Sankt-Handke-Beschimpfung

17. Dezember 2022. Peter Handkes pro-serbisches Engagement hat man oft als absurde Übersteigerung seiner Jugoslawien-Nostalgie abgetan. Der kosovarische Autor Jeton Neziraj, Regisseurin Blerta Neziraj und Dramaturgin Biljana Srbljanović lassen ihn in "The Handke Project" nicht so einfach davon kommen. Nach der Premiere im Juni in Prishtina gastiert die Inszenierung jetzt am Theater Dortmund.

Von Gerhard Preußer

Auf Gastspiel-Station am Theater Dortmund: "The Handke Project" © Atdhe Mulla

17. Dezember 2022. Peter Handkes literarische Karriere begann mit einer Beschimpfung: der Beschimpfung der Gruppe 47 bei ihrer Tagung in Princeton 1966. Diese Literatur sei "läppisch". Handkes nächster Erfolg war die "Publikumsbeschimpfung". Heute ist eine Handke-Beschimpfung mehr als nur eine Retourkutsche, sie ist notwendige Auseinandersetzung mit einem prominenten Autor, der in seinen Reden und Interviews schon mal verbal aus dem Ruder läuft. Als "Amokläufer" hat Peter Handke sich selbst einmal bezeichnet, einer, der gefährlich ist und allein.

Kann man Werk und Autor getrennt bewerten? Man kann. Als Leser muss man Autoren gar nicht bewerten. Man liest keinen Autor, sondern ein Buch. Aber das Nobelpreiskomitee? Es ehrt einen Autor. Und literarische Poesie und Interviewprosa zu trennen, ist auch kein Ausweg. Handkes Kombination von Selbstbeobachtung und Weltwahrnehmung in seiner Literatur war immer mit einer Geste der Selbstisolation verbunden. Auch in seinem pseudo-authentischen Familiendraman "Immer noch Sturm", in dem er sich politisch völlig korrekt in den Partisanenkampf der Kärntner Slowenen gegen Nazideutschland am Ende des Zweiten Weltkriegs hineinträumt, hätte man die sich selbst feiernde, hochfahrende Umwertung aller Urteile über den Balkankrieg wiedererkennen können.

Zwischen Pilzesammeln und Massenmord

Der kosovarische Autor Jeton Neziraj ist der Kopf des "Handke-Projekts", das seit Juni dieses Jahres durch Europa tourt und nun in Dortmund gezeigt wird. Die serbische Autorin Biljana Srbljanović, die allen Grund hat, Handke zu beschimpfen, weil er sie öffentlich beleidigt hat, ist hier Dramaturgin. Mit einer Truppe von englischsprechenden Schauspielerinnen und Schauspielern aus Kosovo, Frankreich, Italien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro unter der Regie von Blerta Neziraj knöpft man sich den großen Poeten vor und hält uns all die Scheußlichkeiten, zynischen Sentenzen unter die Nase, mit denen sich Handke in Serbien beliebt gemacht hat.

The Handke Project 1 Atdhe Mulla Mehr als Spöttelei oder Retourkutsche: In "The Handke Project" klagen auch die Opfer an © Atdhe Mulla

Die Inszenierung spielt mit dem Publikum. Wenn alle diejenigen, die noch nie einen Migranten geschlagen haben, aufgefordert werden aufzustehen, steht das Publikum stramm. Da ist man sich einig. Wenn diejenigen den Saal verlassen sollen, die Bücher von Handke gelesen haben, bleiben alle sitzen. Sind alle ahnungslos? Nein, die Handke-Leser wollen wissen, wie man Handke beschimpft. Und das erfährt man auch.

Mit kabarettistischen Mitteln wird dargestellt, wie der Ehemann der Vorsitzenden der Schwedischen Akademie junge Autorinnen vergewaltigt, während Handke gierig auf den Telefonanruf aus Stockholm wartet und zunächst doch nur von der österreichischen Vereinigung der Pilzsammler angerufen wird, nebenbei ein Reh erschießt und schließlich hocherfreut 2019 die Nachricht des Literaturnobelpreises erhält. Ein serbisch-orthodoxer Priester erklärt Handke zum Heiligen und will eine Kirche nach ihm benennen. Handke wird von Peter Pan über die Bühne gejagt: "Demagoge, Peiniger, Genozidleugner". Die österreichische Regierung bietet Handke zum Verkauf an die türkische Regierung an: er könne hilfreich bei der Leugnung des Genozids an den Armeniern sein.

Zum Gewissen werden

Doch neben solchen Spötteleien stehen Handkes halbe Rechtfertigung des Massakers von Srebrenica, seine Rede am Grab von Slobodan Milosević, seine unsägliche Klage, das Leiden des serbischen Volkes werde weniger beachtet als das der Juden im Holocaust - alles wird vorgetragen und durch andeutende Aktionen von den Schauspielerinnen und Schauspielern untermalt.

Emotionale Tiefe erhält die Inszenierung nur, wenn eine kleine Figur auftaucht, die mit dickem Pullover, Schneebrille und Stöcken zeigt, dass sie Ski fährt. Das ist Nermin, der sich 1995 im Wald von Srebenica mit hunderten von Bosniaken versteckt. Sein Vater Ramo Osmanovic wird von den serbischen Militärs gezwungen, seinen Sohn zu rufen, er solle aus dem Wald kommen, er sei sicher. Vater, Sohn und hunderte andere wurden aber dann ermordet. Die Szene ist bedeutsam, weil sie auf einem Video überliefert ist. In der Inszenierung taucht diese Figur mehrfach auf, und erst am Ende versteht man, warum: "Ich werde zur Stille und Erinnerung. Ich werde zum Gewissen." Die Opfer klagen Handke an.

Polemisch eindeutig

Das ist appellatives Theater, das das Publikum in eine Wertegemeinschaft integrieren will. Alle Invektiven gegen Handke werben um Zustimmung. Die polemische Eindeutigkeit der Inszenierung, die verbale Ballerei in immer dieselbe Richtung ("Fuck you, Fascism! Fuck you, Handke!") kann nerven. Sie ist aber nötig. In Deutschland wurde Handkes pro-serbisches Engagement oft nur als absurde Übersteigerung seiner biographisch bedingten Jugoslawien-Nostalgie, als dumme Verrücktheit eines persönlich vielleicht unangenehmen, aber doch preiswürdigen Autors angesehen. Das "Handke-Project" zeigt uns die Wut, die sich auf Handke richtet, dort, wo er sich eingemischt hat.

 

The Handke Project
Or justice for Peter’s stupidities
von Jeton Neziraj
Regie: Blerta Neziraj, Dramaturgie: Biljana Srbljanović, Künstlerische Mitarbeit: Alida Bremer; Bühne: Marija Kalabic, Musik: Gabriele Marangoni, Choreographie: Gjergj Prevazi, Kostüme: Blagoj Micevski. Mit: Arben Bajraktaraj (FR), Ejla Bavćić (BiH), Adrian Morina (RKS), Klaus Martini (IT), Verona Koxha (RKS), Anja Drljević (MNE).
Premiere am 3. Juni 2022 in Prishtina, am 16. Dezember 2022 am Theater Dortmund
Englisch mit deutschen Übertiteln
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.qendra.org
www.theaterdo.de

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