Datscha - Sophiensaele Berlin
Krisentalk unter Weidenbäumen
26. September 2024. In Golda Bartons Gorki-Überschreibung sind die "Sommergäste" größtenteils nicht weiß gelesene Frauen, die im Berliner Umland Problemgespräche führen, gern über ihre westdeutschen Ehegatten mit Vermögenshintergrund. Isabelle Redfern bringt die kühne Versuchsanordnung auf die Bühne.
Von Esther Slevogt
26. September 2024. Die Bühne ist sehr schön und atmosphärisch aufgeladen. Die Bühnenbildnerin Lani Tran-Duc lässt lange Weidenäste von der Decke der Sophiensäle herabhängen, die die Szene dschungelartig verdichten. Jemand hängt bald schon weiße Papierlaternen daran auf, die abendliches Licht verströmen. Immer wieder wird auch Musik die Szene in fast magischer Weise illuminieren: Entweder als Konserve aus dem Off oder live gesungen und gespielt.
Manchmal verfallen alle Akteur*innen in kurze choreografische Interludes, die das Geschehen in eine abstrakte, gelegentlich kommentierende Traumebene heben (oder darin versenken). Zwischen den Weidenästen hängen allerlei Sorten von Schaukeln und Hängematten, die im Verbund mit denen, die immer wieder darauf sitzen, oft schöne Bilder ergeben. Und auch einen schönen Abend ergeben könnten. Wenn es denn Figuren wären, die hier Platz nehmen und in Aktion treten würden. Und keine Thesenträgerinnen.
Leben aus dem Lifestyle-Magazin
Vor zwei Jahren hatten Isabelle Redfern und Golda Barton mit der Tschechow-Überschreibung "Sistas!" einen großen Überraschungserfolg – inklusive Nominierung für den Mülheimer Dramatikpreis. Jetzt haben sie sich Maxim Gorkis "Sommergäste" vorgenommen, jenes berühmte Stück aus dem Jahr 1904, wo in einer Datscha irgendwo mitten im Wald sich lauter saturierte Leute treffen, die sich in ihren fortgesetzten Sinnkrisen entsetzlich anöden.
Bei Gorki ist das natürlich die untergehende Klassengesellschaft am Vorabend der Russischen Revolution. Barton und Redfern haben die Geschichte jetzt in eine Gegend irgendwo an einem See im Berliner Umland verlegt. Es sind saturierte Leute aus Berlin, Typus Prenzlauer Berg, könnte man sagen – reich und unzufrieden geworden, einem Leben hinterherhechtend, das von Lifestyle-Magazinen formatiert wurde.
Die dramaturgische Krux ist, dass die Frauen alle nicht weiß gelesen sind, aber "weiße" westdeutsche Männer mit Vermögenshintergrund geheiratet haben, die ihnen einen sozialen Aufstieg garantieren konnten. Außer Cathrin, die alle immer "Käsrin" nennen. Sie ist tendenziell DDR-sozialisiert, weiß und mit drei Kindern von ihrem Mann verlassen worden, der jetzt hier mit seiner jungen Geliebten Kelly (Trang Le Hong) in der alten Sommerhaus-Community erscheint.
Kühne Versuchsanordnung
Die Anlage der Versuchsanordnung ist interessant, weil sie nämlich kühn aus von Rassismus Betroffenen Leute macht, die selber ausgrenzen, klassistisch und sogar rassistisch denken und handeln – wenn sich etwa die junge Kelly als arrogante Metropolenbewohnerin mit krassen Gesten über die "indigenen" provinziellen Ostler der Gegend des Sommerhauses lustig macht. Oder überhaupt die saturierten Frauen dauernd lamentieren, weil sie trotz ihrer sozialen Absicherung nicht zufrieden sind – im Gegensatz zu Cathrin, die nach der Trennung einen sozialen Absturz erlebte, jetzt mit den Kindern auf dem Campingplatz in der Nähe haust und verzweifelt weiter dazugehören will.
Allein, alles bleibt so konstruiert und das Bemühen, so viele Thesen und Klischees oder soziologische Behauptungen wie möglich unterzubringen, den ganzen Abend über so unglaublich präsent, dass die Sache nicht wirklich lebendig wird und die Figuren im Grunde alle Karikaturen bleiben.
