Die Verlobung in St. Domingo - In München verschneidet Robert Borgmann Heinrich von Kleists Novelle mit (Post-)Kolonialismus-Exkursen und dem Selbstmord des Autors
Wie ein Zootier
von Petra Hallmayer
München, 29. September 2018. Schon die Besetzungsliste macht klar, dass wir hier keine einfache Übertragung von Kleists Novelle auf die Bühne sehen werden. Nicht Gustav und Toni sind im Programmheft verzeichnet, sondern Heinrich und Henriette. Robert Borgmanns Inszenierung von "Die Verlobung in St. Domingo" überblendet den Doppelselbstmord von Kleist und Henriette Vogel am Kleinen Wannsee 1811 mit der im selben Jahr erschienen Erzählung. Darin sucht der Schweizer Gustav in den Wirren des Sklavenaufstandes im heutigen Haiti Zuflucht im Haus eines Schwarzen. Congo Hoango, "ein fürchterlicher alter Neger", wie Kleist schreibt, benutzt seine Ziehtochter, die "Mestize" Toni, als Lockvogel, um Weiße zu massakrieren. Gustav und Toni verlieben sich ineinander, doch weil er eine List von ihr missdeutet, unfähig ist, ihr vorbehaltlos zu vertrauen, endet die Beziehung tödlich.
Gas - Antje Thoms inszeniert Georg Kaisers Schauspiel im Gaswerk Augsburg
Elend am Original-Schauplatz
von Willibald Spatz
Augsburg, 28. September 2018. Es bietet sich in Augsburg gerade eine famose Gelegenheit: Weil das Haupthaus des Theaters immer noch zwecks Sanierung gesperrt und die zweite Spielstätte, die Brechtbühne, auch geschlossen ist, wird auf dem ehemaligen Gaswerkareal ein neues Schauspielgebäude eingerichtet. Und jetzt kann man Georg Kaisers Gas-Trilogie praktisch an einem Original-Schauplatz aufführen. Wobei die Ausweichspielstätte im Ofenhaus entstehen soll und erst im Januar fertig sein wird, man also für diese Premiere ein weiteres Mal ausweichen musste und zwar auf demselben Gelände ins ehemalige Kühlergebäude, das tatsächlich eine grandiose Kulisse abgibt und in Antje Thoms Inszenierung eine entscheidende Rolle spielt.
Marat/Sade - Tina Lanik inszeniert Peter Weiss im Residenztheater München
Freiheit, Gleichheit, Blutrausch
von Anna Landefeld
München, 27. September 2018. Zu Beginn also gleich einmal das Ende. Alle sind sie vereint: Attentäterin und Opfer samt Entourage, die am liebsten hysterisch losschreien würde. Doch noch regt sich hier keiner, alle sind sie gefangen in einem lebenden Bild nach einem Gemälde des Malers Jean-Joseph Weerts mit dem Titel "Marat ermordet! 13. Juli 1793, acht Uhr abends".
Und ganz so, als wäre der Lauf der Geschichte und ihr Ende sowieso unaufhaltbar, lungert teilnahmslos abseits des Geschehens der Regisseur dieser Groteske: Marquis de Sade ist in Tina Laniks Inszenierung von Peter Weiss' "Marat/Sade" am Münchner Residenztheater ein Prachtstück von einem leidenden Individuum des postfaktischen Zeitalters: Insasse einer psychiatrischen Anstalt, vor lauter Freiheit erst gelangweilt, dann melancholisch und darüber schließlich mächtig an Körpergewicht zugelegt. Die Politiker reden sowieso alle nur irres Zeug – keine Lust, das zu entschlüsseln. Aber wenn man also schon gezwungen sei in dieser Welt zu leben, dann könne man irgendwie doch nicht anders, als sich zu ihr zu verhalten. Einerseits. Andererseits.
Regie: Lola Arias
Regie: Pınar Karabulut
Regie: Jessica Glause
Regie: Timofej Kuljabin
Regie: Christian von Treskow
Regie: Klaus Kusenberg
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