Surfin' Volksrepublik

11. Juni 2023. Vom Filmstar Anna May Wong bis zu moderner Produktpiraterie, von den Räubern im Liang-Schan-Moor bis an den Rosa-Luxemburg-Platz: andcompany&Co. haben in China recherchiert und eine Diskursrevue gebaut, die überall zugleich sein will. Hart fürs Hirn, aber toll für die Augen.

Von Esther Slevogt

"Shanzhai Express (made in Chima)" an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz © Thomas Aurin

11. Juni 2023. Die Kostüme von Mascha Mihoa Bischoff sind schon mal der Hammer. Diese Robe aus tropfenden Dougnuts zum Beispiel, in die sich am Ende die Schauspielerin Jing Xiang zwängt, oder das Röckchen aus Verpackungen für chinesische Instant-Nudel-Suppen der Diskursanführerin Yumin Li. Dann der goldene Anzug des Musikers Sascha Sulimma, in dessen Oberteil Haribo-Goldbärchen-Tüten eingearbeitet sind. Das Hütchen der Performerin Nicola Nord, aus dem goldene Pommes ragen – die sie eine Nummer größer noch mal wie einen Sprengstoffgürtel am Leibe trägt. Oder der glamouröse Abenddress der Tänzerin und Performerin Keyna Nara mit seinen Anklängen an Werbemotive für japanisches Instantfood. Diese Kostüme sensibilisieren schon mal auf das Allerschönste für den Themenkreis dieses Abends: die Zusammenhänge von Identität und Kapitalismus, beziehungsweise seiner amerikanischen und chinesischen Ausprägung, um es erst mal nur grob zu umreißen.

Fake oder Neuschöpfung?

Und diese Zuspitzung im Visuellen braucht es auch dringend. Denn der gut neunzigminütige Abend rast mit großer Geschwindigkeit und oft eher frei assoziierend als vertiefend durch seine Thesen und Motive. Aber Geschwindigkeit wird schließlich schon in der Überschrift versprochen: Shanzhai Express – worin der Titel eines berühmten Films von 1932 mit Marlene Dietrich und Anna May Wong (Shanghai Express) ebenso anklingt wie der Begriff "Shanzhai" – der für westlich sozialisierte Menschen chinesische Produktpiraterie, Fake und Imitation bedeutet. In der konfuzianisch geprägten chinesischen Kultur jedoch wird die Praxis eher als Anverwandlung oder Neuschöpfung verstanden – wie es vor einigen Jahren etwa der Philosoph Byung-Chul Han in einer kleinen Schrift erläuterte.

Berühmte und Berüchtigte

Und wie hängt das jetzt mit Identität zusammen? Hier soll der Link eben die amerikanische Schauspielerin Anna May Wong sein. Die in Los Angeles als Enkeltochter chinesischer Einwanderer geborene Wong war die erste asiatisch gelesene Frau, der im tief von Rassismus geprägten System Hollywood der Aufstieg zum Star gelang. In den späten 1920er Jahren war sie eine Weile in Berlin, hatte in Babelsberg gedreht.

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, BerlinPrater Studios am Rosa-Luxemburg-Platz"Shanzhai Express (made in Chima)" von andcompany&Co.Uraufführung: 10.6.2023,Regie: andcompany&Co.Konzept & Text: Alexander Karschnia, Yumin Li, Nicola NordMusik: Sascha Sulimma, Sabrina MaKostüme: Mascha Mihoa BischoffBühne: Leonard NeumannPRATER STUDIOS: Nina von Mechow, Leonard Neumannmit:Yumin Li, Sabrina Ma, Keyna Nara, Nicola Nord, Sascha Sulimma, Jing XiangCopyright (C) Thomas AurinGleditschstr. 45, D-10781 BerlinTel.:+49 (0)30 2175 6205 Mobil.:+49 (0)170 2933679Veröffentlichung nur gegen Honorar zzgl. 7% MWSt. und BelegexemplarSteuer Nr.: 11/18/213/52812, UID Nr.: DE 170 902 977Commerzbank, BLZ: 810 80 000, Konto-Nr.: 316 030 000SWIFT-BIC: DRES DE FF 810, IBAN: DE07 81080000 0316030000Charisma und Können: Yumin Li, Sabrina Ma © Thomas Aurin

