Zorro und Wonder Woman - Staatstheater Cottbus
Spiel ist Ventil
von Georg Kasch
Cottbus, 4. September 2021. Die Frage, was Theater zu erzählen vermag, ist vermutlich so alt wie das Theater selbst. Auch, ob es, dessen Voraussetzung ja die Fiktion ist, also die Lüge, überhaupt der richtige Ort ist, um so etwas wie Wahrheit zu verhandeln. Am Staatstheater Cottbus wagen es Regisseur Antonio Latella und Autor Federico Bellini dennoch. Und zwar in zwei Stücken, die nach Superhelden benannt sind, in denen aber die großen Fragen des Lebens und des Theaters gestellt werden: Was ist Wahrheit? Was ist Gerechtigkeit? Und besitzt das Theater die richtigen Mittel, sie zu verhandeln?
Z auf der Brust
In "Zorro" geraten ein Armer und ein Polizist aneinander, ergänzt von einem Stummen und einem Pferd, die das Gesprochene meist wortlos kommentieren. Vier Spieler fahren aus dem Orchestergraben in weißen Unterwäsche-Einteilern und tauschen regelmäßig die Rollen, wenn sie nicht gerade aus ihnen herausfallen. Alle tragen sie ein Z auf der Brust, Zeichen des titelgebenden Helden, der die Gauner verfolgte und die Armen unterstützte.
Mehr ist da nicht auf der leeren Bühne: vier Menschen, vier Mützen-Typen, Boxhandschuhe, die auf die Härte der sozialen Kämpfe verweisen wie auf die Superheldenkräfte, die es bräuchte, um die Ursachen dieser Kämpfe zu beseitigen. Gerungen wird hier meist mit Worten: In immer neuen Tiraden und Spiegelfechtereien diskutieren je zwei der Spieler die Gründe von Armut und sozialer Ungerechtigkeit, ihre Darstellbarkeit, die Frage von Semantik und Semiotik.
Verzweifeltes Verhandeln
Schnell brummt einem der Schädel von Fragen wie der, wer zuerst da war, der Reiche oder der Arme. Und immer, wenn man das Gefühl hat, Boden unter den Füßen zu kriegen im Verständnis darüber, worum es gerade geht, bauen Latella und Bellini eine neue Volte ein. Oder schicken ihre Spieler in zirzensische Verausgabung. All die Zeitlupen-Kämpfe und Krawall-Choreografien, die grinsende Spielfreude von vier großen Jungs sind ja nicht nur Kontrastmittel, sondern verweisen auf eine der Urformen des Theaters, das reine, unakademische Spiel. Hier werden sie zum Parcours, in dem die Spieler gegen ihre wachsende Verzweiflung bis zur Erschöpfung anzurennen scheinen.
So ist der Abend ein Dokument des Scheiterns. Gar nicht so sehr, weil man öfter den Faden verliert in den weit schwingenden Argumentationsketten, die von der Bedeutung von Personalpronomen über die Besitzlosigkeit der Indios bis zu den Klischee-Darstellungen von Armut reichten. Auch nicht, weil entblößte Körper und Gebrüll nerven oder der voltenreiche Text im großen, prachtvollen Haus akustisch zuweilen verpufft. Sondern weil die Inszenierung zu dem Schluss kommt, dass Theater, so wie es ist, nicht der richtige Ort ist, um Themen wie Armut zu verhandeln – und es dennoch tut.
Wahrheit ist ein Monster
Überhaupt ist es ein grandioses Scheitern zwischen Commedia dell'arte, Brecht und Beckett, und es ist spannend, den Spielern Michele Andrei, Emilio De Marchi, Gunnar Golkowski und Markus Paul zuzuschauen, wie sie sich verausgaben und verschwenden, aufs Ganze gehen, auch wenn sie wissen müssen, dass dieser Abend eine Zumutung ist.
"Die Wahrheit ist ein Monster", heißt es einmal in "Zorro", und das ist eine gute Überleitung zum zweiten Teil dieses Doppelabends. In "Wonder Woman" stehen vier Frauen in weißen, mit einem weiblichen Gesicht bedruckten Kitteln und großen roten Clownsschuhen auf der Bühne. Sie erzählen von einem Urteil aus Italien 2017, in dem die mutmaßlichen jugendlichen Vergewaltiger eines 18-jährigen Mädchens freigesprochen wurden, unter anderem mit der Begründung, dass das mutmaßliche Opfer "männlich" ausgesehen habe.
Anders aber als in "Zorro", wo sich nirgends eine Art von Gewissheit einschleicht, sind in "Wonder Woman" die Fronten bald klar: Die Justiz hat versagt, Victim Blaming scheint offenbar immer noch erfolgreich. Das ist richtig und dramaturgisch konzentrierter, aber an Denkstoff weniger ertragreich.
