Ein Sportstück - RambaZamba Theater Berlin
Die Frau muss schön sein!
9. Juni 2023. Fünf Regiestudierende der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" und RambaZamba-Intendant Jacob Höhne – ein ganzes Regiekollektiv hat gewirkt an dieser Jelinek-Inszenierung, die die Radikalindividualist:innen des RambaZamba-Ensembles mit einem Herrenmenschen-Chor konfrontiert.
Von Janis El-Bira
9. Juni 2023. Es ist ja nicht so, als sei die Sache mit der inneren Verbindung von Sport und Krieg komplett erledigt. Aber gänzlich alterslos scheint Elfriede Jelineks "Sportstück", das dieses weite Feld aufmacht und mit dessen Wiener Uraufführung im Jahr 1998 der Regisseur Einar Schleef den Dabeigewesenen einen lebenslangen Anekdotenschatz schenkte, dann doch nicht zu sein. Oder wer denkt heute noch an Leni Riefenstahls eingeölte Arier-Leiber beim alltäglichen Anblick all der schönen Menschen, die sich beim Joggen, Workout oder Yoga herzensrein in Self-Care ergehen? Sportler als Soldaten und Glieder in einer mittelfristig auf Vernichtung getrimmten Maschinerie? Elfriede, please…
Fest der Völker
Kurz zuckt man unweigerlich trotzdem zusammen, wenn sich nun ausgerechnet das inklusive RambaZamba Theater des "Sportstücks" annimmt. Weil der sportliche Wettkampf von Menschen mit Behinderungen einen derart langen und zähen Anerkennungsweg hinter sich hat, dass man ihn nun erst recht nicht als verlängerten Arm des Faschismus betrachten will? Mag sein, ist aber natürlich ein Quatsch-Reflex, denn das RambaZamba-Ensemble besteht bekanntermaßen nicht aus Sportler*innen, sondern aus Schauspieler*innen. Und einer so tollen wie Juliana Götze nimmt man natürlich auch die Riefenstahl sofort ab, wie sie, selbst in eine wallende Fest-der-Völker-Toga gehüllt, den Kolleginnen vom Chor die enganliegenden Ertüchtigungs-Leiberl kameratauglich zurechtzuppelt. "Die Frau muss schön sein", betüddelt sie sie beinahe mütterlich, um dann eiskalt nachzulegen: "Meine Damen, ich weiß nicht einmal Ihre Namen!"
Maschine gegen Mensch
Juliana Götzes Nazi-Filmdiva ist ein Höhepunkt dieser Szenenfolge, die RambaZamba-Intendant Jacob Höhne zusammen mit fünf Regiestudierenden der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch entworfen hat. Alle haben je ein Teilstück des Abends auf den klotzigen Albert-Speer-Gedächtnisstufen des Bühnenbilds inszeniert. Dass man das nicht merkt, weil die Regieführenden sich offenbar konzeptuell sehr einig waren, ist tatsächlich erstaunlich. Unversöhnlich gegenüber stehen sich durchwegs die streng abgezirkelte Wort- und Leibesakrobatik des fünfköpfigen Herrenmenschinnen-Chores und der radikale Individualismus der RambaZamba-Spieler*innen. Das soll natürlich so sein und beschert gleich zu Anfang einen der schönsten Momente, wenn Sebastian Urbanski eine durchaus sehr textnahe Tennis-Ballmaschine aktiviert und Chor und Publikum mit den gelben Geschossen traktiert. Später kommt es sogar noch zu einem echten Match gegen die Maschine, bei dem die Bälle mit Volley und Topspin in die Sitzreihen gepfeffert werden. Zum Glück sind sie nur aus Leichtplastik.
Mehr Gegenwart!
Immer wieder rafft der Abend sich zu solch beglückenden Augenblicken gelösten Unsinns auf. Dazwischen allerdings wirkt manches etwas fahrig und unangespitzt. Die Antike-Szenen um Hektor und Achill dialogisieren müde vor sich hin, sind aber auch schon bei Jelinek, die beide als Sportfunktionäre beim Tennis vorstellt, eine recht gespreizte Angelegenheit. Dass ihre an apodiktischen Wendungen und steilen Behauptungen bekanntlich reichen Sätze perfekt einstudiert sind – man möchte es bei einem Spitzenensemble wie den RambaZambas geradezu voraussetzen. Und dass Jonas Sippel und Anil Merickan mit Ganzkörperpanzer und Troja-Perücke eh alles raushauen, was drin ist, sowieso auch.
Womöglich ist es auch zu viel verlangt, wirft man einem Abend mit immerhin sechs Regiepositionen vor, dass es ihm ein bisschen an Flow fehlt. Mehr gegenwärtige Positionierung zum Jelinek-Klassiker hätte man aber wagen dürfen, selbst wenn Hieu Pham ganz am Ende mit VR-Brille auf der Nase den Sportskörper ins Reich der Avatare verabschiedet. Und mehr Freiheit und Eigensinn für die RambaZambas. Deren beste Abende weisen schließlich immer ein Stück weit übers Theater hinaus. Auch über eines, das sowieso an allen Abenden besonders ist.
Ein Sportstück
von Elfriede Jelinek
Regie: Jacob Höhne, Lily Kuhlmann, Josephine Witt, Rosa Rieck, Marten Straßenberg, Linda Glanz, Künstlerische Gesamtleitung und Bühne: Jacob Höhne, Kostüme: Nicole Timm, Choreografie: Sara Lu, Musik: Leo Solter, Videoprojektionen & Visualisierungen: Marco Casiglieri, Chorleitung: Bernd Freytag, Dramaturgie: Frank Raddatz.
Mit: Sebastian Urbanski, Juliana Götze, Anil Merickan, Hieu Pham, Jonas Sippel. Chor: Bettina Brezinski, Selina Fischer, Eva Gerngroß, Fleur Grelet, Anna Sehls.
Premiere am 8. Juni 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
rambazamba-theater.de
Kritikenrundschau
"Jelineks kalauernde Textassoziationen kommen mit Wucht, Tempo und Präzision," schreibt Jakob Hayner in der Welt (9.6.2023): "Ein Hauch von Schleef, dem großen Meister der Chöre". Das RambaZamba setze Maßstäbe für die Debatte, wie Behinderung einen Weg auf die Theaterbühne findet – dieses Mal auch mit der Frage nach Behinderung in einer "sportizierten Gesellschaft".
Die Inszenierung strebe sogar über Jelinek hinaus, beschreibt Michael Laages im Deutschlandfunk (10.6.2023). Der Chor entlaste die Spieler:innen des RambaZamba-Ensembles und so könnten sie sich auf den "mal ruppigen, mal feinen, mal parodistischen Umgang mit Traum und Trauma in Jelineks Sportlerfantasien" konzentrieren. Laages zeigt sich jedoch vor allem bezaubert vor der entspannten Selbstverständlichkeit des RambaZamba-Theaters im Umgang mit den starken Stoffen Jelineks: Hier seien Energien am Werk, die anderswo oft nicht mehr zu spüren seien.
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