Auf einer Filmparty machte der Fotograf Alfred Eisenstaedt 1928 ein später ikonografisches Foto, auf dem die damals noch unbekannte Marlene Dietrich und die nicht minder unbekannte spätere Hitler-Propagandafilmerin Leni Riefenstahl abgebildet sind: Die beiden jungen Schauspielerinnen posieren mit dem damals schon großen amerikanischen Star Anna May Wong in der Mitte – wenige Jahre bevor sie selber berühmt beziehungsweise berüchtigt wurden. Vor ein paar Jahren hat das Bild, das nun an zentraler Stelle auch auf Leonard Neumanns Bühne angeheftet ist, die in Singapur geborene Schriftstellerin Amanda Lee Koe zu ihrem Roman "Die letzten Strahlen eines Sterns" über die drei Frauen inspiriert.

Angetippte Oberflächen

Diese ganzen Infos braucht es, um in etwa den Resonanzraum ermessen zu können, in dem sich der Abend thematisch bewegt, beziehungsweise bewegen möchte – der hier (heftig polleschisierend) im Gewand einer kleinen kalauernden Diskursrevue daher kommt. Die Liste der Themen, auf dessen jeweiligen Stichworten und angetippten Oberflächen der Abend surft, reicht aber noch weiter: von den chinesischen Räubern vom Liang-Schan-Moor im 14. Jahrhundert bis zur modernen Produktpiratie als Form antikapitalistischer Subversion. Es geht um klischeehafte Besetzung asiatisch gelesener Künstler*innen im weiß dominierten Kulturbetrieb und um Strategien, die das unterwandern.

Dazu gibt es zur soghaft süffigen Musik von Sascha Sulimma und Sabrina Ma, den tollen Kostümen von Mascha Mihoa Bischoff dann kleine Szenen, viel Slapstick, Tanz, Gesang und Akrobatik. Manchmal geht alles im Gewitter der Thesen und Behauptungen unter. Und so hebt der Abend gar nicht ab, kommt nie auf einen Punkt, entscheidet sich für keines seiner Themen sondern schlaumeiert sich so durch. Dass man trotzdem immer wieder gerne zuschaut, liegt nicht zuletzt an den Performerinnen Yumin Li, Keyna Nara und Jing Xiang, ihrem Können und Charisma.

  

Shanzhai Express (made in Chima)
von andcompany&Co.
Konzept & Text: Alexander Karschnia, Yumin Li, Nicola Nord & Co., Regie: andcompany&Co, Musik: Sascha Sulimma mit Sabrina Ma & Co., Kostüme: Mascha Mihoa Bischoff, Bühne: Leonard Neumann, Mitarbeit Regie: Kasia Noga, Mitarbeit Dramaturgie: Saskia Mommertz, Mitarbeit Bühne: Ramona Hufler, Mitarbeit Kostüme: Noëmie Cassagnau, Clara Franke, Rechercheteam China: Timon Wawreczko, Tianlin Xu.
Mit: Yumin Li, Nicola Nord, Sabrina Ma, Sascha Sulimma, Keyna Nara, Jing Xiang.
Premiere am 11. Juni 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.volksbuehne-berlin.de

Kritikenrundschau

"Die Prater-Studios in der Volksbühne entpuppen sich immer deutlicher als eine Spielwiese und Selbstbespaßungsanlage für eingeweihte Dramaturgen", leitet Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (11.6.2023) seine Kritik ein. Das Konzept dieser Inszenierung sei von uneindeutiger Abgedriftetheit, sowie grellem Bildprogramm und kryptischem Anspielungsüberfluss geprägt. "Nicht zu vergessen der fett und grell blinkende Ironie-Rahmen, der um das anderthalbstündige kulturwissenschaftliche Nummernprogramm gelegt wurde und in dem jedes Rumgehampel als abbildtheoretischer Slapstick und jedes Asiaklischee als antirassistisches Statement durchgehen soll." Der Abend sein ein "so brutaler wie trauriger Abklatsch des von René Pollesch vor Jahrzehnten erfundenen Diskurs- und Poptheaters", resümiert der Rezensent.

"So viele wilde Assoziationen der Abend inhaltlich bereithält, so viele schräg-schöne Bilder feuert er ab", so Barbara Behrendt vom RBB (12.6.2023). "Wirklich schlau wird man allerdings nicht aus dem Pollesch-epigonalen, postdramatischen Diskursgewitter." Die Themen wirbelten so ungenau und insidersich umeinander, dass selbst Theaternerds irgendwann aus der Diskurskurve flögen.

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