Vielleicht ein Sturm

4. Dezember 2022. In einer Neuübersetzung inszeniert Philipp Rosendahl, neuer Co-Schauspieldirektor und Hausregisseur am Staatstheater Cottbus, die berühmte Liebesgeschichte von William Shakespeare mit poetischem Willen und Bildstärke. Ein Abend, der unter dem Sternenhimmel das Schlageisen anlegt.

Von Iven Yorick Fenker 

"Romeo und Julia" am Staatstheater Cottbus in der Regie von Philipp Rosendahl © Frank Hammerschmidt

4. Dezember 2022. Grelles Licht blendet das Publikum. Die Augen gewöhnen sich ans Gegenlicht. Dort im Nebel hängt ein steinernes Herz, dort eingeritzt, die Lettern der Liebenden: R+J. Romeo und Julia. Die Liebesgeschichte von William Shakespeare, die in die westliche Kulturgeschichte eingemeißelt ist. Jede Adaption ein Schlag in den Stein. Es gab derer viele, so viele Inszenierungen, dass bei diesem Stück von Erwartungen und Projektionen des Publikums ausgegangen werden kann. Stein ist geduldig, doch die Frage drängt sich auf, warum es nun dieser Stoff ist, heute und jetzt. Hier, am Staatstheater in Cottbus wird ein neues Schlageisen angesetzt und der Hammer macht sich zum Schlag bereit. 

Er sucht uns heim

"Ein unheilvolles Etwas. Eine Wucht. Vielleicht ein Sturm" – so beginnt die Neuübersetzung von Philipp Rosendahl, seit dieser Saison Co-Schauspieldirektor am Staatstheater und Regisseur des Abends, so beginnt der Text: "Er sucht uns heim, mit ungeheurer Kraft." Der Nebel hat sich gerade verzogen und aus dem Hintergrund des dunklen, schwarzen Bühnenraums ist Lorenzo, Lauren Mace, in Zeitlupe zur Bühnenrampe gegangen. Die Vorrede kommt als Playback, Lorenzo macht dazu Lip sync und Mondmovements. Mace, von der die Choreografie kommt, gibt die Stimmung und das Spiel vor. Die Bühne von Katharina Faltner ist eine aufsteigende schwarze, karge Felslandschaft, die nach hinten hin abzufallen scheint, so dass sich ein Horizont ergibt.

Es gibt nicht viel an dem sich festhalten lässt

Aus diesem Hintergrund erklimmen nun die Figuren die Szenerie. Die Kostüme von Philipp Basener sind alle weiß und deconstructed Clubwear mit ausgestellten historischen Krägen. Das Personal ist auf zehn reduziert. Sie bewegen sich wie unter weniger Schwerkraft. Die Gliedmaßen schweben langsam. Immer mal wieder wirkt es, als müssten sie zurückgezogen werden, an den Körper. Es gibt nicht viel an dem sich festhalten lässt, obwohl der Text recht nah am Original bleibt. Auf dem schroffen Fels, der hier die Welt bedeutet, ausgebreitet: ein dunkler Soundteppich, ein Loop, der den Abend und die Sprache, später die Songs begleitet. Hier ist etwas der Zeit entrückt. 

romeo und julia 1 FrankHammerschmidtEntrückte Figuren © Frank Hammerschmidt

Romeo, Johannes Scheidweiler, und Julia, Nathalie Schörken, verlieben sich, sie entscheiden sich für einander, sie versuchen sich festzuhalten in dieser Welt, die nichts mehr zu bieten scheint. Den beiden dabei zuzusehen, ist herzerwärmend, sonst ist es kalt. Johannes Scheidweilers Romeo tritt auf der Stelle, obwohl seine Mimik rennt. Sein Spiel springt zwischen unbeholfener Haltung und rücksichtslosem Frontalangriff. Er spielt den Aufbruchswillen der Jugend in einer repressiven Welt, die nichts mehr für sie bereithält, nur hohle Hierachien, Zwietracht und Hass.

