hut, unter dem ein zu großer Kopf Platz finden will.

 

Schau, der Mau!
von Sergej Gößner
Regie: Sergej Gößner; Ausstattung: Lukas Fries; Dramaturgie: Paula Regine Erb; Klavier: Julia Panzilius; Regieassistenz/Inspiziens: Junjie Li.
Mit: Levi Roberta Kuhr, Almut Kohnle, Tobias Loth, Flurina Carla Schlegel.
Premiere am 22. März 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, eine Pause

www.landestheater-schwaben.de

 

Kritikenrundschau

Gößner bette die Erzählung ein in einen Kosmos von Mythen und Narrativen aus unterschiedlichen Kulturkreisen. "Verpackt in eine Reihe episodenhafter Szenen birgt das reizvolle Denkanstöße. Zugleich bleibt Gößners Inszenierung jedoch seltsam abstrakt, und es fällt schwer, sich vom Bühnengeschehen packen zu lassen", so Verena Kaulfersch von der Allgäuer Zeitung (26.3.2024). "Während sich die Inszenierung beim Bühnenbild reduziert und wandlungsfähig präsentiert, wirkt sie inhaltlich durch die Vielzahl ambitionierter Bezüge und Rehexionen teils überladen – selten sind Dialog-Passagen, die durch ihre Dynamik in den Bann ziehen."

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