Blick in den Abgrund
Natürlich folgt man auch hier den Argumentationen, die weit schwingen von der Darstellbarkeit sexualisierter Gewalt bis zu den Ablenkungsmanövern des Konsums. Und vielleicht gibt's auch im Publikum noch Menschen, die der Meinung sind, Frauen sollten sich so anziehen, dass Männer nicht mit dem Schwanz denken. Aber nach dem Blick in den Theaterabgrund wirkt dieser anklagende Gestus dann doch etwas sehr selbstgewiss.
Wobei auch dem zuzuschauen hypnotische Momente hervorbringt, weil sich Sigrun Fischer, Ariadne Pabst, Lisa Schützenberger und Anouk Wagener – wie zuvor die Männer – mit einer Unbedingtheit in ihre Gedankenschleifen, Anklagen und Furien-Chöre hineinschrauben, dass man fasziniert dranbleibt.
Ist also das reine Spiel die Lösung, ein ehrliches Theater nur aus Körpern, Worten, Licht? Ein Ventil ist's, vielleicht. Retten kann es uns nicht.
Zorro und Wonder Woman
von Antonio Latella und Federico Bellini
Regie: Antonio Latella, Dramaturgie: Federico Bellini, Dramaturgische Mitarbeit: Lisa Mell, Übersetzung: Francesca Spinazzi, Kostüme: Simona D'Amico, Choreografie: Francesco Manetti, Deutsch-italienische Regieassistenz: Viktoria Feldhaus.
Mit: Michele Andrei, Emilio De Marchi, Gunnar Golkowski, Markus Paul, Sigrun Fischer, Ariadne Pabst, Lisa Schützenberger, Anouk Wagener.
Premiere am 4. September 2021
Dauer: 3 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.staatstheater-cottbus.de
Kritikenrundschau
Michael Laages berichtete in Fazit auf Deutschlandfunk Kultur (4.9.2021) von einem "Klagespiel über den unauflösbaren Widerspruch zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft". Die Rollen zwischen den Figuren wechseln dauern, es sei ein hoch-exemplifizierter Dialog zu viert, die hochintellektuellen, sehr klugen Texte des "Armen" seien "so ziemlich das Beste", was der Autor "über Sozialfragen auf einer Theaterbühne seit langem" gehört habe und dabei gar nicht "belehrend". In beiden Stücken gebe es Signets für den Kampf, Boxhandschuhe im ersten Teil, riesige Charlie Chaplin-Schuhe im zweiten. Beide Stücke seien Clownsspiele, selbst wenn das zweite Stück sich im Kern um die Empörung über eine Vergewaltigung drehe, die dem Opfer nicht geglaubt werde. Der Text des zweiten Teils ist "nicht besser, er ist stärker in der emotionalen Berührung". Eingebaut sei dabei auch eine "Arabeske", eine Klage über die Darstellung der Frauen auf der Theaterbühne. Latella sei ein Theatermann, über den Mann sich in Europa freuen müsste.
Wie sehr Cottbus am Rand der deutschsprachigen Theaterrepublik liegt, erhellt die Tatsache, dass die Kollegin Ute Grundmann, die in die Lausitz gereist ist, mit der Deutschen Bühne online (online 5.9.2021), der Lausitzer Rundschau (online 5.9.2021) und der Märkischen Oderzeitung (6.9.2021) gleich drei Publikationsorgane bedient. Sie schreibt: Die große Bühne bleibe leer und düster, nichts, "woran sich die Phantasie der Zuschauer oder Spielfreude der Schauspieler festhalten könnte". Im Zorro-Teil entspinne sich ein "Wort-Parforce-Ritt durch unsere Welt", mal solo, mal chorisch, "der Kapitalismuskritik und Mülltrennung, rechte Gesinnung und Uniformsüffisanz" attackiere. Das amüsiere "prächtig", kippele zwischen "Albernheit und Analyse", einiges bleibe hängen. Dagegen käme der weibliche Teil der Welt im zweiten Teil zwar "zu Wort, aber kaum zu seinem Recht". Die vier "Wonderwomen" hätten nur ein Thema: "die Vergewaltigung der Frauen und deren ohnmächtiger Zorn". Das "präsentieren die vier Darstellerinnen eindringlich, gemischt mit Empörung in Worten und Mimik." Doch im folgenden esoterischen "Wortstakkato", über die Gesangsfetzen und das Tanzen mit Hula-Reifen gerate das Thema immer mehr aus dem Blick.
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