Wenn der Regen kommt - HAU Berlin
Nach uns die Sintflut
5. Oktober 2023. Die Gruppe machina eX ist für Mitmachtheater bekannt, das sein Publikum mit politischen und moralischen Problemlagen konfrontiert. In ihrer jüngsten Arbeit versuchen sie nicht weniger, als Berlin vor dem Austrocknen zu retten. Doch dann treten Saboteure auf den Plan.
Von Sophie Diesselhorst
5. Oktober 2023. Dieser Premierentermin ist jahreszeitlich ziemlich perfekt getimt. "Wenn der Regen kommt", das ist in Berlin genau jetzt, denn am Premierentag schien tatsächlich endlich der Herbst anzufangen. Doch natürlich befinden wir uns nicht im Jetzt, das für die dystopische szenische Aufbereitung trotz eines Sommers mit Rekordhitze und verheerenden Waldbränden noch nicht katastrophisch genug ist.
Nein: machina eX versetzen uns ein paar Jahrzehnte in die Zukunft, in ein Berlin, das so ausgetrocknet ist, dass das Trinkwasser rationiert wird und die Bewohner:innen sich in einer Disziplin namens "Durstmanagement" üben müssen. Nun aber naht in diesem zukünftigen Jetzt die Erlösung. Ein Volksentscheid hat ergeben, dass die Mehrheit der Berliner:innen bereit ist, ihre Stadt bis zu einem Jahr durchgehend beregnen zu lassen, um den Grundwasserspiegel wieder auf ein Niveau zu bringen, das die Grundversorgung garantiert.
Im Einsatz für die Wissenschaft
Untypischerweise scheint die Berliner Politik sich an das Ergebnis dieses Volksentscheids gehalten zu haben, und so steht die große Beregnung kurz bevor. Nur noch ein paar letzte Daten müssen erhoben werden, um die genaue Dauer der Regenperiode zu berechnen, die natürlich keinen Tag länger dauern soll als nötig, und hier kommt das Publikum dieses Stücks ins Spiel, das – wie immer bei machina eX – zum Mitspielen gebeten ist.
Ausgerüstet mit einem Rucksack voller Werkzeuge schwärmen wir in Berlin-Moabit aus, um Erde aus Baumscheiben zu entnehmen, Baumstämme auf Trockenheit abzuklopfen und zu stoppen, wie schnell Wasser in der Erde versickert. Diese Aufgaben werden einzeln erledigt, zu ihrer Verrichtung werden wir per Telegram von einer (programmierten) Mitarbeiterin des "drip"-Programms instruiert.
Die Schwamm-Offensive kommt!
Doch natürlich läuft nicht einfach alles wie geplant, wir sind schließlich im Theater und nicht in einem Kurs für Citizen Scientists. Also werden wir im nächsten Schritt zu Gruppen zusammengerufen und in einen Konflikt gebracht: Die einen spielen die Anti-Beregnungs-Aktivisten von der "Schwamm-Offensive", die statt der Beregnungs-Maßnahme eine Komplett-Entsiegelung der Stadt fordern und die Beregnung per Sabotage aufhalten wollen. Die anderen gehen den Sabotage-Versuchen nach und versuchen die Beregnung zu retten.
Dass wir uns zum Finale alle im "drip"-Labor treffen, wo wir unsere Forschungsergebnisse noch in mehreren Schritten analysieren und ins System speisen, nimmt dem Konflikt allerdings so ziemlich den Wind aus den Segeln. Denn hier gibt es im finalen Rettungsakt nur noch die Möglichkeit beim manuellen Start der Regenmaschine, die von den Schwamm-Aktivist:innen gehackt wurde, mitzuhelfen – oder passiv-agressiv danebenzustehen und das genügend anderen Eifrigen zu überlassen.
Bei der Premiere funkte eine Internetpanne dazwischen, die die Performance um mindestens eine halbe Stunde verlängerte und den Spannungsbogen so in Mitleidenschaft zog. Zum Finale im Labor sind die Charaktere der Chefin des "drip"-Programms und ihres Assistenten gut gezeichnet und werden von Astrid Endruweit und Jan Jaroszek auch souverän gespielt. Sie changieren zwischen leidenschaftlichen Labor-Nerds und menschlichen Bots, die wie ferngesteuert durchs Labor pesen und auf jegliche Fragen ihrer Citizen Scientists genauso formelhaft antworten wie vorher unser freundlicher automatischer Guide auf Telegram. Menschliche Interaktion können wir nur von den anderen in unserer Gruppe erwarten, das Gemeinschaftserlebnis als interaktive Zuschauer:innen wird so noch einmal betont und macht auch tatsächlich einmal mehr Spaß.
Geringer Lerneffekt
Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass diese Inszenierung inhaltlich ziemlich dünn geraten ist. Instruktiv wäre die Dystopie von "Wenn der Regen kommt" über den Grundkurs in Citizen Science hinaus nur dann, wenn dem Konflikt der Aktivist:innen tatsächlich Raum gegeben würde. Dieser Konflikt wird aber der Adventure-Story geopfert – deren dramaturgische Dringlichkeit vage aufgeladen wird mit dem beim Publikum vorausgesetzten Gefühl der Dringlichkeit, in der Klimakatastrophe schnell zu handeln.
Dass ganz zum Schluss noch ein paar Bürger:innen-Kommentare zu hören sind, aus denen hervorgeht, dass die Menschen selbst im ausgetrockneten Berlin dieses Zukunfsszenarios noch Auto fahren und ihren Wagen in der Regenzeit jetzt wieder mehr nutzen wollen, ist eine nette Volte – aber da ist der Zug schon entgleist.
Wenn der Regen kommt
Konzept: machina eX
Text: Clara Ehrenwerth, Regie: Anton Krause, Technische Leitung, Programmierung: Lasse Marburg, Dramaturgie, Game Design: Sarah Klöfer, Anton Rose, Interaction Design, Programmierung: Sebastian Arnd, Elisa Haubert, Benedikt Kaffai, Szenografie: Barbara Lenartz, Kostümbild: Sophie Lichtenberg, Ausstattungsassistenz: Anneke Frank, Sounddesign: Matthias Millhoff, Produktionsleitung: Sina Kießling.
Mit: Astrid Endruweit, Jan Jaroszek, Melody Pasanideh, Michaela Maxi Schulz, Raphael Souza Sá / Performance (Stimme): Nils Malten, Magdalena Wiedenhofer.
Premiere am 4. Oktober 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.hebbel-am-ufer.de
Kritikenrundschau
"So aufwändig und ernsthaft das Kollektiv im Vorhinein recherchiert und den Online-Auftritt von DRIP aufbereitet hat, so klamaukig geraten das Setting und so willkürlich das Gameplay in der fertigen Inszenierung, insbesondere im letzten Drittel", schreibt Claudia Reinhard im Tagesspiegel (5.10.2023). "Der Bedeutungsproduktion der Erzählung steht die Interaktivität hier oft eher im Wege, als dass sie ihr zuträglich wäre. Trotzdem wird viel gelacht an diesem Abend und Fremden in die Augen geschaut, weil machina eX eine Komfortzone erschafft, in der sich so manches ausprobieren lässt.“
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