Eine Aufbegehrende

Nathalie Schörken schafft es, direkte Dringlichkeit und unverstellte Hoffnung in die geformte Sprache zu bringen. Sie ist beim Sprechen unmittelbar und nimmt den Raum ein. Was sie sagt, hallt nach. Schörkens Julia ist eine Aufbegehrende, ein junger Mensch, der entgegen den deprimierenden Zukunftsprognosen handelt. Im Spiel ist ein klarer Bruch zu sehen, zwischen den alten Repräsentant:innen der Macht und den betonierten Verhältnissen. In dieser düsteren Grundstimmung besteht der Abend. Die herausragende Qualität der Neuübersetzung ist der Sound, der es vermag diese magischen Momente der Melodie eines Shakespeare Textes zu erzeugen. Rosendahls Sprache scheut den Dreck nicht und ist doch voller poetischer Schöpfungskraft und Bildgewalt.

romeo und julia 2 Frank HammerschmidtSturmmaskenball und Shakespeare-Sound © Frank Hammerschmidt

Der Abend vergeht schnell und obwohl er so reduziert angelegt ist, passiert dann doch überraschend viel. Der Sturmmaskenball ist ein willkommener Aufruhr, die wundervoll kitschige Schlagerparade passt gut zu dem wunderschönen Moment, in dem sich diese schwarze Felslandschaft in einen Sternenhimmel wandelt. Lauren Maces Sleep well Popsong zu Julias Gifttrankgedanken ist ein Highlight. Während sich die Bühne dreht, der Nebel steigt und das Licht den schwarzen Fels färbt und Julia sich schlafen legt, zeigt sich hier was Theater kann, mit reduzierten Mitteln, mit genügend Ressourcen, tatsächliche magische Momente erschaffen, die betroffen machen. Dieser Abend, der mit seiner prolligen Poesie protzt, beruht auf einer politischen Analyse der granitenen Gegenwart und antwortet darauf mit Schlageisenschlägen auf Stein.  

 

Romeo und Julia
von William Shakespeare
in einer Neuübersetzung von Philipp Rosendahl
Regie: Philipp Rosendahl, Bühne: Katharina Faltner, Mitarbeit Bühne: Maja Lipinski, Kostüm: Philipp Basener, Musikalische Leitung: Marco Mlynek, Choreografie: Lauren Mace, Dramaturgie: Franziska Benack, Regieassistenz: Julia Daniczek, Inspizienz: István Farkas, Soufflage: Jörg Trost, FJS Kultur & Übertitel: Lisa Muchow.
Mit: Johannes Scheidweiler, Nathalie Schörken, Sigrun Fischer, Lisa Schützenberger, Manolo Bertling, Markus Paul, Torben Appel, Sophie Bock, Lauren Mace, Thomas Harms.
Premiere am 3. Dezember 2022
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.staatstheater-cottbus.de

 

Kritikenrundschau

"Rosendahl holt die Tragödie ins Heute, ohne dabei die Grundidee zu zerstören", schreibt Thomas Klatt in der Märkischen Oderzeitung (5.12.2022). Romeo sei ein Nerd, Julia besitze Führungsqualitäten. Rosendahl interessiere weniger der Familienzwist und stärker die Frage, wie zwei Liebende in bedrängter Zeit, in der alle Gewissheiten zu Sternenstaub zerrinnen, zueinander finden können. "Shakespeare-Puristen werden mit dieser Inszenierung ihre Schwierigkeiten haben. Einem jungen Publikum bietet sie neuen Zugang zu einem alten Thema."

Kommentare  
Romeo und Julia, Cottbus: Zombies auf dem Mond
Wir hatten uns so sehr auf den Abend gefreut.
Leider haben wir im Vorfeld uns nicht mit der Inszenierung auseinandergesetzt.
Schade, wir sind in der Pause gegangen.
Wir haben uns nicht unterhalten gefühlt.
Angefangen von den Kostümen, die Darsteller stellten kein entzückende Liebespaar da.
Die Sturmhaben und die Bewegung ergaben eine Sicht, als wenn Zombies auf dem Mond tanzen.
Leider verliert unser schönes Cottbuser Haus dadurch viele seiner Gäste.
Es war jetzt schon das 2 mal, das wir das Theater verlassen frühzeitig, davor war es der Biberpelz. Diese Art von Aufführungen trägt nicht zur Entspannung bei uns bei.
Schade
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