Diesen Eindruck verstärkt auch das überzogene Spiel aller: wenn sie etwa auf Stichwort ihre Ray-Ban-Pilotenbrillen aufsetzen und die Machogesten ihrer Männer imitieren – die hier alle eben von den Frauen gespielt werden. Jedes Klischee, jede These wird als Grimasse oder Pose ausgespielt. Aber dabei wenig wirklich erzählt.
Da ist Sylvana Seddig alias Julia mit Migrationshintergrund irgendwo zwischen Griechenland und der Türkei, die einen deutschen Adeligen namens Friedemann ehelichte und nun im weißen Kostümchen als überkandidelte Hysterikerin in Erscheinung tritt. Oder Leeta (Diana Marie Müller), Yogalehrerin mit Kinderwunsch und ebenfalls reich verheiratet, die sich für ihre Eltern schämt und hier statuarisch mit Turban und Tunika Exotismus unter Weidenbäumen zelebriert.
Eine unplausible Liaison
Regisseurin Isabelle Redfern spielt die burschikose Mardja, die sich in den zarten "Local" Wolle (Anton Berman, der auch für die Musik verantwortlich ist) verliebt, seines Zeichens eine Art Hausmeister, der im Winter die Sommerhäuser der Städter versorgt. Eine Liaison, die höchst unplausibel bleibt, weil sich der Abend nicht entscheiden kann, was er eigentlich genau erzählen will, ob er für oder gegen seine Protagonistinnen Partei ergreift. Die einzigen, die halbwegs als Figuren kenntlich werden, sind Cathrin, die Peggy Bachmann schauspielerisch glaubhaft erden kann. Und Trang Le Hong, die mit kaltblütigem Witz alle ihr zugemuteten Klischees abwehren kann.
Datscha
von Golda Barton nach Maxim Gorki
Regie: Isabelle Redfern Choreografie: Ute Pliestermann, Musik: Anton Berman, Bühne: Lani Tran-Duc, Kostüm: You-Jin Seo, Dramaturgie: Jens Hillje.
Mit: Peggy Bachmann, Anton Berman, Diana Marie Müller, Trang Le Hong, Isabelle Redfern, Sylvana Seddig.
Premiere am 25. September 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
https://sophiensaele.com
Kritikenrundschau
"Hier werden die Konflikte verlacht, die als Wunde offengelegt gehört hätten. Da hilft ein etwas befremdlicher Naturalismus in der Spielweise nicht weiter. Gorkis 'Sommergäste' waren der Prolog zur Russischen Revolution von 1905, 'Datscha' wirkt eher wie ein endloses Zwischenspiel im überlangen Drama des Spätkapitalismus“, schreibt Erik Zielke von nd-aktuell (27.9.2024).
"Eineinhalb Stunden lang tragen diese Wohlstandswesen ihre Weltsichten vor, hinterfragen sich ein bisschen - sind wir intellektuell, politisch links, gar aktivistisch?", schreibt Elena Philipp in der Berliner Morgenpost (26.9. 9.2024). "Aber es fehlen letztlich der Witz und auch die Zuspitzung. Die gesellschaftlichen Konflikte ebenso wie seelischen Nöte sind in diesem Aufsagetheater über fünf Aufsteigerinnen kaum zu spüren. Wie schade, kann es doch auch in einem Laberstück um so viel gehen."
Isabelle Redfern habe das Stück als giftige Gesellschaftskomödie inszeniert. Manchmal schiebe sie Tanznummern ein, um die Brüche zwischen den Szenen zu kaschieren. "Das ist nett anzusehen, doch es behebt nicht das Problem. Die Frauen wirken wie Sprachrohre, nicht wie Menschen aus Fleisch und Blut. Man bleibt emotional unbeteiligt. Das Stück rauscht vorbei, obwohl es spannende und hochaktuelle Fragen aufwirft", so Oliver Kranz von radio3 (26.9.2024).
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Nach diesem Intro bleibt die Grundstimmung unterspannt. Dieses und jenes Thema wird angetippt, viel Material ausgebreitet, aber kaum etwas vertieft. Dazwischen gibt es immer wieder Choreographien zu einem Rolling Stones-Klassiker wie „You can´t always get what you want“ oder dem Udo Jürgen-Ohrwurm „Griechischer Wein“. 80 Minuten lang gibt es etwas Comedy und Kabarett, ein paar Wortgefechte und Figuren in der Sommerfrische, die ähnlich wenig mit sich anzufangen wissen wie ihre Vorfahren aus dem kanonischen Gorki-Stück von 1904.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/09/26/datscha-sophiensaele-kritik/