Der Tod als Kumpel

18. November 2023. 2015 erschien "Sophia, der Tod und ich": Der Debütroman des "Tomte"-Musikers Thees Uhlmann erklomm die Bestsellerlisten, die Bühnen und kürzlich auch die Kinoleinwand. Nun hat Patrick Wengenroth ihn nach Schwerin gebracht – wo das Premierenpublikum mit aufmerksamem Lachen dankte. 

Von Frank Schlößer

"Sophia, der Tod und ich" © Silke Winkler

18. November 2023. Das Tabu "Tod" ist schon seit einiger Zeit ziemlich angesagt. Von der Netflix-Serie "Das letzte Wort" nach der Idee von Thorsten Merten bis zu den Einlassungen des Kriminalbiologen Mark Benecke – alle wollen uns einreden, dass der Tod völlig normal sei und zum Leben gehöre. Das ist natürlich Unfug. Der Tod ist ein Mysterium. 

Bis es klingelt und ein Mann vor meiner Tür steht: Will der ein Paket abholen? Nein, er sagt: "Ich bin der Tod und Sie müssen jetzt mitkommen." Die Alltäglichkeit der Situation, ein Ich-Erzähler mit dem Talent zu grundsätzlich heiterer Selbstreflexion und der launische, norddeutsch-knappe Plauderton – das ist sind die sorgfältig gespannten Kettfäden, in die Musiker und Autor Thees Uhlmann sein großartiges Road Movie mit drallen Figuren einwebte. Der 2015 erschienene Roman "Sophia, der Tod und ich" stand auf den Bestseller-Listen, war inzwischen auf etlichen Bühnen zu sehen und landete in diesem Jahr auch in den Kinos. 

Prollige Poesie

Normalerweise erledigt der Tod seine Jobs innerhalb von drei Minuten. Doch diesmal platzt die Ex von "Ich" (man erfährt seinen Namen nicht) dazwischen, und der Tod bekommt die einmalige Gelegenheit, die Welt und das Leben zu entdecken. Wie ein Kind macht er sich mit "Ich", dessen Geliebter und dessen Mutter auf den Weg – es gibt noch was zu erledigen: "Ich" muss noch einmal seinen Sohn sehen, mit dem er seit Jahren nur sehr einseitig per täglicher Postkarte kommuniziert. Natürlich stellen sich hier die großen Fragen: Was hab "Ich" angefangen mit diesem Leben? Hätte "Ich" nicht auch im Bundeskanzleramt oder im Sicherheitstrakt eines Gefängnisses landen können? Und was soll das "Ganze" überhaupt? 

Sophia 2 Silke WinklerFrank Wiegard, Jennifer Sabel, Sebastian Reck © Silke Winkler

Alles, was in Patrick Wengenroths Inszenierung auf der Bühne der M*Halle in Schwerin passiert, dient dieser prollige Poesie. Der Text wird zwischen den Figuren hin- und hergeworfen, er klebt nicht an den Rollen. Dieses feine Spiel illustriert die Selbstreflektion der Figuren: "Ich" spricht nicht nur "seinen" Text. Sein späteres "Ich" reflektiert ihn, erzählt die Geschichte und außerdem geraten beide noch miteinander in Dialoge. 

Das passiert auch mit den anderen Charakteren: Seine Geliebte, seine Mutter und sein Tod reflektieren ihr Innenleben ebenfalls, und auch wenn das hier ein wenig kompliziert klingt – es kommt direkt und gerade von der Bühne – und produziert ein dauerndes unterschwelliges Lachen im Publikum. Es scheint, als wird jeder Zuschauer einzeln ganz persönlich erreicht, jede und jeder fühlt sich persönlich eingefangen und abgeholt. 

Marvelmäßige Endkämpfe

Drei Industriebeton-Inseln und jede Menge Nebel bilden das Bühnenbild, die Kostüme sind auf "Leute wie du und ich" angelegt – da wirkte schon der grobkarierte Dreiteiler des Todes extravagant. Das Licht schafft die Räume für das Spiel, für Monologe und für die völlig abgedrehten marvelmäßigen Endkämpfe der beiden Tode, die sich um ihre Jobs raufen. 

Auch wenn diese Dialoge ungeschliffen daherkommen, so wurden sie doch ausgiebig bearbeitet – kaum ein Satz vergeht ohne Pointe, ohne ein präzise gesetztes Timing. Dieser Text fordert eine dauernde Aufmerksamkeitsarbeit des Publikums und belohnt es immer wieder mit Überraschungen, mit Witz, mit Momenten tiefer Nachdenklichkeit. 

Sophia 4 Silke WinklerDas Ensemble: Jennifer Sabel, Antje Trautmann, Frank Wiegard, Sebastian Reck © Silke Winkler

Das Ensemble lieferte mehr als gutes Handwerk und harte Textarbeit, das war inspirierende Schauspielkunst. Schwer zu sagen, wer hier die Hauptrolle spielte: "Ich", der launische Langweiler (Frank Wiegard)? Sophia, die Ex- und Wieder-Geliebte, die so heiter an seinem stoischen Gehabe verzweifelt (Jennifer Sabel)? Der Tod, der die Gelegenheit nutzt, um kindlich eine neue Welt zu entdecken (Sebastian Reck)? Das "späte Ich", das all diese Verirrungen ordnet und sehr tiefgründig kommentiert (Jochen Fahr)? Oder die Mutter, die ihren Frieden damit machen muss, ihren Sohn gehen lassen zu müssen (Antje Trautmann)? Patrick Wengenroth hat mit seiner Bühnenfassung allen Charakteren und allen Schauspieler:innen ihre Glanzminuten gegeben und die haben sie weitergereicht ins Publikum.

Heutiger Ansatz

Sounddesigner und Musiker Matze Kloppe ist live in dieses Spiel eingebunden. Patrick Wengenroth schafft es, das Stück so weit zu verdichten, dass auch noch ein paar Songs von Thees Uhlmann und seiner Band Tomte Platz haben.

Natürlich war der Tod schon immer ein großes Thema in der Literatur – angefangen bei Gilgamesh, der um seinen Freund Enkidu trauert, bis sich die Trauer in Ekel verwandelt. Über Carl Michael Bellman, bei dem der Tod in den Kneipen von Stockholm mit dem Uhrmacher Jean Fredman beim Gelage sitzt. Bis hin zum alljährlichen "Jedermann" von Hugo von Hoffmannsthal bei den Salzburger Festspielen. Thees Uhlmann hat auf all diese Vorlagen verzichtet und einen absolut neuen, heutigen Ansatz gefunden: ein neuer Freund, ein richtiger Kumpel. Man möchte mit ihm das letzte Bier trinken und dann sagen: Okay, drauf geschissen, dann ist es halt vorbei.

Kaum zu glauben, wieviel Humor in diese zwei Stunden passt. Großartig. 

Sophia, der Tod und ich
von Thees Uhlmann
Bühnenfassung und Regie: Patrick Wengenroth, Bühne und Kostüme: Marc Freitag, Musik: Matze Kloppe. Mit: Frank Wiegard, Jennifer Sabel, Sebastian Reck, Jochen Fahr, Antje Trautmann.
Premiere am 17. November 2023
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.mecklenburgisches-staatstheater.de

 

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